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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Die Todtengewölbe in der St. Stephanskirche[WS 1] in Wien.

da er über zwei Jahrhunderte lang Zeit gehabt sich zu entwickeln, vollkommen geendet und die animalischen Stoffe hatten sich verflüchtigt. An einigen Gebeinen, besonders solchen, die in einer bestimmten Richtung hin, wo sie einem Luftstrom ausgesetzt waren, aufgeschichtet lagen, fand man das Fleisch mumienartig eingetrocknet, und diese Leichname waren es, die für den Beschauer einen besonders auffälligen und, wenn man will, schreckvollen Eindruck machten, denn diese Körper scheinen beim Lichte der Fackeln zu leben, und ihre entfleischten Züge, gehüllt zum Theil in morsche Tücher, uns entgegenzustrecken. Unser Führer wählte seinen Platz dicht neben einem Pfeiler, der ein grobzugehauenes Crucifix enthielt, und indem er uns auf dieses alte Bildwerk aufmerksam machte, gebrauchte er die eigenthümliche List, plötzlich mit seiner Fackel hinabzuleuchten, wo wir denn dicht vor uns ein Skelet erblickten, in einer Allongenperücke und in einem schwarzen Sammtmantel mit theilweise noch erhaltener Goldstickerei. Diese Figur, die abgesondert von den andern hier am Pfeiler lehnte, war der sogenannte „schöne Mann“ oder der „Kammerherr“, wie ihn der Führer nannte. Im Leben mochte dieser Mann allerdings sehr groß gewesen sein, denn seine, obgleich zusammengesunkene, Gestalt überragte doch noch die des Führers. Das Gesicht dieses Phantoms war zur Erde gesenkt, als wolle es nicht von dem

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: St. Stehphanskirche
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_545.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2022)