Seite:Die Gartenlaube (1857) 443.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

lange Kohlenzüge nach dem gewerblichen Chemnitz fahren und bis in das Herz des Erzgebirges dringen, um zu zeigen, daß der jetzt so arme Landstrich noch reiche Schätze birgt, wenn man nur die rechten Mittel anwendet, sie zu heben.

Die alten rußigen Häuser haben auch geglaubt, es sei nun an der Zeit, ein freundlicheres Gewand anzuziehen, ihr Inneres wohnlicher und besser herzurichten und die hundert Jahre wenig oder gar nicht benutzten Räume zum Wohnen für Menschen dienstbar zu machen. Früher hatten sie Mangel an Bewohnern, jetzt droht ihnen Ueberfüllung. Diesem Uebelstande suchen zwar zahlreiche Neubauten vorzubeugen; aber sie stehen mit dem starken Zufluß von Wohnung suchenden Menschen noch lange nicht in richtigem Verhältniß. Daher kommt es, daß bereits ein großer Mangel an Wohnungen fühlbar wird und es der Arbeitsmann und kleine Handwerker, hauptsächlich wenn er mit Kindern gesegnet ist, für ein Unglück halten muß, wenn ihm sein Hauswirth die Wohnung kündigt. Denn es ist sehr zweifelhaft, ob er wieder Wohnung findet und ob er nicht die Stadt, die ihm und seiner Familie doch manche Annehmlichkeit bietet, mit dem Dorfe vertauschen muß, wo er zwar dieselben hohen Preise wie in der Stadt zahlen muß, aber ohne die von der Stadt gebotenen Vortheile haben zu können: Dieser Wohnungsmangel erregt schon allgemeine Aufmerksamkeit und bei den Berg- und Fabrikherren, die nur dann den höchsten Gewinn erzielen können, wenn ihnen gute Arbeitskräfte in ausreichender Weise zu Gebote stehen, beinahe Besorgniß. Es wird auch diesem Mangel durch die Privatbauten nur sehr wenig abgeholfen, weil dabei auf die Herrichtung von kleineren Wohnungen, wie sie der Arbeiter braucht und bezahlen kann, nur sehr wenig Rücksicht genommen wird. Die einzige Abhülfe besteht darin, daß von den großen Etablissements Arbeitercolonieen gegründet werden, wie es schon der umsichtige und vorsorgliche hiesige Fabrikant Herr Fickentscher bei seiner Glashütte gethan hat. Wie verlautet, ist der Beschluß zur Errichtung von Arbeiterwohnungen bereits auch bei zwei der größten Kohlenwerken gefaßt worden, und andere ziehen diese Frage in ernsteste Erwägung.

Die Stadt Zwickau aber wird, wenn auch ein kleiner Theil der Arbeiter aus ihrer Mitte wandern sollte, wohl schwerlich wieder Gras auf seinen Straßen wachsen sehen; denn es ist und bleibt doch der Mittelpunkt für die ganze Umgegend und auch die etwa auswandernden Arbeiter werden, wenn sie in die Stadt kommen, um ihre Lebensbedürfnisse einzukaufen, jedes Grashälmchen, das sich mühsam durch die Steine zwängen wollte, mit niedertreten helfen. Nur in der Nähe der Kirchen will das Gras nicht ganz verschwinden und es muß zeitweilig die absichtlich raufende Hand dem zufällig zertretenden Fuße zu Hülfe kommen. Ob der Grund dieser Erscheinung darin zu finden ist, daß sich das weltliche Treiben von der Heiligkeit jener Orte ehrerbietig zurückzieht, oder daß die Zwickauer ihre Gotteshäuser nicht so fleißig besuchen, wie sie wohl sollten, mag hier unentschieden bleiben.

Noch mehr in die Augen fallen die Veränderungen, welche die Umgebung von Zwickau erlitten hat. Die Sümpfe des Stadtgrabens haben sich in schöne Gärten verwandelt; aus den Erlenwäldern sind theilweise prächtige Wiesen geworden und von allen den Sümpfen und Teichen, welche namentlich an der Westseite der Stadt sich hinzogen, ist außer einem kleinen unbeachtbaren nur der große durch seine Sagen altberühmte Schwanenteich mit seinem klaren Wasser und glänzenden Spiegel übrig geblieben. Um ihn herum ziehen sich geschmackvoll angelegte Parkanlagen, zwar noch jung an Jahren, aber schon stattlich herangewachsen in dem trefflichen Schlammboden.

Wendest du aber deinen Blick weiter, namentlich südwärts, so findest du da, wo früher die Sense, der Pflug und die Axt die Herrschaft führten, die Scholle gefangen genommen von der umfriedigenden Mauer; ganz neue Stadttheile sind angelegt und gewinnen mit jedem Jahre an Ausdehnung. Das bauliche Wesen ist so im Schwunge, daß alle die Ziegeleien, welche in großer Menge in der überaus lehmreichen Umgebung von Zwickau im Gange sind, nicht genug Backsteine liefern können. Ueber die Wohnhäuser aber ragen empor die mächtigen Dampfessen, hier viereckig, dort achteckig und dort rund, aber alle stets umqualmt von dickem Rauch und zum größten Verdruß für die Hausfrauen ganze Wolken von Ruß ausstreuend.

