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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

hatten, befanden sich Beide am Ufer der Seine, zu Villequier, zwischen Havre und Rouen. Man machte eine Wasserpartie auf dem Flusse, als plötzlich der Kahn umschlug, und die Tochter des Dichterfürsten in die Wellen geschleudert wurde. Mit einem jähen Schrei stürzte sich der junge Gatte nach; er ergriff die Besinnungslose, und suchte sie über den Fluthen empor zu halten. Doch die Unglückliche riß sich im Todeskampfe immer wieder von den Armen des Retters los; ihrer Phantasie schien in den letzten Flügen nur noch der Gedanke an den Tod zu Gebote zu stehen, von dessen eisernen Armen sie sich allein umklammert wähnte. Dreimal riß der Gatte sein Weib aus dem verderbenbringenden Element, und eben so oft entwand sich seinen Händen die theure Last, die endlich bleich und todt auf den Grund der Seine sank.

Als Vaquerie die Geliebte rettungslos verloren sah, da warf er einen letzten, langen Abschiedsblick auf die blühenden Ufer, und stürzte sich dann dem ertrunkenen Weibe nach. Eng aneinander gepreßt, in einer letzten Umarmung, fand man Beide an’s Ufer geschwemmt; aber kein Priester der Kirche wollte sich nun finden, um den edlen Selbstmörder in geweihter Erde zu bestatten.

Am Grabhügel Beider weinte der Dichter von „Notre Dame“ alle Jahre am Todestage. Als man ihn dann in’s Exil geschleudert, da vergoß er die Thränen am Ufer des Meeres, welches ihn von Frankreich und den theuren Gräbern schied, und sandte mit den Wellen seinen stummen Klagegruß hinüber:

„Tu sais, n'est-ce pas, que ce n'est pas ma faute,
Si depuis ces quatre ans, pauvre coeur sans flambeau,
Je ne suis pas allé prier sur ton tombeau!“

Eben so treu ist Delphine von Girardin der andere Dichterfürst Alphonse de Lamartine geblieben. Sein Antlitz, im Jahre 1848 noch überwiegend von edler Sanftmuth, trug jetzt die Furchen mancher Sorge, welche ihm die kurze Herrschaft über Frankreich auferlegt hatte. Der geborene Edelmann und diplomatische Cavalier verleugnete sich keinen Augenblick bei ihm, und sein kleiner, ohne besondern Prunk decorirter Salon versammelte noch stets die vornehmsten Träger der Diplomatie, welche sich dort mit denen der Kunst, der Literatur, der Wissenschaft, des Heeres, der Kirche und Fremden von Auszeichnung Rendezvous zu geben pflegten. Da Lamartine von der Damenwelt geliebt war, so mangelte diesem Cirkel auch nicht der Glanz der Frauen, die bald dem plaudernden Dichter lauschten, bald in Gesellschaft von Madame de Lamartine waren, die, eine liebenswürdige Engländerin, die Honneurs mit allem Takt einer Dame von feinstem Ton machte. Noch vor Mitternacht pflegte Lamartine sich zurückzuziehen, um schon früh am Morgen die gewohnte Arbeit zu beginnen und, auf den Knieen schreibend, nur hin und wieder mit seinen geliebten Windspielen zu kosen.

Durch die Beziehung mit jenem Kreise lernte ich auch Granier, aus Cassagnac in der Gascogne, kennen; aber ich vermochte nie eine unerklärliche Abneigung gegen diesen charlatanischen Federhelden zu unterdrücken, der, wenn auch mit Geist begabt, so unwürdigen Schacher mit den Mannesgesinnungen getrieben hatte. Granier de Cassagnac, wie er sich zu nennen beliebt, einer der routinirtesten Journalisten, und mit denselben Industriegedanken wie Girardin, war damals schon Alles gewesen, was ein Mensch in politischer Hinsicht nur in einem an Parteien so reichen Lande wie Frankreich werden kann; er war Royalist und Republikaner, Legitimist, Fusionist, Orleanist, Doctrinair und Communist gewesen, und gleichwohl hatte seine der jedesmal herrschenden Ansicht dienende Feder ihm nicht zu dem Glück verholfen, welches er so sehnsüchtig anstrebte. Das Schicksal sparte ihn zu einem bonapartistischen Federmenschen auf; nicht allein, um eine Wiederholung von einer seiner frühern Gesinnungen zu vermeiden, sondern auch, um sich dankbar für das reiche Gehalt zu zeigen, welches ihm die Regierung zahlte, wurde denn Granier de Cassagnac ein eifriger Bonapartist. –

Scheidend von dem Salon der zehnten Muse, bietet sich mir ein guter Uebergang zu dem eminentesten Frauentalent der Jetztzeit dar. In dem Geplauder, welches Frau von Girardin einzig in ihrer Art zu beleben verstand, kam auch wohl eine Kritik der hervorragenden Geister vor, und es konnte nicht fehlen, daß die zehnte Muse auch George Sand besprach. Das Merkwürdige ihrer Ansicht über diese bedeutende Frau bestand darin, daß sie dieselbe weniger für eine Dichterin der bloßen Phantasie, als, wenn ich so sagen darf, der Autopsie hielt. Sie gefiel sich darin, anzunehmen, daß George Sand bei der Schöpfung ihrer Gestalten stets nur den Gedanken einer ihr nahe stehenden Person verkörpert habe, und erblickte in dem Kataloge ihrer Werke die ganze Geschichte ihrer Affectionen; so hat sie in dem Werke Sand’s: „die sieben Saiten der Lyra“ z. B. die Person von Franz Liszt herauskritisirt, und eben so in der Gestalt des Herrn von Ramière, einem der Helden des Romans „Indiana“, einen eleganten, aber undankbaren Geliebten der berühmten Dichterin.

