Seite:Die Gartenlaube (1857) 451.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Gesicht lachte nur so vor purer, heller Freude. Der Kutscher mußte ausspannen und der Fremde mit dem Bedienten kehrte im Pfarrhof ein. Die Magd erzählte hinterher, sie hätte schon früh die Gaststube und die Kammer darneben herrichten müssen; der fremde Rath war also erwartet gewesen.

Bis er sich von der Kälte erholt und auch etwas Warmes zu sich genommen hatte, war’s dunkel geworden und die Kätter klopfte an die Stubenthüre. Sie sah leichenblaß aus, wie der Pfarrer zu dem fremden Rath sagte:

„Das ist die Katharine Clausin.“

Der Fremde nahm sie bei der Hand, sah ihr freundlich, aber ernst in die Augen und sagte:

„Unter Gottes Beistand wollen wir das Beste hoffen.“

Da stürzte ein Thränenstrom, den sie mit Gewalt zurück gehalten hatte, es war aber kein Haltens mehr, ihr aus den Augen und sie schluchzte und zitterte, daß ihr lang kein Wort über die Lippen ging. Die zwei Männer sahen sich auch nur stumm an. Nach einer Weile sagte der Pfarrer:

„Es ist nun die Zeit, wo ich jeden Abend zu Valt’s gehe; nimm Dich zusammen, Kätter, daß Du heut’ nicht auszubleiben brauchst. Es darf dort nicht geweint werden, nicht einmal die Stimme darf zittern, denn der Medicinalrath will dem Martin seine Augen heut’ schon beobachten und weder er noch der Alte darf es merken.“

Die Kätter wischte hurtig ihre Augen ab und nachdem sie eine Weile mit sich gekämpft hatte, trat sie vor die Beiden hin und sagte:

„An mir, da sei Gott vor, soll Keins was merken.“

Alle drei gingen zusammen fort, aber das Mädchen ließ die Andern doch eine große Weile voraus.

Valt’s waren gewaltig stolz darauf, wie der Herr Pfarrer ihnen sagte, sie sollten seinen Gast auch kennen lernen, darum käme er zu ihnen, wie jeden Abend. Der Herr Geheime Rath Welker sei ein alter Freund von ihm und auf einer Reise habe er ihn besucht.

Es wurde an dem Abend viel gesprochen und erzählt. Die beiden Herren machten einen Spaß nach dem andern. Dem Valt lachte das ganze Gesicht. „Gerade so hatte er’s gern.“ Die Kätter war unvermerkt auch gekommen und sprach zuerst heimlich mit der Anne in der Ofenecke. Zwischen durch, aber der Valt und sein Sohn konnten es nicht merken, trat der Fremde so nah an den Martin, als es ging, und sah ihm in die Augen. An seinem Gesicht war aber nichts zu sehen, was er drin gefunden. Einmal sah er auch in die vom Vater, aber nur einen Augenblick; er warf dem Pfarrer einen raschen Blick zu und schüttelte mit dem Kopfe und einer Hand, als wollte sagen: „Da ist kein Gedanke mehr daran.“

Nach ein paar Augenblicken ging es über das Gesicht von der Mutter wie ein Freudenstrahl. Die Anne war klug von Haus aus; aber alle Klugheit ist nichts dagegen, wenn die Mutterliebe den Blick schärft. „Wie der Fremde in die Augen vom Martin sah, da schüttelte er nicht mit Kopf und Hand“ — und die Anne war voll Hoffnung. Daß es für den Veit längst keine mehr gab, wußte sie ja lang.

Sie lag auch, nachdem Alle auseinander und zur Ruh’ gegangen waren, in ihrem Bett. Der Valt schlief schon lang neben ihr, aber sie fand keine Ruh! Sie setzte sich aufrecht und betete; sie legte sich und weinte und wieder betete sie, daß der Herr ihr gnädig sein möge. Endlich, wie immer keine Ruh’ über sie kommen wollte, stand sie auf, zog sich an und schlich die Bodentreppe hinauf. Dort schlief der Martin. Die Thür von seiner Kammer war nur angelehnt und sie ging hinein. Dort horchte sie nach dem ihres Sohnes hin. Da hoben sich die Athemzüge so leicht und gleich aus der Brust, daß sie wohl hörte, er schlief. Aber sie konnte es doch nicht lassen, sie ging bis dicht an das Bett heran, legte ihre beiden Hände darauf und sagte leise vor sich hin:

„Bleib’ bei uns. Herr Jesu Christ,
„Weil es nun Abend worden ist;
„In dieser letzten betrübten Zeit,
Verleih’ uns, Herr, Beständigkeit.

Nun war’s ihr leichter; sie ging aus der Kammer und so leise wie herauf, die Treppe wieder hinab, in ihr Bett zurück. Da krähte der Hahn im Stall und es schlug vier Uhr. Sie dankte Gott dafür, denn sie hatte gedacht, die Nacht nähme kein Ende. Vor Freude darüber merkte sie’s nicht, wie der Schlaf über sie kam, und wurde früh um sieben Uhr tüchtig ausgelacht, denn es war noch nicht da gewesen, daß es die „Mutter“ verschlafen hatte.