Man kann sich denken, daß die Luft im Zwickauer Thale empfindlichen Nasen nicht recht zusagen will, wenn der Wind den Qualm aus 50, 60 und noch mehr Dampfessen, der unzähligen anderen Rauchgelegenheiten jetzt gar nicht zu gedenken, zur Erde niederdrückt und dem Menschen zum Einathmen aufzwingt. Die Nase der Einheimischen ist etwas abgehärtet und muß stark angesprochen werden, ehe sie etwas einzuwenden hat; der Lunge aber mag solche rauchgeschwängerte Luft keinen erheblichen Schaden zufügen, sonst könnte die Zwickauer Gegend keine sogar für Schwachbrüstige doch so gesunde sein.

Unter den Essen, von denen die höchste und schönste, die der Bockwaer Wasserhaltungs-Maschine, bis zu 90 Ellen aufsteigt, keucht es aus ehernen Lungen und arbeitet es, hier nur mit einigen Pferdekräften, dort mit 20, noch anderswo mit 30 und 50, 150, ja 200 Pferdekräften, bei Tag und bei Nacht, über der Erde und unter der Erde. Daß bei solcher tausendpferdigen Arbeit, zumal wenn Tausende von kräftigen Menschenhänden rüstig mit zugreifen, den Tag lang etwas Ordentliches fertig wird, wird wohl ohne weitere Versicherung Glauben finden. Wer es aber nicht glaubt, der stelle sich nur einen Tag lang an die Kohlenbahn und zähle die langen Reihen von je mit 80 Centnern beladenen Lowrys, welche die Dampfer stärkster Art vom frühen Morgen bis in die späteste Nacht den Berg hinauf zur Höhe des Bahnhofes schleppen, und zähle die Lastwagen, welche an einem Tage die von Zwickau nach Bockwa führende Straße passiren.

Will er aber noch etwas sehr Schönes, den Unkundigen Ueberraschendes, wohl auch auf den ersten Augenblick Erschreckendes sehen, so lasse er sich am finstern Abend von kundiger Hand in’s Freie führen. Bald werden ihm an vielen Stellen die leckenden und züngelnden Flammen aus ganzen Colonieen von Gluthöfen in die Augen fallen, die den bewölkten Himmel über und über mit Feuerschein überziehen. Er kann nicht anders glauben, als daß bedeutende Feuersbrünste die ganze Gegend heimsuchen und die Werke der Menschen verzehren. Aber das Feuer ist gebannt in wohlverwahrte Oefen, steht im Dienste der Menschen und muß die Steinkohlen zu Coak brennen. Daneben überzieht von Süden her eine in kurzen Pausen hochauffahrende weißblaue Flamme die Gegend weithin mit einem falben Lichte. Das ist die Gichtflamme aus den Hohöfen der Königin-Marienhütte in Cainsdorf, einem Werke, das mit eben so großer Anstrengung, als glücklichem Erfolge nach der Ehre aufstrebt, unter den großartigsten Hüttenwerken Deutschlands genannt zu werden. Von Zeit zu Zeit dringen auch dumpfe Schläge durch die Nacht, wie ferner Kanonendonner: sie[WS 1] kommen aus dem Walzwerke derselben Marienhütte, deren Walzen speiend und schießend sich sträuben, wenn sie die kurzen weißglühenden Eisenpaquete zu langgestreckten, kunstvoll ausgekehlten Eisenbahnschienen pressen sollen. Von allen Seiten aber haucht und ächzt und stöhnt und keucht es in langathmigen Zügen aus den Abzugsröhren der Dampfmaschinen; bei Tage verliert sich ihr Blasen unter dem Lärm der vielseitigen Tagesarbeit, aber in der Stille der Nacht dringt ihr Keuchen weithin durch die Luft, klagend, daß nur ihnen niemals eine Stunde der Ruhe vergönnt ist.

Die ganze Nacht hindurch geht das Schaffen und Arbeiten, und wenn am frühen Morgen der müde Nachtarbeiter zur Ruhe geht, ist die von ihm verlassene Arbeit für den Tag von seinem Nachfolger schon wieder aufgenommen und es beginnen auch Tausende von Händen mit neuer Kraft die Thätigkeit, die Berge abträgt, Thäler ebnet, Flüsse verlegt, Sümpfe in feste Straßen verwandelt, kurz es entwickelt sich ein Leben der Arbeit, wie es so großartig und vielseitig in keiner anderen Gegend des gewerbfleißigen Sachsens zu finden ist.

Und wer hat solch reiches Leben in der noch vor wenig Jahrzehenden so todten Gegend geschaffen? Das ist ein Geschenk des schwarzen Goldes, welches die Tiefe der Zwickauer Gegend in reichen Ablagerungen unter dem Namen der Steinkohle birgt. Ueber diese, ihre Lagerstätten, ihre Gewinnung, die Größe ihres Reichthums, über den Betrieb u. s. w. werden wir in unserem nächsten Artikel das Weitere berichten und in Zahlen und Schilderungen unseren Lesern ein anschauliches Bild der dortigen großartigen Industrie zu geben suchen.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: siie
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_443.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)