Seite:Die Gartenlaube (1857) 448.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

und an der Spitze der in Wäldern und Bergen umziehenden Thierfänger, die gern in der Nähe solcher Jagdgesellschaften erscheinen und sich von den Herren anführen lassen, ausziehen. Dazu führen sie dann, außer ihren Flinten, Speeren, Pfeilen etc. auch Blasrohre, aus denen mit Früchtchen und Lehmkugeln geschossen wird, Vögelsprenkel und dergleichen bekannte Geräthe zur kleinen Jagd mit sich.

Unterdessen lesen die Damen oder gehen im Schatten des Waldes spazieren, oder sie lassen sich schaukeln, üben sich im Bogenschießen, spielen Gesellschaftsspiele und treiben Musik in ihren Zelten, oder machen Handarbeiten, wobei vorgelesen wird. Später, gewöhnlich um ein Uhr, findet dann zum Beschluß eines fröhlichen Vormittags eine zweite Mahlzeit statt; darauf hält die Gesellschaft, wenn sie sehr ermüdet, oder das Wetter sehr warm ist, eine Siesta, die überhaupt in Indien allgemeine Sitte ist, und wenn dann gegen Spätnachmittag die Sonne zu sinken beginnt, werden wieder Pferde und Wagen bestiegen, um eine Lustfahrt oder einen Ritt zu machen, oder, wo ein Gewässer in der Nähe sich befindet, werden Kähne in Bereitschaft gehalten, um eine Wasserfahrt in kühler Abendluft zu unternehmen. Da die Dämmerung in den Wendekreisen sehr kurz ist, so folgt die Nacht sehr bald auf den Untergang der Sonne. Man eilt nun in das Jagdlager zurück, wo man sich mit Karten-, Würfel-, Schach- und Gesellschaftsspielen, Tanz, Possenspielen, sowie der Darstellung indischer Taschenspieler, Seiltänzer und Bajaderen, die sich gern bei solchen Gesellschaften einfinden, die Zeit angenehm vertreibt. Um neun Uhr wird dann das eigentliche Mittagsessen, das aber mit besserem Rechte Nachtessen heißt, eingenommen, das in Genuß und Heiterkeit den angenehmen Tag beschließt.

In solcher Weise und Abwechselung verlebt eine Jagdgesellschaft gewöhnlich fünfzehn bis zwanzig Tage, wonach sie dann das Lager verläßt und nach Hause zurückkehrt.

Es ist bereits der Tigerjagd erwähnt worden – die intessanten aber auch gefährlichen Umstände dabei dürften noch nähere Mittheilungen gestatten.

Ganz eigenthümlich ist es und von Niemandem, der je einmal Gelegenheit gehabt hat, Tiger in freiem Zustande zu beobachten, kann es bezweifelt werden, daß der Tiger, wie überhaupt alle zum Katzengeschlecht gehörigen Raubthiere, eine seltsam bannende Kraft über andere, namentlich Beutethiere, ausübt. Wenn zum Beispiel Rehe einen Tiger erblicken, so bleiben sie auf einmal still stehen, als würden sie von einem Zauber festgehalten, während der Tiger seine Blicke nicht von der Beute abwendet und, ehe die Rehe ihn gesehen haben, ruhig ihre Annäherung im Verstecke abwartet. Erst wenn sie ihm nahe genug gekommen sind, um sie mit einigen Sprüngen zu erreichen, dann bricht er auf die Festgebannten ein, denn der große, königliche Tiger vermag weder schnell noch anhaltend zu laufen und würde, wenn er der Beute den Weg durch größere Geschwindigkeit abgewinnen wollte, manches Thier schwerlich einholen können. Das Glänzen und Funkeln seiner feurigen Augen ist furchtbar und grimmig; ich sah einmal selbst in der Nacht, in einem Gehölze, durch welches ich reisete, einen königlichen Tiger, indem mir das Funkeln seiner Augen schon eine Strecke weit bemerklich wurde. Das Licht der Fackeln, die meine Leute trugen und die man Nachts immer bei sich führt, sowie der Lärm eines Tamtam (einer kleinen Trommel), die man in solcher Gefahr sogleich anschlägt, verhinderte den Tiger, sich uns zu nähern.

Da, wo sich ein Tiger aufhält, oder wo er vorübersteicht, versammeln sich immer eine Menge Vögel, die ihn umschwärmen, umhüpfen und über ihm seines Weges fliegen, und dabei so stark schreien und pfeifen, als wollten sie die ganze Gegend warnen. – Der Pfau scheint ganz besonders von ihm angezogen zu werden, denn sobald ein Tiger von einer Truppe Pfauen erblickt wird, so nähern sie sich ihm auf der Stelle, spazieren um ihn herum mit aufgerichteten Federn, ausgespanntem Schwanze und schlagenden Flügeln.

