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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

hatte, traf ich im Hauptquartiere des Regiments ein, das in einer Fabrikstadt im Norden Englands stand. Während der ersten vier Monate blieb ich ziemlich fest an den Kasernenhof gefesselt, um all’ die verschiedenen Uebungen, Exercitien und sonstige Obliegenheiten zu erlernen. Es ist eine außerordentliche Anomalie, daß die jungen Officiere in ihren Dienstpflichten erst dann unterrichtet werden, nachdem sie bereits in ihre Posten eingetreten sind, und nicht schon vorher. Gar oft sah ich so einen neuernannten Fähnrich erst reiten lernen, – ohne Steigbügel in der Reitschule herumtorkelnd, nicht selten von dem Reitlehrer ziemlich unsanft angeschnauzt und schallend verlacht von den Soldaten, – der einige Stunden später einen Trupp beim Stalldienste commandirte, von dessen Einzelheiten er weniger verstand, als die Pferde, die eben gestriegelt wurden. Ich fordere alle Soldaten, über die ein solcher Junge Autorität ausüben soll, heraus, irgend welchen Respect vor einem Gelbschnabel zu haben, der auch nicht das Geringste von seinen Berufspflichten kennt und vor ihren Augen erst erlernen muß, was sie alle vollständig inne haben und viele unter ihnen schon wußten, noch ehe er geboren war.

Nach ungefähr sechs Monaten hatte ich meine Reitschule und das Exercitium absolvirt und in noch dreien konnte ich bei einer Feldübung das Commando einer Abtheilung übernehmen, ohne gerade viel mehr Verstöße zu machen, als meine Nebenmänner. Mit dieser Fertigkeit fing ich an ein gewisses Interesse an meinem Fache zu nehmen und würde vielleicht noch ein ziemlich guter Soldat geworden sein, wenn ich bei den älteren Officieren einige Aufmunterung gefunden hätte. Allein bei den leichten Dragonern, wie beinahe in jeder anderen Waffengattung des Heeres, galt es für höchst pöbelhaft und unleidlich, von irgend etwas zu sprechen, was mit der Dienstpflicht zusammenhing. Der Oberst, der das Corps commandirte, war der jüngere Sprosse eines hochadeligen Hauses und hatte sich durch gewichtigen Einfluß und enorme Geldauslagen in sehr wenig Jahren zu seiner gegenwärtigen Stellung emporgeschwungen. Er schien das Regiment ganz als sein Privateigenthum zu betrachten und war sehr ungehalten, selbst wenn die obersten Behörden des Kriegsamtes sich viel in sein Commando einmengten. Er war verheirathet, und außer auf den Paraden und in den Stallungen sahen wir nur wenig von ihm; da er uns aber so viel Urlaub gab, als wir nur wünschten, und uns nicht mit vielem Exerciren plagte, so war er sehr beliebt bei seinen Officieren und erfreute sich durch die ganze Cavallerie des Rufes eines ganz ausgezeichnet guten Kerls. Die Wahrheit ist, daß er bei all’ seiner wirklichen Liebe für den Beruf sowohl, wie für das Regiment, doch zu viel Verstand besaß, um das Unmögliche zu unternehmen. Gleich so vielen Andern in seiner Stellung erkannte er, daß seine Officiere eben keine Soldaten waren und Nichts sie dazu machen könne, so lange das gegenwärtige System fortbesteht. Die sämmtlichen Geschäfte des Regiments wurden allein nur von dem Oberstlieutenant, seinem Adjutanten – ein tüchtiger Mann von mittleren Jahren, der ganz von unten auf gedient hatte und mit allen Theilen des Dienstes auf’s Genaueste vertraut war, – und sechs Wachtmeistern versehen. Die Rittmeister wußten blutwenig von den Leuten oder Pferden ihrer Schwadronen, und die Lieutenants noch weniger. Wünschte der Oberst oder der Adjutant von einem Rittmeister irgend etwas seine Mannschaft Betreffendes zu erfahren, so mußte er, um eine richtige Antwort zu bekommen, sich jedes Mal direct an den Wachtmeister der Schwadron wenden. Capitaine durch Kauf wissen überhaupt nur selten viel von ihren eigenen Soldaten. So unbedingt waren Berufsgegenstände in der Unterhaltung meiner Cameraden verpönt, daß man unsre Officierstafel wirklich erst jahrelang besucht haben mußte, um zu glauben, mit welchem Spotte und welcher Verachtung jede Frage, die sich auf den „Kram“ bezog, sogleich abgetrumpft wurde. Das Gleiche war bei jeder Officierstafel wahrzunehmen, an der ich gespeist habe, und es sind nur wenige in der ganzen Cavallerie, deren Gastlichkeit ich nicht genossen hätte. Pferde, Hunde, Jagen, Schießen, Wettrennen, das Ballet und die Adelschronik, das sind die immer wiederkehrenden Gegenstände aller Gespräche, der Inhalt aller Kenntnisse; von Kriegskunst und Kriegsgeschichte dagegen, von Einüben der Menschen und Pferde, wissen sie nichts, wollen sie nichts wissen noch hören und ebensowenig dulden, daß ihre Cameraden etwas davon lernen. Eins der ersten Dinge, die ein junger Mensch nach seinem Eintritt in ein Regiment von seinen Cameraden lernt, ist, jede Art von Dienstpflicht als „Plackerei“ zu bezeichnen. Einmal in einer Woche oder zehn Tagen auf Wache sein, ist Plackerei; die Stallungen besuchen und täglich eine Stunde lang thun, als beaufsichtige man das Pferdeputzen, ist Plackerei; zwei oder drei Tage Feldübungen in zehn Wochen, ist Plackerei; als Mitglied bei einem Kriegsgericht sein müssen, ist entsetzliche Plackerei; und auf der Straße die Uniform tragen – wie es in Dublin und einigen andern großen Städten reglementmäßig ist – das ist eine ganz unerträgliche Plackerei. Keinen Urlaub erhalten nach London während der Saison, nach Doncaster oder Newmarket zu den Wettrennen, nach Schottland im August oder im October nach Leamington, sind es überschwengliche Plackereien, daß schon gar mancher patriotische Capitain in Folge dessen ausverkauft hat.

