Seite:Die Gartenlaube (1857) 502.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

der Mutter auf die Gesinnung der Tochter einen nachtheiligen Einfluß ausüben. So lange diese sich selbst überlassen blieb und dem richtigen Gefühle ihres Herzens folgte, war sie voll Liebe und Zärtlichkeit für Theodor; aber diese Stimmung hielt nicht immer vor, und es gab auch Augenblicke, wo sie den Einflüsterungen der Präsidentin um so leichter Gehör schenkte, wenn sie sich, wie jetzt, von ihrem Verlobten vernachlässigt oder sonst gekränkt glaubte.

Der Mittag nahte heran und Theodor war noch immer nicht erschienen. Sein Ausbleiben fing sie an zu beunruhigen, da sie keinen Grund dafür zu finden vermochte. Ihr anfänglicher Uebermuth machte einer ängstlichen Besorgniß Platz.

„Er wird doch nicht ernstlich krank geworden sein?“ sagte sie zu der Mutter. „Auf dem Balle klagte er über leichtes Unwohlsein. Ich möchte unsern Bedienten schicken, um mich erkundigen zu lassen.“

„Das sähe aus, als ob Du ihm nachlaufen wolltest. Ich hätte Dich nicht für eine solche Närrin gehalten.“

„Aber, wenn er wirklich erkrankt wäre?“

„Thorheit! Ich kenne das. Dein Bräutigam ist ein verzogenes Muttersöhnchen. Wenn der den Schnupfen hat, so bringt ihn die Frau Commerzienräthin schon zu Bette und läßt ihn Kamillenthee trinken. Du wirst Deine liebe Noth mit dem einzigen Sohne haben.“

Die Präsidentin bemühte sich, die Furcht der Tochter lächerlich zu machen, und es gelang ihr auch auf einige Zeit, ihre Unruhe zu beschwichtigen. Eine halbe Stunde war so verflossen, als der Bediente der Commerzienräthin eintrat; er brachte für Clementine einige Zeilen von Theodors Hand, worin er sich zärtlich nach ihrem Befinden erkundigte. Zugleich meldete er in scherzhaft beruhigendem Tone, daß ein leichtes Kopfweh ihn daran verhindere, persönlich zu erscheinen, wogegen er die bestimmte Hoffnung gab,, sie den nächsten Tag zu sehen.

„Ich ahnte es gleich,“ sagte Clementine, nachdem sie gelesen hatte. Zugleich griff sie, dem ersten Triebe ihres Herzens folgend, nach ihrem Hut und Shawl.

„Wohin willst Du gehen?“ fragte die Präsidentin.

„Zu Theodors Mutter, um mich selbst zu überzeugen.“

„Du bist wirklich reif für ein Irrenhaus. Ich erkenne Dich nicht wieder. Mein Gott! was ist denn schon weiter, wenn einmal der junge Herr über Kopfschmerz klagt? Ich glaube gar, daß Du ernstlich die Absicht hast, Dich an seinem Bett als barmherzige Schwester zu etabliren und ihm kalte Umschläge zu machen, die für Dich nöthiger wären, als für ihn.“

Der Spott der Mutter verfehlte seine Wirkung nicht und Clementine gab ihr ursprüngliches Vorhaben auf, aus Furcht, sich lächerlich zu machen. Sie legte Hut und Shawl wieder ab und blieb, obgleich sie eine gewisse Unruhe und ein unbehagliches Gefühl nicht gänzlich verbergen konnte. Es war ihr, als hätte sie Unrecht gethan, nicht ihrem ersten Entschlusse sogleich zu folgen, als hätte sie eine dringende Pflicht versäumt. Sie war mit sich selber unzufrieden und ihr Herz machte ihr im Stillen Vorwürfe. Aber diese unbehagliche Stimmung war bald wieder verschwunden, als der Kammerherr, Baron von Rummelskirch, sich melden ließ und dem Bedienten auf dem Fuße folgte. Der feine und gewandte Hofmann entschuldigte seinen Besuch mit so vieler Liebenswürdigkeit und machte seine verwandtschaftlichen Rechte, wegen deren bisheriger Vernachlässigung er sich selbst am meisten anklagte, jetzt so dringend geltend, daß er Mutter und Tochter in gleicher Weise bezauberte. Ein Stündchen verfloß so schnell, daß Niemand wußte, wo es hingekommen. Der Kammerherr wußte so reizend zu erzählen, so anmuthig zu spotten und die Gesellschaft des Opernballes mit so pikanten Zügen vorzuführen, daß die Damen sich nie besser unterhalten zu haben glaubten. Er verstand es, eine Menge persönlicher Anekdoten und kleiner, interessanter Geschichten einzuflechten; er war mit allen Vorgängen bei Hofe und in der Stadt auf das Innigste vertraut; selbst das Unbedeutendste, und eigentlich sprach er, näher besehen, nur von lauter unbedeutenden Dingen, erhielt in seinem Munde einen eigenen Reiz. Auch seine äußere Erscheinung verfehlte nicht, trotzdem er bereits ein angehender Vierziger war, einen angenehmen Eindruck zu machen. Mit Hülfe seines Friseurs, des Schneiders und anderer Toilettenkünstler erschien er höchstens wie ein junger Mann von dreißig Jahren in der knappen Uniform, welche von einer ganzen Reihe verschiedener in- und ausländischer Orden bedeckt war, die er seinen großen Verdiensten beim Arrangement von Hoffesten und ähnlichen Feierlichkeiten zu verdanken hatte. Dazu besaß er eine weiße, sorgfältig gepflegte Hand, um die ihn sicher jede Dame beneiden mußte; aber er verstand es auch, dieselbe zu zeigen und den prachtvollen Brillanten an seinem Finger schimmern zu lassen.

