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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

No. 40. 1857.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Onkel und Neffe.
Novelle von A. S.
I.

„Joseph, hast Du den Brief zur Post besorgen lassen, den ich gestern Abend geschrieben habe?“

„Ja, Herr Consul; er ist diesen Morgen neun Uhr abgegangen.“

„Um neun Uhr – wie spät ist es jetzt?“

„Elf Uhr, Herr Consul. Wann wollen Sie frühstücken?“

„Glücklicher Mensch, der Du an Essen und Trinken denken kannst! Ach, ich fühle mich heute wieder so krank, daß ich an andere Dinge denken muß. Wenn mir morgen nicht besser ist, werde ich mein Testament machen.“

„O, Herr Consul!“

„Da hilft kein Ach und O, mein lieber Joseph; wenn die Natur ihre Rechte fordert, kann sich Niemand weigern, zu zahlen. Geh, und hole mir eine Tasse heißen Kaffee.“

„Sehr wohl, Herr Consul!“

Joseph, ein langer hagerer Mensch mit einer großen Glatze und in dunkelblauer Livree, verließ das Zimmer wie ein Automat, der einem Mechanismus gehorcht. Der Consul. der noch im Bette lag, richtete sich empor, schob das Kopfkissen hinter den Rücken, um bequem sitzen zu können, und wartete. Trotzdem er, wie er so eben gesagt, sich krank fühlte, so schien er sich doch der besten Gesundheit zu erfreuen; er hatte ein volles, rothes Gesicht, das Joseph Abends zuvor glatt rasirt hatte, und ein starkes, schwarzes Haar, das unter der weißseidenen Nachtmütze wie ein Kranz hervorsah. Seine breite Brust und die starken Arme bekleidete eine Jacke von fleischfarbener Seide. Das Schlafzimmer des Consuls war mit Eleganz und Luxus ausgestattet, und das Bett mit den schweren Vorhängen, die durch eine starke Schnur zurückgehalten wurden, war ein Meisterstück. Dicht neben dem Bette stand ein Tisch mit Cigarren und Feuerzeug. Die Rouleaux an den Fenstern waren herabgelassen; von der Decke herab hing eine Ampel, in der unter blauem Glase die Nachtlampe noch brannte. Während draußen die heitere Herbstsonne Glanz und Licht verbreitete, herrschte in dem Zimmer eine matte Dämmerung.

Joseph kam mit dem Kaffee zurück.

„Herr Consul.“ sagte er.

„Was gibt’s?“

„Der junge Herr, der gestern schon einmal hier war, fragt schon wieder nach Ihnen.“

„Man weise ihn ab.“

„Ich habe ihm gesagt, daß Sie krank wären; er besteht darauf, mit Ihnen zu sprechen.“

„Hat er seinen Namen genannt?“ fragte der Kranke, ruhig den Kaffee trinkend.

„Alexander von Windheim.“

„Ein Edelmann!“

„Ja, Herr Consul!“ antwortete bestätigend der treue Diener.

„Joseph, einen Edelmann dürfen wir wohl nicht abweisen?“ fragte der Kranke, indem er die leere Tasse zurückgab.

„Wollen Sie aufstehen, Herr Consul?“

„Nein, ich werde den Besuch im Bette empfangen. Wenn der Edelmann sieht, daß ich krank bin, hält er sich nicht lange auf. Laß ihn eintreten.“

Zwei Minuten später führte der lange Joseph einen jungen Mann ein, dessen ganze Erscheinung den Edelmann verrieth. Er trug ein elegantes Reitcostüm und in der Hand eine Elfenbeinpeitsche. In seinem bleichen Gesicht prägte sich ein Ernst aus, der zu seinem Alter – er schien fünf bis sechsundzwanzig Jahre zu zählen – nicht paßte. Seine Toilette war elegant und nach dem neuesten Geschmacke; es war nicht zu verkennen, daß er große Sorgfalt darauf verwendete. Der Schnurrbart war zierlich gedreht, und das braune Haupthaar bildete ein gelungenes Toupet.

Der Consul saß aufgerichtet im Bette; sein volles Gesicht drückte Niedergeschlagenheit und Leiden aus.

„Verzeihung,“ murmelte er, „daß ich Sie in dieser Situation empfange; aber die traurige Verfassung meines Körpers macht es mir zur Pflicht, mich vor den Einflüssen der kalten Witterung zu wahren. Herr Alexander von Windheim ist mir willkommen. Ich bitte, nehmen Sie Platz und theilen Sie mir kurz und bündig den Grund Ihres Besuches mit.“

Joseph setzte einen Sessel neben das Bett und entfernte sich. Alexander von Windheim nahm Platz.

„Herr Consul,“ begann er, „zehn Minuten von hier, dort am Eingange des Waldes, liegt ein Gehöft –“

„Es ist das Forsthaus, das zu meiner Besitzung gehört.“

„Ein Forsthaus ohne Förster, unbewohnt, öde, dem Verfalle nahe!“ rief Alexander.

„Was geht Sie das an?“ murmelte der Consul, einen forschenden Blick auf den Besuch werfend.

„Das Forsthaus gefällt mir.“

„Mir nicht!“

„Ah, das trifft sich vortrefflich!“

„Warum?“

„Ich komme, Sie zu fragen, ob Sie das Haus, das Ihnen nicht gefällt, verkaufen wollen?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_541.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)