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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

No. 37. 1857.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Die Auferstehung.
Novelle von Max Ring.
(Fortsetzung.)

„Ich bin durchaus nicht böse,“ sagte er beschwichtigend. „Ich muß Ihnen vielmehr für Ihre Besorgniß und Aufmerksamkeit noch danken.“

„Ich habe aber Unrecht gethan, ohne Ihre Erlaubniß ein Buch aus Ihrer Bibliothek zu nehmen.“

„Wenn es weiter nichts ist, so können Sie ganz ruhig sein. Wenn Ihnen das Buch Vergnügen macht, und das hoffe ich, da Uhland auch mein Lieblingsdichter ist, so nehmen Sie es nur immer mit und behalten Sie es, bis Sie es ausgelesen haben. Ich wußte nicht, daß Sie so gern lesen, sonst hätte ich Ihnen schon früher die Erlaubniß gegeben, meine Bibliothek zu benutzen.“

„O! Sie sind so gut, so gut –.“

In dem Tone ihrer Stimme lag eine Hingebung, eine Liebe ohne Grenzen, die, ohne es zu wollen und nur zu ahnen, sich jetzt verrieth. Theodor merkte weiter nicht darauf, da er mit dem Aufziehen seiner Uhr beschäftigt war und seine Gedanken bei Clementinen weilten. Die Wirthschafterin zündete mit zitternder Hand den kleinen Küchenleuchter an, den sie mitgebracht hatte.

„Gute Nacht, Herr Assessor,“ flüsterte sie mit gesenkten Blicken.

„Gute Nacht,“ entgegnete er zerstreut, sie kaum ansehend.

Die Thür schloß sich hinter der anmuthigen Gestalt und bald hatte Theodor die Erscheinung des armen Mädchens vergessen.




II.

Am anderen Tage erwachte Clementine von Wilden erst am späten Morgen gegen elf Uhr. Ihre Friseurin mußte so lange warten; dann brachte sie eine Stunde an ihrer Toilette zu, so daß der Mittag fast herannahte, ehe sie sichtbar wurde. Als sie in das Zimmer ihrer Mutter trat, fragte sie sogleich, ob ihr Verlobter nicht schon dagewesen. Er pflegte sonst an jedem Morgen zu kommen, ehe er seinen Amtsgeschäften auf der Regierung nachging. Heute erwartete sie um so mehr seinen Besuch, da es der Morgen nach einem Balle war.

„Ich begreife nicht,“ sagte sie gereizt über sein Zögern, „wo Theodor bleibt!“

„Aufrichtig gesagt,“ entgegnete die Präsidentin, deren Stolz in der Residenz bekannt war, „Dein Verlobter läßt es seit einiger Zeit auffallend an der nöthigen Aufmerksamkeit gegen Dich fehlen.“

„Du thust ihm Unrecht, liebe Mutter!“

„Ich weiß, was ich sage. Statt die Ehre zu würdigen, die ihm durch eine Verbindung mit unserer Familie zu Theil geworden, stimmt er einen Ton an, der mir nicht gefällt. Hat er nicht neulich erst dem Vater geradezu widersprochen, als dieser wegen der erledigten Rathsstelle sich für ihn bei dem Minister persönlich verwenden wollte? Der junge Herr will seine Beförderung lediglich seinen Verdiensten zu verdanken haben. Lächerlich! Mit solchen Grundsätzen kommt man nicht weiter und wenn er seinen Sinn nicht ändert, kann er ewig Assessor bleiben!“

„Theodor besitzt allerdings einen Stolz, den ich nicht mißbilligen kann. Er ist noch jung und sein Vermögen sichert ihm eine gewisse Unabhängigkeit.“

„Und doch lasse ich es mir nicht ausreden, daß Du eine bessere Partie hättest machen können. Ich räume Dir ein, daß sein Reichthum und die übrigen Eigenschaften nicht zu verachten sind, aber dafür mußt Du auch die ganze bürgerliche Familie in den Kauf nehmen und vor Allem eine Schwiegermutter, die gewohnt ist, das Regiment im Hause zu führen. Du wirst einen schweren Stand ihr gegenüber haben.“

„Die Commerzienräthin scheint mir eine gute Frau zu sein und ich habe bis jetzt keinen Grund gehabt, mich über ihr Benehmen zu beklagen.“

„Mir kann es recht sein, aber ich glaube kaum, daß ich mich mit der Frau befreunden werde. Sie hat so beschränkte Ansichten und ganz die Manieren der reichgewordenen Parvenus, die mir in der Seele zuwider sind.“

Clementine schwieg, da sie die Vorurtheile ihrer Mutter kannte; sie war an derartige Gespräche schon gewöhnt. Die Präsidentin betrachtete trotz aller pecuniären und anderen Vortheile die Verbindung ihrer Tochter mit dem bürgerlichen Assessor als eine Art Mesalliance von ihrem Standpunkte aus; sie hielt auf ihren Adel und auf die hohe Stellung, welche ihr Gatte einnahm. Trotzdem liebte sie Clementine zu sehr, um ihrer Neigung hindernd in den Weg zu treten. Auch war die lebenskluge Dame keineswegs blind für die Annehmlichkeiten eines großen Reichthums, den Theodor aufzuweisen hatte. Sein Vermögen fiel bei ihr um so mehr in’s Gewicht, da sie eine zahlreiche Familie besaß und sich deshalb selbst bei dem ansehnlichen Gehalte des Präsidenten manche Beschränkung auferlegen mußte. Nichtsdestoweniger empfand sie eine deutlich ausgesprochene Abneigung gegen diese Verbindung, da der Assessor eben so wenig wie die Commercienräthin nach ihrer Meinung die ihnen angethane Ehre hinlänglich zu würdigen schienen. Ihre Unterhaltungen mit Clementine drehten sich meist um diesen einen Punkt und unwillkürlich mußte die so oft wiederholte Ansicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 501. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_501.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)