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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

zu erfreuen haben, und heißer Dank würde von so vielen Zungen für die Genesung ihres so hochverehrten Tondichters gen Himmel steigen zu dem, der allein helfen kann und der seine Geschöpfe väterlich durch unerforschte Wege dem von ihm gesteckten Ziele entgegenführt.

Daß Ihnen die zugesandten Werke von Händel große Freude gemacht haben, ist Lohn genug für mich, weil es ja meine einzige Absicht war, eine solche zu bewirken.

Ihren Wünschen zufolge habe ich ohne den geringsten Zeitverlust die Herren Smart und Moscheles für die gute Sache gewonnen, als auch die Directoren der philharmonischen Gesellschaft davon benachrichtigt. Auf meine dringende Vorstellung wurde ohne Verzug darüber berathschlagt, und die Folge war (weil die Veranstaltung eines Concertes zu viel Zeit erfordere), daß für’s Erste eine Summe von hundert Pfund Sterling an Sie remittirt werden solle, und Moscheles erbot sich, solches durch das Rothschild’sche Haus hier an das Haus des Barons Ekeles in Wien zu spediren, durch welches Sie nach Bedürfniß Gebrauch machen können. Das ganze Geschäft ward von mir und Moscheles mit aller Emsigkeit besorgt.

Endlich danke ich Ihnen recht herzlich für ihr gütiges Anerbieten, mir in Wien nützlich sein zu wollen, und indem ich Sie an Ihr mündliches Versprechen, mich mit einigen von ihrer lieben Hand geschriebenen Noten zu beglücken, erinnere, habe ich die Ehre zu verharren mit dem herzlichsten Wunsche für ihre baldige Genesung

Ew. Wohlgeboren
treu ergebenster Freund und Diener
J. A. Stumpff.

Frau Wilhelmine Schröder-Devrient (jetzt Frau von Bock), die große Schülerin des großen Meisters, die als Fidelio seinen herrlichsten Gedanken mit einer der seinigen gleich kühnen Genialität und ergreifender Begeisterung verkörpert und der ich nach einer solchen Vorstellung Beethoven’s rührenden Brief und Stumpff’s herrliche Antwort darauf vorlas, versicherte mich, die Hülfe sei zu spät gekommen; Beethoven habe bereits mit dem Tode gerungen, als ihm der Baron Ekeles das Geld habe einhändigen wollen. Er starb am 26. März.

Stumpff fuhr auch nach dem Tode des hochverehrten Freundes fort, das Andenken desselben zu verherrlichen. Als er 1824 von ihm schied, schenkte Beethoven ihm sein lithographirtes Portrait. „Ah!“ rief Stumpff, „dieses Bild ist Ihrer unwürdig. Ich werde in London ein besseres machen lassen.“ Er hielt Wort, er ließ von einem der berühmtesten Lithographen Londons auf seine Kosten ein großes ausgezeichnet schönes Portrait des „Meisters der Töne“ anfertigen, welches 1835 erschien.

Das Jahr 1829 ist in Stumpff’s Leben bezüglich seiner Pietät für deutsche Größe wieder merkwürdig. In den ersten Monaten desselben erhielt er einen sehr freundschaftlichen Brief von der Frau Etatsräthin von Nissen in Salzburg, worin sie ihm eröffnete, daß Mozart’s geliebte achtundsiebenzigjährige Schwester Maria Anna, Frau von Sonnenburg, in gedrückten Verhältnissen lebe und ihn bat, etwas für die arme Greisin zu thun. Den Brief der Frau v. Nissen hat mir Stumpff nicht mitgetheilt. „Er ist zu schmerzlich für mich gewesen,“ schreibt er mir, „und darf auf keinen Fall veröffentlicht werden.“ Wie zart ist die Discretion des edlen Mannes! Dagegen erhielt ich eine Abschrift des Briefes, welchen er mit einem Wechsel von 63 Pfund Sterling an Frau von Sonnenburg schickte, nebst dem Antwort- und Dankschreiben der Frau von Nissen.

An Frau von Sonnenburg, Mozart’s einzige Schwester.

London, 24. Juni 1829.

Theuere Freundin!

Gott gebe, daß dieser Brief nebst Inlage Sie gesund antreffe und Ihnen erfreulich sein möge! Der Ueberbringer desselben ist Herr N., ein Tonkünstler, besonders stark auf der Orgel, und ein großer Verehrer der unsterblichen Schöpfungen des Lieblings der Musen, Wolfgang Amadeus Mozart’s. Er ist auf einer Kunstreise begriffen und wünscht die persönliche Bekanntschaft der lebenden Musikkünstler zu machen. Wenn Sie, Madame, ihn einer geneigten Aufnahme würdigen wollten, so würden Sie mich sehr verbinden.

