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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

genug sind, um zu imponiren, leuchteten die letzten Funken den Tages. In den engen, langen Straßen war es auffallend still und wenig geschäftige Bewegung. Sie sahen merkwürdig sauber aus, so sauber, als würden sie allabendlich mit weichen Besen rein gefegt. Nur am Weserquai rollten noch Blockwagen mit Fässern und Ballen hoch beladen. Auch auf dem Flusse selbst gab es Bewegung, obwohl die Weser ihrer geringen Wassertiefe wegen bei Bremen selbst nicht den Eindruck eines belebten schiffbaren Stromes macht.

Mich dünkt, hier an der Wasserseite ist die Stadt bei Weitem am interessantesten. Die alten Giebelhäuser haben etwas Ehrwürdiges und Gemüthliches zugleich. Wohnungen und Balcons laufen über den tiefen Dielenräumen, die an die Comptoire stoßen, fort und gewähren freie Ausblicke auf die Weser, deren Ufer nur gar zu kahl sind, um dem Auge schmeicheln zu können. In den Comptoirs und auf den Lagerböden war noch nicht Feierabend. Ueberall wurde geschrieben, oft an sechs, acht Pulten, und es sah gar nicht aus, als könnten die fleißigen Arbeiter sobald der Erholung sich hingeben. Wahrscheinlich sollte noch eine überseeische Post mit Briefen versorgt werden.

Rathskeller in Bremen: Rechter Flügel.

Hier am Hafen nun ist Bremen auch erst ganz Bremen. Man spürt, wodurch es seine Wohlhabenheit erworben hat, welchen Artikeln es vor andern vorzugsweise seine Aufmerksamkeit schenkt, seine Thätigkeit zuwendet. Wohin man tritt, überall riecht es nach Tabak, und in der That ist Tabak ein Hauptartikel im Bremer Handel. Auf allen Straßen begegnen uns Blockwagen mit Tabaksballen. Die Leichterschiffe, welche von Bremerhaven kommend, am Quai anlegen, bringen Tabak. Wo eine Speicherluke sich öffnet und ein Tau herabrollt, da soll es unter hundert Fällen gewiß achtzig Mal um Tabaksfässer geschlungen werden. Daß der Tabakshandel Bremen ganz außerordentlich beschäftigt, hört man auch an dem Gespräch der Begegnenden, in Kaffeehäusern, Restaurationen und Weinstuben. Wohin ich immer kam, die Rede war allerwärts von Prima oder Secunda Brasil und Portorico, Beweis genug, daß dies Gesprächsthema einen sehr nahrhaften Gehalt haben muß.

Die Gaslaternen flimmerten an beiden Ufern des Flusses, hinter dem Dome trat die Mondscheibe hervor. Das steile Dach des Schütting am Markte und das alterthümliche Rathhaus mit seinem Säulengange, seinem Statuenschmuck und verschnörkelten Reliefs macht bei solcher Beleuchtung einen wunderbaren Eindruck. Hätte Bremen auch nichts, als dies schön erhaltene Rathhaus, diesen ganzen nicht eben großen und noch dazu nicht einmal ebenen Platz, es würde deshalb eines Besuches werth sein, wenn dieser auch von keinerlei Geschäft geboten wäre. Rathhaus, Schütting, Stadthaus, Börse und Dom nebst den gegiebelten Häusern am Markt und der imposanten Rolandssäule bilden ein so malerisch eigenthümliches Ensemble, daß man es stets im Gedächtniß behält. Ein gleiches Bild hanseatischen Baustyls hat weder Hamburg noch Lübeck aufzuweisen, wenn auch das Rathhaus der letzteren Stadt in seiner bizarren Styllosigkeit ebenfalls nicht ohne Reiz ist und eine der größten Sehenswürdigkeiten jener berühmten Ostseestadt stets bleiben wird.

Wenn es mehr als Barbarei wäre, verließe ein Fremder, den sein Glück nach Rom führte, die ewige Stadt, ohne den Papst gesehen zu haben, so würde man es jedenfalls wenigstens für arge Mißachtung halten, wollte man Bremen den Rücken kehren, ohne zuvor in seinem weltberühmten Rathskeller ein Glas ächten deutschen Rebensaftes auf deren ferneres Gedeihen geleert zu haben. Oft wird ein solcher Verstoß gegen die Sitte und die edelste Gabe des Bacchus wohl nicht vorkommen. Wer wirklich so ganz in sich oder in seine Geschäfte versunken sein sollte, daß er selbst nicht daran dächte, der wird daran erinnert werden beim Anblick des steinernen Roland, der mit gezücktem Schwert gleichsam Wache hält unfern des Einganges zum Keller und dessen jugendliches Gesicht ganz so aussieht, als habe er Wohlgefallen an den Gaben

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_536.jpg&oldid=- (Version vom 12.10.2022)