„Ein charmanter Mann!“ sagte die Präsidentin, nachdem der Kammerherr sich empfohlen halte.

„Ich finde ihn auch äußerst liebenswürdig,“ entgegnete Clementine.

„Er war sehr artig gegen Dich. Sein Besuch kommt mir aber doch so sonderbar vor.“

„Ich finde durchaus nichts Auffallendes darin; eine gewöhnliche Artigkeit.“

„Er scheint sich ganz besonders für Dich zu interessiren.“

„Das glaube ich nicht; er weiß, daß ich Braut bin.“

„Schade!“ platzte die Präsidentin heraus, ohne den Satz zu vollenden.

Clementine brach das Gespräch ab, um nicht der Präsidentin zu neuen verletzenden Aeußerungen Veranlassung zu geben, obgleich auch ihr die Aufmerksamkeit des Kammerherrn nicht entgangen war, wodurch ihre Eitelkeit sich mehr, als sie sich selber gestehen wollte, geschmeichelt fühlte. Den ganzen übrigen Tag blieb sie zerstreut und mißgestimmt. Gern hätte sie Theodors Mutter aufgesucht, um sich nach dem Befinden ihres Verlobten zu erkundigen, aber sie fürchtete von Neuem den Spott der Präsidentin. Als sie aber auch am nächsten Morgen keine Nachricht von ihm erhielt, so eilte sie ohne Besinnen nach seiner Wohnung. Sie fand daselbst die Commerzienräthin, deren Gesicht nichts Gutes zu verrathen schien. Auf ihr Befragen erfuhr sie, daß Theodor eine schlechte Nacht zugebracht hatte. Zu seinem Kopfschmerz war ein Fieber hinzugetreten, das der herbeigerufene Medicinalrath nicht für ganz unbedeutend hielt.

„Darf ich ihn sehen?“ fragte Clementine.

„Der Medicinalrath hat ihm zwar dringend Ruhe empfohlen, aber mit Dir darf ich wohl eine Ausnahme machen,“ sagte die besorgte Mutter. „Theodor hat schon mehrere Male nach Dir gefragt, und ich glaube, daß Dein Anblick ihm wohlthun wird.“

Die Damen traten in das Krankenzimmer, worin Theodor lag. Die Vorhänge waren auf Anordnung des Doctors herabgelassen, um die blendenden Sonnenstrahlen abzuwehren. Es herrschte jene eigenthümliche, drückende Atmosphäre, die man in Patientenstuben gewöhnlich zu finden pflegt. Der Kranke lag auf seinem Bett mit einer leichten Decke zugedeckt. Seine Wangen waren unnatürlich geröthet, seine Augen, die tief in den Augenhöhlen lagen, zeigten einen eigenen Glanz, als wenn sie verglast wären; sein Blick hatte etwas Stieres und der Ausdruck seiner Züge schien eine große Abgespanntheit und Stumpfheit des Geistes zu verrathen. Die Commerzienräthin war voran gegangen, um Theodor auf den Besuch seiner Braut vorzubereiten. Ein schwaches, freundliches Lächeln schwebte um seine von der Fiebergluth vertrockneten Lippen; er streckte ihr die brennende Hand entgegen. Die stechende Hitze derselben fiel Clementinen unangenehm auf. Sie sprach einige zärtliche Worte, die er in gleicher Weise zu erwidern sich bemühte. An eine zusammenhängende Unterhaltung war nicht zu denken, da das Sprechen dem Kranken schwer fiel, und der Arzt die größte Schonung ohnehin empfohlen hatte. Dies Stillschweigen hatte etwas Beängstigendes für sie; die ganze Umgebung war ihr drückend; sie sehnte sich wieder hinaus in’s Freie, obgleich sie kaum eine Viertelstunde an seinem Bette verweilt haben mochte. Es war keineswegs ein Mangel an Zärtlichkeit; denn sie war ihrem Verlobten von ganzem Herzen zugethan, aber sie konnte den Anblick von Leidenden nicht gut vertragen. Die Luft der Krankenstube, die Medicinflaschen, die heruntergelassenen Vorhänge, die ganze Atmosphäre war dem vom Glücke verwöhnten Mädchen innerlich zuwider. Die Natur hatte ihr jene schönsten weiblichen Tugenden versagt – Geduld und Hingebung. Es fehlte ihr nicht an wahrer Theilnahme, aber sie hielt Theodor’s Zustand keineswegs für gefährlich, und sah in dem Allen nach dem Vorgange der Präsidentin nur die Verwöhnung des einzigen Sohnes und die zu weit getriebene mütterliche Zärtlichkeit der Commerzienräthin.

Aber schon die nächsten Tage lieferten ihr leider den Beweis, daß der Zustand ihres Verlobten keineswegs so leicht zu nehmen war, wie sie glaubte. Die Krankheit hatte rasch zugenommen, und der erfahrene Medicinalrath schüttelte bei jedem neuen Besuche bedenklich

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_502.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)