Der kurze Aufenthalt in dem mir so lieben Salzburg wird mir stets im Gedächtniß bleiben. Oft rufe ich mir die so flüchtig enteilten Stunden in die Seele zurück, wo ich durch Ihre Güte das Haus und die Kammer betrat, wo der große Tonpoet geboren ward, und mir dadurch ein von Jugend an gehegter Wunsch verwirklicht wurde. Nicht ohne Rührung denke ich an den Empfang, mit dem Sie mich beehrten. Wie oft stelle ich mir Sie, Madame, im Geiste in der Gestalt eines durch Leiden geprüften Wesens vor, das nun bereit ist, vor seinem Schöpfer und liebenden Vater zu erscheinen und den schönen Lohn der Treue aus seiner Hand zu empfangen. Doch wohin gerathe ich? Der Zweck dieses Briefes ist ja nur, Sie zu ersuchen, den Betrag des eingeschlossenen Wechsels von 63 Pfund Sterling von mir und einigen meiner Freunde anzunehmen als ein Zeichen der besonderen Hochachtung, die wir für Sie und den unsterblichen Mozart hegen. Sollte diese kleine Gabe vermögend sein, Ihnen einige Stunden zu versüßen, so würde es für mich besonders erfreulich und ein hoher Genuß für mein Herz sein.

Würden Sie mich mit einer geneigten Antwort beehren, so würde es mich und meine Freunde sehr erfreuen. Indessen habe ich die Ehre etc.

J. A. Stumpff.
Frau von Nissen an Stumpff.
Salzburg, 31. Octbr. 1829.

Mein hochgeschätzter Freund!

Heute, am 31. October, am Namenstage meines unvergeßlichen Mozart, wurde meine geliebte Schwägerin begraben. Es war mir äußerst rührend, von ihr noch zwei Tage vor ihrem Tode den Auftrag zu bekommen, welchen sie mir mit so vielem Dankgefühle gab und der darin bestand, mich zu beeilen, Ihnen, mein theurer Freund, ihr Dahinscheiden alsbald zu melden, und Ihnen vielmals für die großmüthige Gabe, welche Ihr Freund, Herr N., überbrachte, ihren innigsten Dank abzustatten. Ach, sagte sie, wenn ich’s nur selbst thun könnte! Sag’ auch unserm edlen Freunde Stumpff, daß seine Großmuth mir die Demüthigung erspart hat, Schulden zu machen, und daß ich nun, ohne Schulden zu hinterlassen, ruhig sterben kann. Auch lasse ich meinen edlen Stumpff bitten, allen denjenigen, die er dazu bewegt hat, beizutragen, in meinem Namen aufs herzlichste zu danken.

Dies waren ihre Worte, die ich mit gerührtem Herzen und Thränen im Auge niederschreibe. Und ich bitte, diese Trauernachricht Ihrem Freunde N. mitzutheilen. Ich werde Ihnen bald von meinen eigenen Angelegenheiten schreiben etc.

Constanze von Nissen.

Diese Angelegenheiten der Frau Etatsräthin mögen eben auch nicht die erfreulichsten gewesen sein. Ihre ferneren Briefe hat mir deshalb Stumpff’s Zartsinn als nicht für die Veröffentlichung geeignet vorenthalten und wahrscheinlich ganz vernichtet. Genug, einer Andeutung zufolge waren sie neue indirekte Anweisungen an seine nie ermüdende Großmuth. Wie er, dessen Casse wohl, dessen Liebe aber nie versiechen konnte, sie honorirt hat, weiß ich freilich auch nicht anzugeben.

Während Stumpff’s Liebesgabe die letzten Freudenstrahlen auf das erbleichende Gesicht der würdigen Matrone zauberte, die einst als Kind an des berühmten Bruders, des Wunderknaben Wolfgang Amadeus, Seite am Clavier in Wien, Paris und London bewundert worden war, stand er selbst, der anspruchslose gottfreudige Geber, mit andern Huldigungsgeschenken, wie er sie darzubringen pflegte, wieder an der Schwelle des ihm so theuren Goethehauses in Weimar. Jetzt wird er endlich vom alten Dichterfürsten als Freund empfangen und behandelt. Jetzt steht Goethe nicht mehr mit jener Steifheit, die den Ritter Lang so aufbrachte, vor „seinem werthen Landsmann“; jetzt sitzen die beiden Herren auf dem Sopha, und Goethe nennt den glücklichen Stumpff mit Nachdruck „Freund“; jetzt bittet der alte Dichter den lieben Gemüthsmenschen, ihn, so lange er in Weimar verweilen werde, jeden Abend zu besuchen, mit der Versicherung, daß dies ihm sehr angenehm sein werde.

Unserm Stumpff konnte nichts erwünschter sein; er war eine Woche lang alle Abende bei Goethe.

(Schluß folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_457.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)