Nicht als ob es solche Krieger an der Art hätten, sich dergleichen, aus der Dienstpflicht entspringende Plackereien lange gefallen zu lassen. In dieser Beziehung sind sie nur consequent. Sie treten in die Armee, weil es ihnen gerade Spaß macht, und aus demselben Grunde treten sie auch wieder aus. Es sind mir selbst Rittmeister bei den Dragonern bekannt, welche die Wirthschaft, wie sie es nennen, stehenden Fußes aufgaben, und was die geringeren Officiere anlangt, „so kann man“ – nach dem Ausdrucke eines alten Wachtmeisters, – „zu keiner Zeit wissen, welche Fähnriche und Lieutenants in den nächsten zehn Minuten noch zum Regimente gehören.“ Ich erinnere mich eines Rittmeisters, der erst kürzlich aus Indien zurückgekehrt war und dem sein Oberst einen dreitägigen Urlaub nach London abschlug. Fünf Minuten nach der Weigerung stand er im Zimmer des ersten, zum Kaufe vorgemerkten Lieutenants und frug ihn, wie viel er ihm geben wolle, wenn er ausverkaufe. „Wenn Sie Ihre Papiere diesen Nachmittag einsenden, will ich so und soviel (eine große Summe nennend) zahlen.“ Die Papiere wurden eingesendet, eine Anweisung auf die verabredete Summe wurde ausgestellt, und innerhalb vierundzwanzig Stunden war der Rittmeister ein freier Mann und der Lieutenant ein Rittmeister. Ich wüßte wenigstens zwanzig Officiere und mehr, die während meiner Dienstzeit wegen irgend einer kleinen Empfindlichkeit augenblicklich die Armee verließen. Das ist natürlich: die Officiere betrachten ihre Stellen einfach als Privateigenthum, – was sie bei dem gegenwärtigen Systeme auch wirklich sind, – und glauben sie mit demselben Rechte nach ihrem Belieben wieder verkaufen zu können, wie sie sie gekauft haben.

Nachdem ich ungefähr zwei Jahre im Regiment war, wurde ich ältester Fähnrich für den Kauf und hatte auch bald Gelegenheit, meine Beförderung zum Lieutenant zu erlangen. Was war mein Anrecht auf dieses Avancement? Geld, weiter gar nichts. Vor mir stand ein Officier, der von unten auf gedient und viel Kriegsdienst gesehen hatte, als das Regiment in Indien stand. Dieser Herr war seit beinahe zwanzig Jahren Soldat und nur durch sein Verdienst vom Gemeinen durch alle Grade bis zum Fähnrich und Regimentsadjutanten aufgestiegen. Weil er aber kein Geld besaß sich das Lieutenantspatent zu kaufen, so sprang ich, nach zweijährigem Dienste, über ihn hinweg. Mit Einschluß dessen, was mein Vater für meinen ersten Posten gezahlt hatte, kostete mein jetziger Rang 1760 Pfund (11,800 Thlr.). Der gesetzliche Preis für eine Lieutenantstelle ist 1160 Pfund (7800 Thlr.) und die Parlamentsacte so wie das Armeereglement erklärt jede Mehrzahlung für ein gerichtlich zu bestrafendes Vergehen; nichts destoweniger wird kaum je eine Stelle in der Armee um den gesetzlichen Preis verkauft, ja das Doppelte wird oft den älteren Officieren geboten, um sie zum Ausverkauf zu bewegen. Für die 1760 Pfund, die mein Vater für meine Patente ausgelegt hatte, erhielt ich ein jährliches Einkommen von 162 Pfund (1100 Thlr.), was bei weitem nicht meine monatliche Tischrechnung deckte. Ich war keineswegs verschwenderisch, sondern hielt im Gegentheil mein Geld sehr zusammen, und doch kamen meine Kasernenkosten – d. h. Alles, was ich ausgab, wenn ich wirklich beim Regimente anwesend war – niemals unter 50 Pfund (340 Thlr.) des Monats, und nur wenige meiner Cameraden gaben so wenig aus, wie ich. Hieraus ist ersichtlich, daß es reine Verrücktheit wäre, ohne ein ziemliches Privateinkommen in ein Cavallerieregiment treten zu wollen. Auch unterrichtet sich das Kriegsamt immer über die Mittel der Candidaten für solche Regimenter, ehe eine Ernennung stattfindet. In den Infanterieregimentern ist, wie ich glaube, die Lebensweise nicht so kostspielig, obwohl in dieser Waffengattung selbst junge Officiere immer 2 bis 300 Pfund (1400–2000 Thlr.) außer ihrem Gehalte jährlich haben müssen, um wie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_499.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)