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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

einhüllt, um nicht auf so lange von ihrem Lieblinge getrennt zu sein! Welche Mutter unter den Menschen, die ihres Kindes, wenn auch in Augenblicken der Noth, vergessen konnte, sollte sich nicht an solch’ einer Liebe aufrichten? Und wie grundlos und völlig maßlos ist unser Ausdruck: „Gefühllos sein wie ein Thier!“ – Sollte eben der doppelten Quälerei und des vielfachen Nutzens der Fledermäuse wegen nicht diese Gattung bei uns unter die polizeilich geschützten Thiere aufgenommen werden, gleich den Singvögeln, Schwalben und Schlupfwespen (deren Eierhäufchen zunächst, welche an Baumstämmen gleich umsponnenen Getreidekörnchen kleben) und den Ichneumonen, Störchen, Ibissen, Eiderenten u. s. w. anderwärts?

Der Reisende C. A. Geyer, der sich größtentheils in Aufträgen in den Wildnissen Nordamerika’s während sieben wechselvoller und entbehrungsreicher Jahre umherschlug und, in der Heimath angelangt, viel zu früh in Meißen starb, erzählt, wie bei den Waldbränden in den wildschönen, südwestlichen Districten des großen Missourigebietes, hinwärts nach dem Flusse Arkansas, oft die Mustangpferde, ihre Fohlen treibend, über riesige Cedern hinwegsetzen, indeß seitwärts der blutgierige, löwenähnliche, nur weit feigere Puma sein eigenes Junges im Maule davon trägt, der versengenden Lohe zu entfliehen.

Gerade die katzenähnlichen Raubthiere vertheidigen ihre Jungen mit der höchsten Wuth und jener Fall, den Herr Bowley berichtet, bezeugt dies in der Entwickelungsreihe der Zehenläufer bis zum Königstiger hinauf. Eine Truppe Jäger hatte ein Tigerlager geplündert, und die zwei Tigerkätzchen mit sich genommen, als plötzlich das Rachegeschrei der Tigerin erscholl. Die Reisenden retteten sich in ein Felsenloch, dessen Eingang sie nothdürftig mit großen Steinen verrammelten. Wüthend war das Gebahren der Mutter, als der unvorsichtige Diener die indeß erdrosselten jungen Tiger der Alten hinaus geschleudert hatte, und nach längerer Zeit erst, in welchem das Leben der Jäger auf dem Spiele stand, gelang es, mit einem wohlgezielten Schusse dem machtvollen, heißathmigen Thiere den Garaus zu machen, als es sich eben durch die Felsblöcke zwängen wollte.

Aber auch in der Heimath, im deutschen Lande, gibt’s der schlankleibigen Zehenläufer, deren Mutterliebe sich klar genug bethätigt. Wie zärtlich führt nicht das Steinmarderweibchen die ein Vierteljahr alten Jungen aus zum Rauben und Schmausen, wenn im Gehöfte Herr und Knecht schlummern! Wie besorgt trägt nicht das Hermelin, das auch bei uns in Steinklüften wohnt, die erbeuteten Mäuse, Hamster, Kaninchen, oft auch Geflügel, selbst aus weiter Entfernung zum Neste, wobei selbst beobachtet worden ist, daß es die Eier unter dem Kinne fortträgt. – Die Bärenmutter führt ihre Jungen bis in’s zweite Jahr und noch darüber, wohl am längsten unter allen ihren Verwandten, aus. – Wie sorglich hängt im Gegentheile die winzige Zwergmaus des nördlichen Deutschlands ihr künstliches Nestlein gleich einem Vogelneste im dichten Schilfe auf, wie es Gloger selbst in Schlesien noch fand. – Im vorigen Jahre hatte ich Gelegenheit, an unserm gemeinen Eichhörnchen die Mutterliebe zu beobachten. In unsern Buchen- und Kieferwaldungen, wo es häufig haust, hatte ich eine Familie dieser Springer entdeckt, welche sich, wie gewöhnlich, nicht mit einer Wohnung begnügt, sondern deren drei, vier und mehr in den höheren Astgabeln baut. Es war Anfang Mai, und nach dem eigenthümlichen „Murxen“, wie unsere Jäger sagen, mußten wohl Junge da sein. Jener eigenthümliche, halb unterdrückte Laut wird nämlich gerade immer bei Beängstigungen des Thieres vernommen. Als ich aber gar am Stamme zu rütteln und zu stoßen anfing, und mein Begleiter einige Steine zum Schreck zu den niederen Aesten hinaufwarf, da war die arme, geängstigt Mutter schnell entschlossen. Sie trug ihre gefährdeten Jungen eins nach dem andern höchst gewandt im Maule oder abwechselnd in dem linken Vorderbeine, welches sie gegen die Brust drückte, bis in das ziemlich weit davon entfernte, in einer Stammhöhlung befindliche Nest. Und wir hatten genug erfahren, um das Thier nicht hier noch zu beunruhigen. – Wie besorglich um seine Jungen auch das Edelwild ist, zeigt das Reh. Die Rike führt die Jungen, indeß der Rehbock echt ritterlich der Erste hinaus ist auf’s Feld und der Letzte wieder zurück in’s Gehölz. Die Rehmutter ist’s ja auch, die nach sorgfältigen Beobachtungen die Jungen sich schüchtern niederducken lehrt, wenn diese kindlich-einfältig und ohne Argwohn im Saatfelde gerade dastehen. Und dem Rehbock wiederum wird seine Kindesliebe zum Verderben, indem der Jäger das „Fiepen“ der Jungen nachahmt, worauf ihm der Bock zuläuft. Der Jäger nennt dies Verfahren bekanntlich „auf’s Blatt laufen“, weil er gewöhnlich auf einem Birken- oder Buchenblatt fiept.

