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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

über Beschränkungen der Musik und über fast unterdrückte Sonntagsvergnügen durchzitterten die Luft; der neue Landrath wurde genannt und mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft das trostreiche Wort geseufzt: „es kann nicht ewig dauern,“ „nur neue Besen kehren gut.“

Am Knabenberge vorbei, standen wir über dem mächtigen Knabenzwinger Schulpforta. Ruhig und kalt lag es da, und nur Arbeiter, die an der Restauration der Kirche beschäftigt waren, unterbrachen die Stille. Wir ruhten nur wenig an dem Orte der Prügel und der Thränen und hatten bald das liebliche Thal von Kösen mit seinen Salinen-Werken vor uns.

Kösen wimmelt von Weibern, die theilweise ihre serophulösen Kinder den stärkeren Salzbädern zur Reinigung anvertrauten, größtenteils aber, wie in so vielen anderen Badeorten, in träger Ruhe den Tag hier zubringen. Sie trieben sich von einer Aussicht auf die andere, von einem Stuhl auf den anderen, nehmen hin und wieder aus langer Weile das feine Stück Battist vor, mit der Absicht, das zu thun , was sie arbeiten nennen, erwarten alle Sonnabend Abend ihren Mann, der in der Hauptstadt den mühsamen Gang der Geschäfte ordnet, und klatschen und machen sich lustig über Leute, die weniger Faulheit und weniger Reichthum entwickeln als sie. Die sogenannten vornehmenen Jüdinnen der Residenz nehmen auch hierin den breitesten Platz ein.

Ein Mann ist in Kösen, wie im Lande der Amazonen, der Seltenheit wegen sehr geschätzt, aber ich glaube nicht, daß sich einer

Equipage in Kösen.

der Durchreisenden auf längere Zeit fesseln ließe; die Crinoline allein zieht nicht, wenn auch die Mode des Tages, der breite,

Die dicke Jüdin.

braune Hut mit dem Bindfaden, wohlthätig verhüllt, was man, leichtsinnig genug, gewohnt ist, zuerst zu betrachten.

Ueber die „Katze“ einen kleinen Vergnügungsort von kindlicher Bescheidenheit, durch Wiesen und Gestein erstiegen wir, nachdem wir bei einem Concert obige Bemerkungen gemacht, die Rudelsburg. Noch aus den Trümmern erkennt man den großen Umfang es alten Raubnestes, das, als die hohen Erpressungen, der schwere Zoll, Brücken- und Geleitsgeld, überhaupt die ganze freche Straßenräuberei des damaligen Besitzers zu sehr überhand nahmen, mit so und so viel anderen Wohnungen der Steigreifritter und Schnapphähne von dem erzürnten Habsburger vernichtet wurde. Gänzlich unbewohnt und nur von Fremden besucht, die sich der herrlichen Aussichten erfreuen, ist die Burg erst seit Anfang des vorigen Jahrhunderts. Der Hofraum, eine Halle, mehrere Fensternieschen und offenen Gallerien bieten reizende Plätzchen für den erschöpften Wanderer, in denen er sich dem Genuß des „Bairischen“ oder des Glases Milch ergeben kann, wenn er nicht das Unglück hat, durch die Corpulenz einer mit mehreren Küchlein herumschwappenden Tochter Juda’s darin gestört zu werden. Zwei nur durch ein kleines Thal von der Rudelsburg getrennte Thürme, die sich als unheimliche riesige Silhoutten auf dem hellen Abendhimmel abzeichneten, sind die einzigen Reste der Burg Saaleck. Einst Karl dem Großen gehörig, wurde sie im vierzehnten Jahrhundert durch die Bischöfe von Naumburg der Schauplatz der wüstesten Orgien.

Am Morgen des nächsten Tages erstiegen wir noch den „Göttersitz“ und fuhren dann wieder, um Zeit zu gewinnen, per Eisenbahn nach Weimar.

Es ist die eine kleine Residenz in des Wortes verwegenster Bedeutung, sauber und langweilig; nur das im gothischen Style erbaute Rathhaus macht in der Masse der nichtssagendenen Gebäude einen noblen Eindruck. Herder, Wieland, Schiller und Goethe haben in Weimar gelebt und ihre Häuser sind theilweise noch zu sehen, Das des Letzteren wird von der Familie vermiethet und ist jetzt ein englischer Speculant eingekommen, um es zu einem Erziehungs-Institut für junge Engländer einzurichten. Um den Namen der vier Geistesheroen einigermaßen gerecht zu werden, besuchten wir die denselben im Schlosse geweihten Zimmer. Das Goethe-Zimmer fällt sofort durch seinen Einfachheit und seine schönen Verhältnisse auf, und mit Genugthuung erfährt man, daß Meister Schinkel der Erbauer desselben ist. Scenen aus Goethe’s Werken, von Neher al fresco gemalt, schmücken die Wände. Das Schiller-Zimmer, ebenso ausgestattet, ist architektonisch kleinlich; es ist zuviel darin gemacht, das Ganze zu spielend gehalten. Die Bilder, oft theatralisch und nüchtern, wie z. B. der Tod des Fiesco, sind ebenfalls von Neher. Eine schöne Idee ist, daß die sich um sämmtliche Bilder windende und dieselben verbindende Arabeske das „Lied von der Glocke“ darstellt. Herder ist von Prof. Jäger sinnreich illustriert, wie Wieland von dem tüchtigen Landschafter Preller, der sich durch seine Darstellungen aus dem Oberen auch den Figuren-Malern anreiht. Der Geist der Großherzogin Amalie weht noch durch diese Räume, aber die Poesie jener Zeiten ist daraus entschwunden; vielleicht nicht allein durch das Dahinscheiden jener Poeten. Ein Doppelstandbild der beiden größten deutschen Dichter, Schiller und Goethe, wird in kurzer Zeit die Stadt zieren.

Ein Omnibus macht die langweilige Fahrt nach Rudolstadt, und da nichts dem unermüdlichen Fußreisenden mehr zu empfehlen ist, als ein Wagen, so hatten wir auch bald unsere Plätze darin

Die schaurige Omnibusfahrt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_511.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2022)