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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Reisekoffer, nahm die Summe in Banknoten heraus, und legte sie auf den Tisch.

„Gut, Herr von Windheim.“

„Morgen hole ich mir von Ihnen Quittung und Kaufcontract.“

Beide reichten sich die Hand, als Zeichen des Abschlusses.

„Ich erwarte Sie zum Frühstücke, mein Herr; nach dem Frühstücke werden wir auf die Jagd gehen! Gute Gewehre finden Sie vor.“

Der Consul steckte das Geld ein, nahm Abschied und ging nach Hause.

„Dieser Edelmann hegt Ansichten von der Welt, die mich trösten!“ murmelte er vor sich hin. „Die Menschen sind schlecht, grundschlecht, und vorzüglich die Männer. Wahrhaftig, diese Uebereinstimmung unserer Ansichten macht mir den Mann lieb und werth.“

Denselben Abend brachte der Landpostbote Wilhelm Dewald’s Brief. Der Consul las ihn mit großer Genugthuung.

„Er hat die Tochter Meta’s und Bronner’s schon geheirathet!“ sagte er im Selbstgespräche. „Ich habe es mir gedacht, denn Wilhelm hatte das schöne Mädchen immer sehr gern. Das ist gut, recht gut! Ach, wäre ich nur nicht so krank, dann würden sich meine alten Tage vielleicht noch freundlich gestalten.“

Nachdenkend ging er eine Viertelstunde im Zimmer auf und ab. Sein Gesicht verfinsterte sich und mehr als einmal kniff er die Lippen zusammen, als ob er einen geheimen Groll unterdrücken wollte.

„Nein, es ist gut so, recht gut!“ rief er aus. „Der Teufel soll mich nicht wieder beim Schopfe packen, um mich von dem betretenen Wege zurückzuziehen. Was nützt mir denn das große Vermögen, wenn ich Nachts nicht schlafen kann? Dem Edelmanne erscheinen die Frauen, um ihn an seine unglückliche Liebe zu mahnen, und mir erscheinen sie, um – –“

Er nahm die Bibel von dem Tische, schlug eine bezeichnete Stelle auf und las mit lauter Stimme:

„Wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den wir [b]ei Gott haben sollten!“

Dann setzte er sich zu Tische und nahm ein kräftiges Mittagsessen ein. Nach Tische warf er ein Gewehr über die Schulter, pfiff einem großen Jagdhunde und ging in den Forst. Der Consul hatte heute Glück auf der Jagd: nach einer Stunde schon barg seine Tasche einen Hasen und zwei Hühner. So beladen schritt er rüstig einem Dorfe zu, dessen kleine ärmliche Häuser zerstreut am Walde lagen. Eine Brücke, welche die niedern Ufer eines Baches verband, führte ihn auf den Gottesacker. Rasch, als ob er den stillen Ort der Todten fürchtete, ging er um das Kirchlein, dessen weiße Mauern freundlich von der Nachmittagssonne beleuchtet wurden; dann eilte er der Pfarrwohnung zu, die hundert Schritte von der Kirche entfernt lag. Der Pfarrer, ein freundlicher Greis, empfing ihn in seinem Studierstübchen.

„Herr Pastor,“ sagte der Consul, „ehe ich mich setze, erlauben Sie mir, daß ich in die Küche gehe und Mutter Helenen den Inhalt meiner Jagdtasche abliefere. Uebermorgen ist’s Sonntag, die gute Wirthschafterin kann einen Hasen gebrauchen.“

„Sie sind sehr freundlich, Herr Consul,“ antwortete schmerzlich der Pastrr; „aber Helene wird mir wohl keinen Hasen wieder braten.“

„Warum? Warum?“

„Sie ist sehr krank.“

„Die arme Frau!“

„Der Arzt, der mich so eben verließ, meint, daß sie den nächsten Sonnenaufgang nicht mehr erleben wird.“

Erschüttert stellte Leberecht sein Gewehr in eine Ecke.

„Vielleicht folge ich ihr bald nach!“ murmelte er. „Ja, ja, Herr Pastor, mit meiner Gesundheit steht es schlecht, ich kann Ihnen das nicht oft genug wiederholen. Man hält mich für stark; aber ich bin schwach, sehr schwach!“

Der Pastor schüttelte sein greises Haupt.

„Wie dem auch sei, Herr Consul,“ antwortete er, „dieser Gedanke hat sein Gutes.“

„Wie so, Herr Pastor, wie so?“ fragte Leberecht rasch.

