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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

doppelten Zuschlagthüren. Ihr Inneres besteht aus einem langen schmalen Tische und zwei noch schmäleren Bänken. Diese Kammern, im Bremer Volksdialekte Priölken genannt, sind die eigentlichen Trinkstübchen. Es finden in jedem einzelnen derselben sechs, höchstens sieben Personen Platz, und es mag wohl selten ein Abend vergehen, wo sie ganz verlassen bleiben. Die Ansprüche moderner Genußmenschen, vulgo Schwelger, werden beim Eintritt in ein solches Priölken wahrscheinlich nicht befriedigt. Wir sind durch den übertriebenen Luxus, den man jetzt überall zum Schmuck des Lebens für unerläßlich hält, zu sehr verwöhnt, um gern auf schlichter Holzbank uns niederzulassen, wenn ganz in der Nähe weiche Polsterkissen zum dolce far niente oder zu sybaritischem Genusse einladen. Das Meublement der Priölken ist bäurisch roh. Den oft mit Wein überschütteten sehr massiven Tisch bedeckt kein weißschimmerndes Damastgewebe, die an der Wand hängende Speisekarte hat eine urweltliche Façon und bietet dem Gourmand gar keine Auswahl. Brod und Käse, Käse und Brod, Sardellen, einen Häring, vielleicht auch Caviar kannst Du bekommen, mehr aber wird nicht verabreicht. Dafür jedoch findest Du auf dem schwarzbraunen Getäfel des Tisches eine andere viel umfangreichere Karte, in welche Du Dich mit Vergnügen vertiefen wirst. Ausgebildeten Feinschmeckern soll es beim Durchstudiren dieser Karte passiren, daß sie unwillkürlich mit der Zunge schnalzen, den Mund spitzen und vor Erwartung der Seligkeit, die ihrer harrt, mit den Augen blinzeln. Ungezählte Glückliche haben dann, wenn der schnell herbeigerufene Kellner, der hier wirklich auf den Namen eines Götterboten Anspruch machen kann, mit einer entkorkten langhalsigen Flasche zurückkam, entzückt ausgerufen: Est! Est! Est!

Bekanntlich wird im Bremer Rathskeller nur Rheinwein geschenkt. Die jüngsten wie die ältesten Sorten, die gewöhnlich gangbaren und die seltensten Weine, alle in bester Qualität und zu einem civilen Preise, sind hier zu haben. Bremen macht es sich zur Ehre, nur Ausgezeichnetes den Besuchern seines berühmten Rathskellers zu verabreichen. Es ist daher sehr die Frage, ob irgendwo anders junge und alte Rheinweine besser oder überhaupt so gut zu haben sind, wie in diesen vom Roland behüteten Kellerräumen.

Gesellschaft zu finden in solchem Locale ist nicht eben schwer. Der gelblichgrüne Römer klingt so zutraulich lockend, der goldene Wein funkelt und duftet so verführerisch, daß es unmöglich wird allein zu bleiben. Es gibt kein wahreres Wort, als das vom Wein, den, um des Menschen Herz zu erfreuen, Allvater Noah nach glücklich überstandener Sündfluth eigenhändig pflanzte. Beim Wein will man sprechen und, wenn nicht auch sein ganzes Inneres profanen Augen enthüllen, doch erzählen, sich unterhalten. Dann duftet die Blume des Weines noch einmal so lieblich, und die geheimen Geister des Göttertrankes machen den Mund bereit und fordern auf zu Lust und Scherz. Es klang, wisperte, lachte und jubelte bald in allen Priölken. Der weite dämmerige Raum ward von den vermehrten Gasflammen immer heller, und als vom nahen Domthurme die zwölfte Stunde schlug, herrschte allerwärts die fröhlichste Stimmung.

Im Keller soll man trinken, aber stets mit Maß. Es bleibt immer ein unterirdischer Raum, in welchem der Erdgeist hauset, jener Geist, der dem Menschen gefährlich wird, wenn er sich selbst zu beherrschen vergißt. Sobald daher eine wohlthätige Wärme den Körper durchströmt, der Geist munter, die Füße wie beflügelt erscheinen, dann ist es Zeit sich am Schopfe zu fassen und sich selbst von der harten Holzbank, die uns schon von Eiderdaunen erfüllt dünkt, emporzuheben. Bliebe man länger sitzen und ließe sich etwa verleiten, nach der lieblichen Rebe, deren gekelterte Trauben den milden Saft der Liebfrauenmilch geben, noch den romantischen Berg bei Rüdesheim zu erklettern und dem verwandten Hochheim einen Besuch abzustatten oder gar auf Schloß Johannisberg sich zu verirren, so wäre es gar nicht unmöglich, der steinerne Roland tappte unvermuthet die knarrende Treppe herab und bäte sich zur Begrüßung des neuen Tages auch ein Deckelglas aus der Behausung des Erzschelmes „Judas Ischariot“ aus. Solcher Gefahr mochte ich mich nicht aussetzen, weshalb ich mich der heitern Gesellschaft anschloß, die unter Vortritt des leuchtenden Küpers sich anschickte, die verschlossenen Heimlichkeiten des berühmten Kellers genauer zu inspiciren.

