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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Aber, was ist das, Lucilie? sie hat ja einen sonderbaren Nachgeschmack –“

„Vielleicht ist die Citrone etwas bitter gewesen,“ meinte das Fräulein leicht.

„Ja, so schmeckt es!“

Das Kammermädchen entfernte sich mit dem Glase. Jetzt nahm Frau von Kurow ihren ganzen Muth zusammen, um eine Erklärung der vorwaltenden Verhältnisse rasch und sicher einzuleiten.

„Wie gefällt Dir Herr von Schlabern?“ fragtc sie, sich aus ihrer Stellung erhebend, um eine Promenade im Zimmer zu beginnen, die ihre Bewegung besser zu verbergen vermochte.

Zuerst zögerte Lucilie, sichtlich befangen, dann erklärte sie offen: „Sehr gut! Er ist ein Mann von gediegenem Wissen, ohne pedantisch zu sein –“

„Und von unbeschreiblich gutem Herzen,“ fiel von Frau von Kurow ein.

„Dabei seine liebenswürdige Fröhlichkeit –. Wie bist Du mit ihm bekannt geworden?“

Frau von Kurow fuhr mit der Hand über die Stirn, als müsse sie sich besinnen. Sie blieb plötzlich stehen und faßte die Lehne des Sessels, um sich zu halten.

„Dir ist unwohl, Mama,“ rief Lucilie und umfing sie mit ihren Armen.

„O nicht doch, Kind,“ beschwichtigte die Mutter sie. „Ich bin nur beunruhigt, heftig beunruhigt, sonst fühle ich mich ganz gesund.“

„Dein Gesicht ist heiß und roth –. Mama, laß Dich nieder in Deinen Sessel,“ bat das Fräulein. Frau von Kurow richtete sich schnell aus Luciliens Armen auf.

„Ich bin nichts weniger als krank, Lucilie,“ sprach sie hastig. „Aber ich befinde mich in einer seltsamen Lage, daher meine Aufregung. Antworte mir ehrlich! Was würdest Du sagen –“ Wieder fuhr die Dame mit der Hand an ihre Stirn und sah leeren Blickes vor sich hin.

Geängstigt heftete Lucilie ihr Auge auf die Mutter und prüfte ihre seltsam angespannten Mienen, die ihr in der natürlichen Röthe der Wangen etwas Verzerrtes anzunehmen schienen, Sie war jetzt geneigt, diesen Zustand mehr der Einwirkung einer geistigen Unruhe zuzuschreiben, und horchte gespannt auf das, was kommen sollte, ohne den Versuch zu machen, den Ideenkreis zu durchbrechen, der den Grund der Beunruhigung in sich faßte.

„Was würdest Du sagen, meine Lucilie,“ begann Frau von Kurow abermals, „wenn ich Dir den Herrn von Schlabern als –“

Sie vermochte nicht weiter zu sprechen – das Schicksal nahm ihr das Wort von den Lippen. Als ob sie von einem Dolchstoß tödtlich getroffen wäre, fuhr sie mit der Hand nach dem Herzen und senkte ihren Kopf – Lucilie schrie laut auf und rief um Hülfe, indem sie mit aller Kraft die Mutter unterstützte, welche machtlos in ihre Arme glitt. Die Dienerschaft eilte herbei. Man brachte die ohnmächtig zusammengesunkene Dame auf das Sopha und rief den ersten, besten Arzt herbei.

Noch athmete Frau von Kurow, noch war das Leben nicht ganz verschwunden, allein der Arzt zeigte eine bestürzte Miene und verlangte den Hausarzt. Als er hinaus ging, um den Bedienten zu beauftragen, denselben herbeizuholen, folgte ihm das Kammermädchen in’s Vorzimmer.

„Was ist hier geschehen?“ fragtc der Doctor, der zu denjenigen Aerzten gehörte, welche immer eine besondere Ursache zu einem Todt haben wollen.

„Ach Gott,“ jammerte die Zofe, „meine gnädige Frau wird doch nicht sterben?“

„Das wird sie ganz gewiß!“ erklärte der Doetor fest. „Ist irgend eine Veranlassung zu diesem Falle da? Hat die gnädige Frau Gemüthsbewegung gehabt? Hat sie etwas eingenommen?“

Der Zofe fuhr schnell ein Heer von Gedanken durch das Gehirn. Sie wußte sehr gut Bescheid in den Herzensbewegungen ihrer Gebieterin. Sie hatte schlau erspähet, daß Herr von Schlabern heute plötzlich dem Fräulein eine innigere Theilnahme gezollt, als ihrer Gebieterin, und sie war sehr neugierig darauf gewesen, was diese Geschichte für eine Wendung nehmen würde. Jetzt fügte sie alle ihre Betrachtungen zusammen und theilte sie dem Arzte in regelrechter Folge dergestalt mit, daß er ihre Vermuthungen als Thatsachen anzusehen berechtigt zu sein glaubte. In der Nacht starb Frau von Kurow, ohne das Bewußtsein wieder erlangt zu haben. Der Schmerz Luciliens grenzte an Verzweiflung. Sie konnte nicht begreifen, daß die blühende, gesunde Mutter in der Kraft und Fülle des Lebens geknickt und dem Tode zum Opfer verfallen sein könne.