Durch die Dichtungen George Sand’s und die mannichfachen Mittheilungen über ihr früheres Leben hatte ich mit Hülfe der Einbildungskraft, die so gern große Gegenstände nach ihrem Gefallen auszuschmücken liebt, mir eine eigenthümliche Vorstellung von der Verfasserin so vieler Romane mit ehefeindlicher Tendenz gemacht. Ich hielt sie für einen Typus des Excentrischen, für einen Blaustrumpf, der alle Weiblichkeit und, trotz der vielfachen Intimitäten mit geistreichen Männern, wie Jules Sandeau, Alfred de Musset, Lamennais und Anderen, stets eine gewisse Bitterkeit gegen sie an den Tag lege. Ihre Memoiren existirten damals noch nicht, und neben vielen Irrthümern über die Vergangenheit und die Erfahrungen ihres Lebens hatten sie tausenderlei Gerüchte mit einem ebenso mystischen als dichten Dunstkreis umhüllt. Ich vermuthete in ihr eine Amazone, die in ihrem ganzen Wesen nichts von Weiblichkeit verrathen werde, ein überspanntes Geschöpf mit der sonderlichsten Attitüde und dem Habitus einer Emancipirten: genug, es konnte keine eigenthümlichere Vorstellung von der Chatelaine zu Nohant geben, als ich sie besaß.

Aber wie zerbrach dies von der Phantasie geformte, bizarre Gebild beim Anblick des Originals! Ich fand in der Schloßfrau von Nohant, ihrem Gute, eine so einfache und natürliche Frau, daß ich mich viel eher einer guten bürgerlichen Hausfrau Deutschlands, denn der berühmten Dichterin Frankreichs gegenüber zu finden glaubte. Ihre ganze Umgebung war voller Einfachheit, und kein Möbel verrieth mit feinem guten Geschmack eine Spur von der geahnten Excentricität, die oft so überwältigend aus ihren Romanen herausblitzt. Madame George Sand nähte im Gegentheil sehr emsig an einem Costüme für ihr kleines Haustheater im Schlosse Nohant, auf dem sie, wie man sagt, in Gemeinschaft der Bauern des Dorfes, ihre Stücke aufzuführen pflegt. Ueberdies gab es mannichfache Gelegenheit, eine tüchtige Hausfrau mit aller nur denkbaren Prosa in ihr zu erkennen, und keine Spur verrieth in ihrem ganzen durch und durch mütterlichen Hausfrauwesen eine gefeierte Berühmtheit, noch eine Dichterin, noch gar ein bizarres Frauenoriginal.

Ebenso stand die Vorstellung von ihrer persönlichen Erscheinung vollständig im Widerspruch mit dem Original; es war nichts Phantastisches, nichts Literarisches an ihr; im Gegentheil machte ihre Physiognomie einen so simplen Eindruck, daß die gesammte frühere Erwartung davor in’s Erstaunen gerieth. Fast könnte man sagen, George Sand sehe zu nüchtern für eine geistreiche Schriftstellerin aus; eine liebevolle Gutmüthigkeit, wie sie bei Bürgerfrauen gefunden wird, lagert auf allen Zügen; das ganze Gesicht, mit einer hohen Stirn, einer ziemlich starken Nase und in länglicher Form, sieht so sanft, bescheiden und einfach verständig auf den Besucher, daß man sich gewissermaßen erst vergewissern muß, in der That im Schlosse Nohant bei der George Sand zu sein.

Bald aber fühlt man sich durch das graziöse Benehmen und die weiche Stimme der Dichterin behaglich in ihrem Salon; auch wird man bald gewahr, wenn erst die Unterhandlung begonnen, daß man einen durchdringenden Geist und ein reiches Gemüth vor sich hat. Die kleine, wohlbeleibte, in Schwarz gekleidete Frau, mit einfach gescheiteltem Haar, wirft dann so belebte Blicke auf den Besucher, daß man förmlich das immer reger werdende Spiel ihres Geistes beobachten kann; man sieht die Lichter in ihrem Kopfe anstecken und nur, wenn ihr lieblich lächelnder Mund schweigt, blickt ihr großes Auge sanft, etwas melancholisch und echt weiblich herab, um alles Vertrauen und alle Innigkeit zu ihr aufzumuntern.

So zertrümmerte das Original von George Sand die zahlreichen Portraits, welche von ihr entworfen waren. – Als ich die Chatelaine von Nohant verließ, sann ich darüber nach, wie doch die menschliche Einbildungskraft uns die boshaftesten Streiche spielt, und wie zur tieferen Erkenntniß eines Schriftstellers auch dessen persönliches Kennenlernen für nothwendig befunden werden müßte.

E. Schmidt-Weißenfels.



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