Eine eisenbeschlagene große Thür, die wohl täglich oder allabendlich wißbegierigen Fremdlingen erschlossen werden mag, öffnet sich jetzt und führt uns zunächst in einen Seitenkeller, an dessen Wänden zu beiden Seiten je sechs Stückfässer liegen. Jedes dieser Fässer trägt den Namen eines Apostels, der mit großen rothen Buchstaben darauf verzeichnet steht. Auf die Frage, wie der geldgierige Verräther des Herrn, der mechante Judas Ischariot, unter die Apostel komme, und noch dazu den obersten Ehrenplatz einnehme, bleibt der lächelnde Führer uns die Antwort schuldig. Ein gemüthlicher Oesterreicher würde sich wahrscheinlich mit der Redensart „es ist halt so“ zu helfen wissen, und somit die Wahrheit des weisen mephistophelischen Wortes, daß, wo Begriffe fehlen, sich stets ein Wort zu rechter Zeit einstelle, auf’s Glänzendste erhärten. Genug, die schalkhaften alten Bremer – man sagt der Bremer Rath – die keine Feinde des Humors waren, und als echte derbe Niederdeutsche auch mit Eulenspiegeln dann und wann liebäugelten, haben sich erlaubt, Judas Ischariot unter die Apostel zu versetzen. Da oben, hart an der Wand, thront denn das ehrwürdige Faß. Den vermaledeiten Schelm, dessen Namen es trägt, mag nun zwar kein guter Christ, bekenne er sich zu Papst, Luther oder Calvin, leiden, den Wein aber, den es birgt, nippt man zuweilen gern. Es ist, wenn ich mich recht erinnere, Rüdesheimer vom Jahre 1718, also ein Getränk von ziemlich hundertundfünfzig Jahren. Dunkel von Aussehen und mehr scharf als lieblich von Geschmack, enthält dieser Judaswein doch ein merkwürdiges Feuer.

Wer sich verleiten ließe, viel, d. h. ein paar Römer davon zu genießen, könnte sich wohl in die Vorhöfe der Hölle versetzt fühlen. – Der Leib sowohl des Judas, wie der andern Apostel, wird nicht selten angezapft. Damit nun der darin enthaltene Wein nie verkostet werde, und immer gleich gut und frisch bleibe, und an Alter zunehme in’s Unendliche, füllt man es mit dem nächst alten Jahrgange desselben Weines stets vorsorglich wieder voll. Ein sogenanntes Weinverschneiden also findet in dieser soliden Rathskellerwirthschaft nicht statt.

Unmittelbar neben dem Kellerraume, wo die zwölf Apostel, profanen, aber erquickenden Geistes voll, lagern, befindet sich ein zweiter von gleicher Größe. Auch dieser öffnet sich nur auf besonderes Verlangen. Er birgt das edelste und seltenste Gewächs und zugleich den ältesten aller Rheinweine. Die Rose – so nennt sich diese Kellerabtheilung, von dem Gemälde an der Deckenwölbung, das eine in voller Blüthe prangende Centifolie darstellt – enthält Wein vom Jahre 1624. Um die Rose liest man folgendes Distichon:

Cur Rosa flos Veneris Bacchi depingitur antro?
Causa, quod absque mero frigeat ipsa Venus
.

Zu Deutsch etwa:

Warum denn pranget in Bacchus Gewölb’ die Blume der Venus?
Nun, weil ohne den Wein Frösteln selbst Venus ergreift.

Auch an den Wänden finden sich Inschriften in deutscher und lateinischer Sprache. Die über der Thür befindliche sagt uns, weshalb die Rose in diesem Kellergewölbe abgebildet worden ist. Sie soll ein Sinnbild sein der Verschwiegenheit und allen denen, welche diesen Raum betreten, gleichsam zurufen, daß ein hier in glücklicher Weinlaune gesprochenes Wort nicht draußen auf dem Markt ausgeplaudert werden müsse. Die lateinischen Distichen an der einen Wand stellen die Behauptung auf, es möge dieser geweihte Raum nur alten Leuten erschlossen werden, junges Volk aber fern davon bleiben, und zwar deshalb, weil die Rose nur alte Weine enthalte und Bacchus ein alter Gott sei! – Man erzählt jedem Besucher, daß der in der Rose enthaltene Wein nur auf besondere Erlaubniß des Bremer Senates verkauft werden dürfe, und zwar blos an kranke und sehr hinfällige Personen. Diese Erlaubniß wird angeblich aber erst dann ertheilt, wenn ein ärztliches Zeugniß beigebracht werden kann. Ob man es wirklich immer so genau nimmt, möge dahin gestellt bleiben. Wenigstens ist die frühere Beschränkung, nach welcher auch der Zutritt in den Keller der Rose nur mit bürgermeisterlicher Erlaubniß gestattet ward, gegenwärtig aufgehoben.

Wer dem Bremer Rathskeller einen Besuch abstattet, möge nicht versäumen, auch das größere, dem Dome zugekehrte Gesellschaftszimmer zu betreten, und sich hier die sogenannte Flüsterecke zeigen zu lassen. Diese Stelle besitzt die Eigenthümlichkeit, daß man in ihr auch das leiseste Wort versteht, das an der entgegengesetzten Seite des Zimmers gesprochen wird.

Interessant und überaus lebendig, oft sogar zu geräuschvoll, soll sich der Verkehr im Keller am sogenannten „Freimarkt“ gestalten.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_538.jpg&oldid=- (Version vom 12.10.2022)