„Was ist der Grund ihres Todes?“ fragte sie den Hausarzt im wilden Tone.

„Ein Herzübel, das vielleicht längst den Keim zu diesem schnellen Ende gelegt hat,“ meinte der Hausarzt achselzuckend, während der Doctor, der zuerst gerufen war, einen zweideutigen Blick auf das junge Fräulein warf.




Eine Nacht und ein Tag war über das traurige Ereigniß hinweggerauscht. Wir finden Lucilie von Freunden umgeben, die sie beklagten und trösteten. Im dunkelsten Winkel des Zimmers saß eine traurige Gestalt, wortlos den niederbeugendsten Gefühlen hingegeben. Es war Clemens von Schlabern. Sein todtenbleiches Gesicht und sein starres Auge drückten mehr Weh aus, als alle die Klagelieder, welche von den Lippen aller Anwesenden tönten. Er hatte am Lager der Todten den schweren Zoll des bittern Schmerzes in einer einzigen Thräne entrichtet und diese Thräne war auf der friedlich geglätteten Stirn derselben verronnen und getrocknet.

Die Freunde verließen endlich das Trauerhaus. Clemens blieb stumm und traurig sitzen, bis sie Alle fort waren. Dann erhob er sich und trat vor das Fräulein hin, das erschöpft in eine wohlthätige Lethargie zu versinken schien.

„Gestatten Sie mir eine Frage,“ flüsterte er, zu ihr niedergebeugt; „Sie sprachen von einer Gemüthsbewegung, die Ihre Frau Mutter peinlich gequält. – Hatte diese Gemüthsbewegung Bezug auf mich?“

Lucilie erröthete heiß und ihre von Thränen schweren Augen senkten sich. Sie war in den Irrthum verfallen, ihre Mutter habe sagen wollen: „Was meinst Du, wenn ich Dir den Herrn von Schlabern als Gatten vorschlüge –?“

„Ich beschwöre Sie, mein Fräulein,“ flehete Herr von Schlabern, „beantworten Sie unverholen meine Frage. O mein Gott,“ fügte er leidenschaftlich hinzu, als Lucilie noch immer zögerte, „wie soll ich leben mit dem entsetzlichen Gefühle, den Tod dieser Frau verschuldet zu haben –!“

„Ihre Befürchtungen führen Sie zu weit,“ entgegnete sie leise.

„Aber, leugnen Sie nicht, ich gab den Grund dieser todbringenden Gemüthsbewegung ab?“ forschte der junge Mann.

„Wenn ich auch das nicht in Abrede stellen kann, so wäre doch die Art der Aufregung, worin meine Mutter sich befand, nicht als „todbringend“ zu bezeichnen.“

„Sie wollen nicht aufrichtig sein!“ rief Clemens verzweiflungsvoll.

„Mein Gott, mein Verhältniß zu Ihnen ist so sonderbar,“ antwortete Lucilie geängstigt. „Ich befinde mich plötzlich in so naher Beziehung zu einem Manne, der mir vor achtundvierzig Stunden noch gänzlich fremd war –“

Der Eintritt des Kammermädchens unterbrach sie. „Der Criminalrath Buggenborg wünscht aufzuwarten,“ meldete sie mit einem Gesichte, auf welchem Neugier und Schrecken sich malte. Fräulein von Kurow erhob sich ein wenig aus ihrer hinfälligen Lage.

„Ich bin außer Stande, ihn zu empfangen. – Entschuldige mich, Nannette,“ sagte sie freundlich.

Das Mädchen ging bis zur Thür, wendete sich aber dort und sagte verlegen: „Ich habe schon versucht, Sie zu entschuldigen –.“

„Was kann der Herr weiter wollen, als eine Condolenzvisite machen,“ warf der Herr von Schlabern ungeduldig ein. „Seine Karte wird vollständig zu diesem Zwecke genügen.“

Das Kammermädchen richtete ihren naseweis klugen Blick auf den jungen Herrn, dessen vornehme Schroffheit ihr nie gefallen hatte.

„Der Herr Criminalrath sprach von Geschäften,“ sagte sie keck.

„Um so eher muß er abgewiesen werden,“ entschied Herr Clemens. Mamsell Nannette ging hinaus.

(Schluß folgt.)



 

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_463.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)