„Wer sich für krank hält, wird stets sein Ende vor Augen haben, und wer sein Ende vor Augen hat, handelt als ein guter Mensch. Ach, wie Wenige gibt es, die an den Tod denken! Dächte Jeder an den Tod, der doch sicher nicht ausbleibt, wir würden nicht so viel schlechte Menschen haben.“

„Sie haben recht, Herr Pastor, ganz recht; die Welt ist durch und durch verderbt, Alles lebt in den Tag hinein. Einer zwickt, zwackt, plagt und betrügt den Andern, ohne zu bedenken –“

„Daß dort oben der höchste Richter einst fragen wird: Mensch, wie hast Du auf der Erde gelebt? Warum hast Du das, das und das gethan? Du kennst meine Gebote und hast sie nicht befolgt.“

„Herr Pastor,“ sagte Leberecht, als ob er dieses Gespräch abbrechen wollte, „Mutter Helene ist also gefährlich krank?“

„Schon seit drei Wochen. Sie haben uns länger als einen Monat nicht besucht.“

„Weil ich krank, sehr krank war! Auch ich stehe im Begriffe, mein Testament zu machen, und Sie, mein würdiger Freund, sollen darin bedacht werden. Ich weiß, Ihre Pfarre trägt wenig ein, an Ersparnisse haben Sie nicht denken können, die Pension, deren Sie bedürfen, wird gering ausfallen – ich denke an Sie, Herr Pastor!“

„Ach, Herr Consul, wie gut sind Sie! Es ist ein Glück, daß der Himmel Sie mit irdischen Gütern so reichlich gesegnet hat, Sie, der Sie einen so guten Gebrauch davon machen. Wie wird sich Helene freuen, wenn ich ihr diese Nachricht mittheile!“

„Führen Sie mich zu ihr, ich werde sie ihr selbst mittheilen.“

„Kommen Sie, kommen Sie, Herr Consul, die Kranke hat oft nach Ihnen gefragt!“

Der Pfarrer führte den Gast in ein Giebelstübchen, dessen Fenster nach dem Friedhofe hinausgingen. Eine alte Bäuerin saß am Tische und strickte.

„Sie schläft!“ flüsterte sie den Eintretenden entgegen, indem sie auf die geschlossenen Gardinen eines großen Himmelbettes deutete – „schon eine Viertelstunde.“

„Stören wir sie nicht!“ murmelte der Consul. „Ich komme in einigen Tagen wieder.“

„Nur einen Blick!“ flüsterte der Pfarrer, indem er leise die Vorhänge auseinanderzog.

Der Consul faltete unwillkürlich die Hände, als er das freundliche Gesicht eines alten Mütterchens in den schneeweißen Kissen sah. Tausend Furchen, vielleicht mehr von Gram als von Alter erzeugt, durchzogen dieses bleiche Gesicht mit den schmalen Lippen. Eine weiße Nachthaube mit feinen Spitzen bedeckte den Kopf, in dessen Schläfen sich einige weiße Löckchen zeigten. Ruhig und mild, wie die herbstlose Abendsonne, die vor dem Fenster in dem gelben Weinlaube webte, waren die Züge der regungslos Schlummernden. Die magern Hände lagen gefaltet, als ob die Kranke gebetet, auf der Brust, die von keinem Athemzuge gehoben ward. Die Augenlider mit den langen weißen Wimpern waren halb geschlossen, und das starre Auge sah auf die Brust herab.

„Mein Gott, mein Gott,“ flüsterte der Pastor, der die Kranke scharf angesehen hatte, „das ist nicht die Ruhe des Schlafes – nein, wahrlich nicht – sehen Sie das gebrochene Auge, die starren Lippen –!“

Bestürzt schwieg er einige Augenblicke. Dann ergriff er die Hand Mutter Helenen’s. Thränen rannen über die gefurchten Wangen des Greises, indem er mit bebender Stimme sagte: „Sie schläft den ewigen Schlaf – ihre Hand ist starr und kalt, die Hand, die zwanzig Jahre für mich gearbeitet hat! Helene, Helene, treue Seele! Ja, sie antwortet nicht mehr! Ihr Auge ist gebrochen, ihre Lippen sind stumm! Helene, Du hast einen sanften Tod gehabt, den Tod der Gerechten!“

Weinend neigte sich der greise Pfarrer, küßte die starre Hand und legte sie auf die Brust zurück. Dann blieb er ruhig stehen und ließ seinen Thränen freien Lauf, die wie Perlen auf die schwarze Tuchweste rannen. Das Antlitz Mutter Helenen’s, von der Abendsonne beleuchtet, schien dem Trauernden Trost zuzulächeln. Das waren wirklich die Züge eines Menschen, der ohne Kampf und in der Hoffnung auf ein besseres Leben aus dieser Welt verschieden ist.

Dem Consul ward seltsam zu Muthe; zitternd wandte er sich ab und trat zu dem Fenster. Da sah er die Gräber, Leichensteine und Kreuze des Friedhofes. Er verließ das Sterbegemach und flüchtete sich in das Zimmer des Pastors, das die Aussicht in den Garten bot. Bald erschien auch der Greis, der seine Fassung wiedererlangt hatte.

„Nun stehe ich allein in der Welt,“ sagte er; „die letzte treue Seele hat mich verlassen. Mein Haus wird öde und leer sein,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 559. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_559.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)