Es wurde einst gemeldet, daß in Seringapatam ein großer Tiger, der auf der Insel eingedrungen war, viel Vieh getödtet und sogar mehrere Einwohner zerfleischt habe. – Die anwesenden Engländer beschlossen, sogleich eine große Tigerjagd zu veranstalten, wozu die jagdlustigen Officiere und mehrere Fremde und Einheimische sich verbanden und zwanzig Soldaten nebst einem Unterofficier zur Hülfe mitbekamen. Ein Eingeborener der Insel führte die Jagdgenossen und ihr militairisches Detachement an, um den Platz anzugeben, wo der Tiger lagerte.

Nachdem wir uns ungefähr eine englische Meile weit von der Stadt entfernt hatten, gelangten wir in Zuckerrohrfelder, die von einander durch dicke und hohe Bambushecken getrennt waren, welche auf jeder Seite einen trockenen Graben hatten.

Der Führer erklärte, daß der Tiger unter dieser Hecke sein Lager habe, aber nicht angegeben werden könne, auf welcher Seite derselbe sich befinde. Die Jagdgesellschaft und das Militair trennte sich in zwei Abtheilungen, von denen jede eine Seite der Hecke vornahm und so mit Aufmerksamkeit dem wilden Feinde entgegenrückte.

Auf der linken Seite, wo sich das Thier wirklich befand, ging der Führer und neben ihm ein junger Mann, der mit mir gereiset war und als guter Jäger sich mit hervorragender Kampflust der Gesellschaft angeschlossen hatte, sowie ein junger Schweizer, welcher in englischen Diensten stand, – diese drei Muthigsten schritten der ganzen übrigen Gesellschaft voraus. Sie hatten ungefähr dreißig Schritte in tiefster Stille und gespanntester Erwartung vorwärts gemacht, als der Führer plötzlich seine beiden Begleiter zurückhielt und mit lautlosen, schwachen Geberden zu verstehen gab, daß das Thier etwa fünf Schritte von ihnen im Schatten der Hecke im Graben liege und schlafe.

Der junge Schweizer, welcher gern den ersten Schuß haben wollte, schlug sogleich auf den Tiger an, mein Reisegefährte, der auf diese Ehre eifersüchtig war, verhinderte ihn am Feuern und meinte, der Tiger müsse zuvor geweckt werden, um im ehrlichen Kampfe zu unterliegen, und ehe man diese Kühnheit des auf seine Jagdgeschicklichkeit trotzenden Jünglings abwenden konnte, hatte derselbe bereits einen Stein ergriffen und denselben auf den Tiger geschleudert.

So wie derselbe den Stein empfangen hatte, knurrte er, sprang auf, streckte sich, setzte sich in die Position des Sprunges, um sich auf seine vor ihm stehenden Gegner zu stürzen, zu gleicher Zeit hatte aber mein Reisegefährte angeschlagen und feuerte im Augenblicke, wo der Tiger den Angriffssprung machte, so glücklich seine nur gewöhnliche Musketenkugel ab, daß diese dem Tiger durch das linke Auge in das Gehirn eindrang und ihn auf der Stelle tödtete. –

Da schon Fälle vorgekommen sind, daß ein Tiger 50 Kugeln erhalten hatte, ohne zu fallen, so nahm dieser Meisterschuß zwar der Jagd die möglichen Abenteuer, aber er schützte vor vielen unberechenbaren Zufälligkeiten und Gefahren. Sowie der Tiger den Schuß bekam, stieß er einen einzigen, aber furchtbaren und weit durch die Gegend dröhnender Schrei aus und stürzte auf dieselbe Stelle nieder, die soeben der glückliche Schütze durch einen Seitensprung verlassen hatte, da der Tiger ihn zum Ziele ausersehen haben mußte. In dem Jubel der glücklichen That stürzte sich der junge Mann auf den in den heftigsten Todeszuckungen liegenden Tiger, dessen krampfhafte Bewegungen noch immer einen Menschen hätten umbringen können, schloß ihn in seine Arme und rief: „er ist mein, er ist meine rechtmäßige Beute!“ – dann stieß er ihm das Bajonnett einige Male in das Herz und tödtete ihn vollends.

Dieser Tiger war eins der schönsten Exemplare seiner Gattung; er war weiblichen Geschlechts, nicht völlig zwei Jahre alt, also noch nicht ganz ausgewachsen, und maß doch schon von der Spitze der Nase bis an das Schweifende zehn Fuß. Er war so schwer, daß zwölf Mann der militairischen Begleitung nöthig waren, um ihn nach der Stadt zu tragen. Die Behörde schenkte den Tiger meinem Reisegefährten, und wollte ihm auch noch ein Geldgeschenk machen, was er aber ablehnte. Er verkaufte denselben später an einen englischen Kaufmann für 10 Pfund Sterling.




Mappen zur Gartenlaube.

Zur besseren Erhaltung der einzelnen Nummern der „Gartenlaube“ haben wir

elegante Mappen mit Goldverzierung

anfertigen lassen, die wir namentlich Familien angelegentlich empfehlen. Der Preis ist nur 13 Ngr.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_448.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)