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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Dewald ging im Zimmer auf und ab. Plötzlich blieb er stehen und fragte:

„Sind die Damen müde?“

„Der Brief hat mir den Schlaf verscheucht!“ antwortete Albertine.

„Und ich würde nicht schlafen können, auch wenn ich zu Bett ginge!“ sagte Louise.

„In diesem Falle schlage ich vor, daß wir auf der Stelle einen Rath abhalten. Nehmen Sie Platz und hören Sie mir zu, ich werde als Jurist alle Verhältnisse zusammenfassen, damit wir einen Schluß ziehen können.“

Die Damen setzten sich in den Sopha, und Wilhelm, dessen Humor durchaus nicht beeinträchtigt war, ließ sich vor ihnen auf einem Stuhle nieder.

„Fräulein Louise,“ begann er, „ist meiner Albertine eine so vertraute Freundin und dabei Interesentin bei vorliegender wichtiger Angelegenheit, daß ich offen mit der Sprache herausgehen kann. Mein verstorbener Vater, der Bruder des bizarren Consuls, hat mir ein kleines Vermögen hinterlassen, das bis auf einige Hundert Thaler aufgezehrt ist. Ich bekenne offen, daß ich bei meiner Verheirathung auf den kinderlosen Onkel gerechnet habe. Jetzt droht er mit Enterbung, wenn ich Louisen, die Tochter seines Geschäftsfreundes, nicht heirathe. So wie ich ihn kenne, hält er sein Wort. Seit drei Jahren lebt er auf seiner Villa, die er Solitüde nennt; er hat sich nicht um mich, ich habe mich nicht um ihn gekümmert, und so ist es gekommen, daß er von meiner vor sechs Wochen geschlossenen Heirath nichts weiß.“

„Hast Du denn das Heirathsproject Deines Onkels gekannt?“ fragte Albertine.

„Nein; er hat zwar oft mit großer Verehrung von seinem Freunde Bronner, aber nie von einer Verheirathung seiner liebenswürdigen Tochter gesprochen.“

„Ich begreife Ihren Onkel nicht,“ sagte Louise; „seit drei Jahren hat er sich nicht um mich gekümmert, und nun will er mich plötzlich verheirathen. Er muß doch wohl recht krank sein, da er sich so entschieden ausdrückt und große Eile empfiehlt.“

„Gewiß, gewiß!“ murmelte Dewald. „Er beschließt sein bizarres Leben mit einer großen Bizarrerie. Hätte er mich unter der Bedingung zu seinem Universalerben eingesetzt, daß ich Fräulein Bronner einen gewissen Theil des Vermögens abtrete, so würde ich Alles erklärlich gefunden haben – –“

Die blonde Louise ergriff die Hand der jungen Frau.

„Meine liebe Freundin,“ flüsterte sie bewegt, „Du hast Dich meiner, der armen Waise, so großmüthig angenommen, und nun muß ich, ohne es zu wollen, Deinem Glücke entgegentreten!“

„Messe ich Dir die Schuld bei, Louise?“

„Herr Dewald, was kann ich thun, um Ihnen nützlich zu sein?“ fragte Louise treuherzig.

Eine Pause trat ein.

„Mein Herr Onkel ist ein ausgemachter Narr,“ rief Dewald, „und als solchen müssen wir ihn behandeln! Ich glaube nicht daran, daß er schwer krank liegt. Fräulein Louise, mir ist ein kühner, aber ein praktischer Gedanke gekommen – wollen Sie mir in der Ausführung desselben behülflich sein?“

„Zählen Sie auf mich!“ rief eifrig die junge Dame.

„Niemand kennt den seltsamen Onkel besser, als ich, und darum weiß ich ihn zu nehmen. Wir müssen ihm einen kleinen Betrug spielen. Wie er auch ausfallen möge – mehr als eine Enterbung kann uns nicht treffen. Uebrigens geht meine Absicht nur dahin, Zeit zu gewinnen, daß der Consul meine Albertine kennen und lieben lernt.“

„Und wenn ihn der Tod daran hindert?“ fragte die junge Frau.

„Ich glaube weder an seine Krankheit noch an seinen Tod.“

„Aber wenn ich ihm mißfalle?“

„Das ist unmöglich!“ rief Louise.

„Aber nehmen wir den Fall an!“

„Dann werde auch ich ihm mißfallen!“ rief Louise entschlossen. „Herr Dewald, theilen Sie uns Ihren Plan mit.“

„Er ist einfach der, daß ich auf der Stelle schreibe: mein bester Onkel, ich bin glücklich, Ihrem Befehle zuvorgekommen zu sein – Louise Bronner ist bereits seit acht Tagen meine Frau.“

„O Himmel!“ riefen die beiden Damen.