Es war noch nicht acht Uhr, da kam die Kätter und der Martin ging mit ihr in’s Pfarrhaus. Dem Alten sagten sie nichts davon; aber sie waren noch keine Stunde fort, so traten sie schon wieder bei den Eltern in die Stube. Die Anne sah’s im Augenblick, daß sie Gutes erfahren hatten. Hinter ihnen trat auch der Pfarrer herein. Ihm schimmerten Thränen in den Augen, aber die Anne wußte, daß es Freudenthränen waren, wie er ihr die Hand entgegen hielt. Er wollte sich sogleich neben den Valt setzen und ihm erzählen, welch’ ein Glück ihnen Allen verheißen sei, da wendete er sich selbst zu ihm, reichte ihm die Hände entgegen und sagte:

„Herr Pfarr, Sie brauchen mir nichts zu sagen, ich weiß, was Sie mir bringen; es ist der Sonnenschein für meinen Martin.“

Der Pfarrer und die drei Anderen sahen sich betroffen an und fanden nicht gleich Worte, da sagte der Valt und lächelte dazu, wie er’s manchmal that, wenn er einen Spaß machte, aber die Augen waren ihm roth dabei:

„Ja, ja, ich seh's schon eine ganze Weile mit an, was Ihr so klug gefabricirt habt. Weiß selber nicht, wie’s zuging, daß ich mir aus wie so viel winzig kleinen Sandkörnchen, die Ihr da oder dort habt fallen lassen, endlich in meinen Gedanken einen Tempel hab’ aufbauen können, in dem ich Gott für die Hoffnung danke, die er mir geschenkt hat. Aber nun weiß ich’s, nun ist’s gewiß, mein Martin wird wieder gesund.“

Er schluckte die Thränen hinab, die sich doch weiter heraufgedrängt hatten, als er sie sonst kommen ließ, wieder trat das Lächeln auf seine Lippen und mit dem Kopfe freundlich nickend sagte er:

„Ja, ja, könnt mir’s glauben, bin noch lang nicht so dumm, wie ich aussehe, werde auch so bald noch nicht dümmer; wenn ich auch mein Lebtag nichts mehr sehe.“

Halb mit Weinen und halb mit Lachen, wie’s der Alte selbst gethan, kam die Freude und Verwunderung der Anderen zu Tage. Der Pfarrer erzählte nun, daß der Arzt aus Berlin den Martin im Frühjahr operiren könne und gesagt habe, Mancher könne seiner gesunden Augen nicht so sicher sein, wie der Martin, daß er die seinigen wieder bekäme. Noch einmal blitzte im Gesicht vom Valt das närrische Lächeln auf und er sagte:

„Kätter, komm einmal zu mir.“ Und wie sie vor ihm stand, faßte er sie fest an der Hand: „Weißt Du’s nicht, Kätter, wie viel wohl so eine Reis’ von Berlin nach Heubach kostet?“

Das Mädchen wurde feuerroth und der Alte lachte, daß er sich schüttelte. Da trat der Pfarrer herzu und sagte:

„Valt, Ihr wißt wohl Alles?“

„Ja, Herr Pfarr, ich weiß Alles, aber der Martin weiß es nicht und dem muß ich’s sagen, daß das Mädchen ihre Granatschnur und ihren Henkelducaten und ihre Sparbüchs dran gewend’t hat, damit der Doctor aus Berlin herkäme.“

Der Martin streckte die eine Hand nach der Kätter aus, die andere hielt er vor seine Augen, da rief ihn der Alte zu sich:

„Reich mir Deine Hand, Martin, ich leg’ Dir was hinein, das sollst Du der Kätter schenken.“ Er that es und fühlte, die Andern sahen aber darin eine Granatschnur und einen Henkelducaten. Es waren der Kätter ihre. Der Alte aber klapperte mit einer blechernen Büchse und sagte:

„Davon kaufen wir eine Kuh, wenn Ihr beisammen seid. Der Martin muß sie aber selbst aussuchen.“

Wenn das Glück einkehrt, oder zwei Leute, die sich gern haben, zusammen kommen, gewöhnlich ist das einerlei, so hört das Erzählen auf. Bei Valt’s kehrte das Glück ein, mit ihm der Dank gegen Gott, der jedem Glück erst den Kranz aufsetzt. Der Geheime Rath Welker hatte selbst den alten Claus aufgesucht und er versprach, wenn der Martin curirt würde, wolle er nichts gegen die Heirath haben. Und der Martin wurde curirt.

Im April brachte ihn der Pfarrer Butzer nach Berlin und im Mai holte er ihn wieder ab. Sie kamen alle zwei auf dem Herrn Pfarrer seinem einspännigen „Wägele“ in Heubach an einem prächtigen Nachmittag angefahren. Die Sonne schien, die Vögel sangen, die Bäume standen in voller Blüthe und aus jedem Fenster, wo sie vorbeifuhren, lachte ihnen ein freundliches Gesicht entgegen, das aussah wie Willkomm!

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1847, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_451.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)