Am meisten Gelegenheit, die Elternliebe der Thiere zu beobachten, gibt wohl die Classe der Vögel. Schon im Verse ist’s gesungen, daß selbst die Raubvögel ihre Jungen innig lieben: Wie ein Adler sein Gefieder über seine Jungen schlägt etc. Wüthend vertheidigen die Geier ihren Horst, und als im Glarner Freiberge ein Jäger die Jungen des Lämmergeiers ausnahm, verfolgten ihn die Alten noch vier Stunden weit, so daß er sich ihrer mit Macht erwehren mußte.

Auch an andern sonst so kaltblütigen Raubvögeln hat man dieselbe warme Elternliebe beobachtet. So an den räuberischen Würgern, die oft selbst kleineren Sängern in’s Nestlein einbrechen und die Jungen rauben und verzehren; sie verfolgen keck die sich nähernden größern Raubvögel und verführen dabei ein solches Geschrei, um überall, gleich befugter Polizei, vor den Strolchen zu verwarnen, daß sie schon von Alters her die Namen „Wächter, Warner“ erhielten. Ja, der kleine, schwarz gestirnte Neuntödter, der ebenfalls ein jämmerliches Lamento beginnt, wenn sich Feinde dem Neste nahen, ist jenen schon in’s Gesicht entgegen geflogen. Ebenso verfahren die größeren Drosseln bei der Vertheidigung ihrer Jungen, ängstlich wie der Ziemer ihr Quirik rufend, so daß es den Stein erbarmen möchte. In der höchsten Verzweiflung aber stechen sie wohl gar, ihr Leben wagend, gegen Hunde und selbst gegen Kinder. Wie gewinnend schon ist die Fürsorge der echten Singdrossel, der Drustel des Thüringers und der Zippe des Sachsen und Preußen. Ich habe ihr Nest mehrere Jahre hintereinander beobachtet, wie es in der Nähe eines Wässerchens, dicht an einem sehr begangenen Spaziergange des öffentlichen „großen Gartens“ bei Dresden, sich in das etwa reichlich mannshohe, wenngleich kahle Ruthenwerk einer Buche versteckt hatte. Das Nest war von dem dahinter liegenden Stamme kaum bei einem flüchtigen Blicke zu unterscheiden; Rindenfasern, Würzelchen, Stengelchen und Halme waren hier so verbunden, daß die Farbe des Stammes täuschend nachgeahmt war. Der Vogel saß brütend auf den grünlichblauen, getüpfelten Eiern, unverwandt die Kommenden im Auge. Kein Ruf, kein Flügelschlag, kein Zucken verrieth die ängstliche Mutter mit ihrer Brut; sie glaubte sich ungesehen, Aber leise folgte uns mit behutsamer Wendung der so treu fürsorgende Blick der freier aufathmenden Vogelmutter, wenn wir weiter gingen.

Ebenso haben mir alte Vogelsteller versichert, daß es eine Kunst sei, das Nest eines Blaukehlchens, welches nach denselben Grundsätzen baue, aufzufinden; das Blaukehlchcn und die Sperbergrasmücke seien einmal „scheue Nestvögel.“

Eine andere große Gruppe von Vögeln versucht es, durch ängstliches Flattern und lärmendes Geschrei nach einer ganz andern Stelle, als wo sich das Nest befindet, abzuleiten. Folgt der Verfolger ihnen aber nicht, sondern sucht weiter, dann halten sie wehklagend fast über ihm Stand. So der Kiebitz mit seinen Verwandten, den Regenpfeifern. Hastigen, aber gewandten Flugs bittet dann der schöne, gehäubte Kiebitz kläglich: „gäh nit, gäh nit!“ – Gehen aber z. B. Hunde dennoch auf das Nest im Rasen, so werden sie oft blutig gestochen zurückgewiesen.

Noch viel listiger wissen es die Grasmücken oder auch Rebhühner und Wachteln anzustellen. Werden deren Nester überfallen, so stäuben die Jungen auseinander; am kläglichsten geberdet sich dann die Alte und scheint wie verletzt, mit verrenktem Bein oder verletztem Flügel, nicht mehr fortzukommen. Damit aber zieht sie die Aufmerksamkeit des Verfolgers eben auf sich; weiter hinkend und weiter flatternd, entfernt sie ihn so weit vom Neste, bis die junge Brut Zeit gewonnen hat, sich zu sichern. Man muß namentlich eine Rebhuhnmutter in solchem Falle gesehen haben, um sich auch von der List eine Vorstellung zu machen, welche die Mutterliebe hier anwendet.

Andere Vögel, welche Brut im Neste haben, bewachen gemeinsam oder abwechselnd die Jungen; so der Storch. Von ihm ist’s sogar bewiesen, daß der Gatte wiederum das Weibchen ängstlich bewacht, wenn es brütet, und daß er ihm auch die Nahrung zuträgt. Graue Kraniche, die ihr Nest gern versteckt in Erlen- und Weidenbrüchen anlegen, gehen Tags über nie gerade auf ihr Nest los; sondern sie krümmen und ducken sich bis dahin, fliegen jederzeit entfernt davon auf und nieder, nur um die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_547.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2022)