„Morgen bereiten wir uns vor und übermorgen treten wir die Reise nach der Solitüde an.“

„Abgemacht!“ rief Louise. „Ich werde so lange Madame Dewald sein, als es nöthig ist.“

„Und welche Stelle hast Du Deiner Frau zugedacht?“ fragte Albertine.

„Du bist Albertine, die unzertrennliche Freundin meiner Frau.“

„Ich werde meine Rolle nach besten Kräften spielen!“ rief die heitere Louise. „Es sollen nicht vierundzwanzig Stunden verfließen, und der Onkel wird ein gründliches Mißfallen an Madame Dewald finden – nämlich an der falschen Madame Dewald!“ fügte sie lächelnd hinzu. „Ich werde alle Untugenden zur Schau tragen, die eine Frau unleidlich machen: Koketterie, Uebermuth, Stolz und Tollheit! Und Du, meine liebe Albertine, gibst Dich, wie Du bist, mehr bedarf es ja nicht, um einen Sieg zu erringen. Ist der Onkel nun zornig auf mich, dann können wir vielleicht ein Geständniß wagen, und wir sind am Ziele!“

„Wie gut bist Du, Louise!“

„Ich erfülle nur meine Pflicht. Mein Herr Gemahl,“ wandte sie sich zu Dewald, „Sie werden zuvorkommend, zärtlich und aufmerksam gegen Ihre Frau sein, ohne zu vergessen, daß Sie nur den Titel meines Gatten führen. Seien Sie galant, damit man keinen Verdacht schöpft. Und Du, Albertine, verbanne die Eifersucht, wenn Du die Zärtlichkeiten meines Mannes siehst! Du weißt ja, daß mein Herz nicht mehr frei ist.“

Die beiden Frauen zogen sich in ihr Schlafzimmer zurück. Wilhelm Dewald schrieb dem Onkel einen Brief, den er am nächsten Morgen früh zur Post sandte.

(Fortsetzung folgt.)




Die Todtengewölbe unter der St. Stephanskirche in Wien.

Die Erlaubniß, diese Katakomben zu besuchen, war schon vor einigen Jahren sehr erschwert, jetzt ist sie den Fremden völlig versagt. Als der Aufzeichner dieser Zeilen in diese merkwürdigen Gewölbe hinabstieg, diente ihm ein Mann mit einer Fackel zum Führer, ein zweiter blieb bei dem Eingänge stehen, um uns zu Hülfe zu eilen, wenn es dessen bedürfte. Unsere Gesellschaft war klein und es befand sich nur eine Dame darunter, die trotz dessen, daß man ihr abgerathen, doch nicht unterlassen konnte, uns in die Unterwelt zu folgen. Wir alle hatten das Buch einer Engländerin gelesen, die vor nicht langer Zeit hier hinabgestiegen war und eine Beschreibung von dem gegeben hatte, was sie hier erblickt. So aufregend und erschütternd diese Skizze auf den Leser wirkte, so läßt sie doch die Wahrheit weit hinter sich. Noch nie ist die Phantasie im Stande gewesen, auf diesem düstern Felde die Wahrheit zu erreichen; das Reich der Nacht hat seine Schrecken, die man anschauen, aber nicht beschreiben kann. Deshalb sollen auch nur wenige Worte dem Bilde folgen, das, an Ort und Stelle flüchtig dem Papiere anvertraut, später beim Licht des Tages seine gehörige Ausführlichkeit erhielt.

Es ist bekannt, daß Wien von einer sehr hartnäckigen und in ihren Verwüstungen fast unermeßlichen Pest heimgesucht wurde, und von dieser Schreckensperiode her haben sich hier diese kolossalen Massen von menschlichen Gebeinen angesammelt, die man damals, wie es scheint, um ihrer nur rasch los zu sein, in die tiefen Grabgewölbe mehr hinabstürzte, als sorgsam legte. Drei Stockwerke zählt dieser unterirdische Bau und alle drei sind mit diesem grausenvollen Inhalte gefüllt. Es ist nicht möglich, bis in die unterste Katakombe hinunterzusteigen, eine solche Entdeckungsreise wäre zu gefährlich, nur bis zur zweiten Abtheilung konnte man damals gelangen, und auch dieses hatte seine Schwierigkeiten. Nicht die geringste darunter war die Menge der zusammengeschütteten Gebeine, die hier ohne Ordnung über und unter einander lagen. Die Luft war eine dumpfe Kellerluft, nicht gerade mit Moderdüften geschwängert, der Proceß der Verwesung war,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_544.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)