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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

doch hat Oesterreich, während es die Donaufürstenthümer besetzt hielt, dieses Joch gebrochen. Zu einem Grundbesitz ist aber der Bauer noch nicht gelangt; der Boden, den er bebaut, gehört seinem Herrn, dem er zu Frohnden und Abgaben verpflichtet ist. Der Grundherr hat um so größere Gewalt, als er zugleich Beamter ist. Der unangesessene Beamte mißbraucht aber seine Gewalt sogar noch ärger. Er ist schlecht besoldet, auf Sporteln und Nebenverdienste angewiesen, daher Erpressungen und Feilheit des Rechts an der Tagesordnung sind. Wo Vermögen der einzige Rechtstitel für Amt und Ehre ist, wird die Erwerbung von Kenntnissen nicht sehr gesucht werden, zumal wenn, wie in den Donaufürstenthümern, die Gelegenheit dazu so sparsam geboten, so schwer zu erlangen ist.

Bojare.

Moderne Bojarin.

Der ärmere Bojar wohnt beständig auf seinem Dorfe und sein Gesichtskreis reicht nicht über die Grenze seines Gutes oder seines Bezirks hinaus; der wohlhabendere besitzt ein Haus in der nächsten Stadt, das er, auch wenn es mit Stroh gedeckt ist, sein Palais zu nennen beliebt; die reichen Familien sind in den beiden Hauptstädten angesessen, wohnen im Winter zu Bukarest oder Jassy und begeben sich gern auf Reisen. Paris namentlich ist das Mekka der reichen Bojaren, da aber ihre meist geringe Bildung sie aus den Salons der guten Gesellschaft ausschließt, so sind sie auch in der Fremde nur auf einander oder auf einen wenig rühmlichen Umgang angewiesen. Was sie dem armen Volke in der Heimath abgeschunden haben, verprassen sie in Frankreichs Hauptstadt, zerrütten ihre Gesundheit und ihr Vermögen und kehren mit ekelhaften Krankheiten und jenem Grade geselliger Tournure, wie sie die Bedienten französischer Häuser sich aneignen, an die Donau zurück. Man sieht es ihnen im Innern und Aeußern an, daß sie nur die Fetzen abendländischer Civilisation zusammengelesen haben, und bei dem Unebenmäßigen ihrer Einrichtung wird man unwillkürlich an die Zustände in Otaheiti erinnert. Der nackte Insulaner der Südsee ist zufrieden, wenn er ein europäisches Kleidungsstück erhascht, und so erscheint der Eine mit einem Hemde, der Andere mit ein Paar Hosen, der Dritte mit einem Frack u. s. w. bekleidet. Aehnlich betritt man in den Donauländern hier ein elendes Haus, worin man durch eine elegante Einrichtung überrascht wird; dort präsentirt sich das Aeußere eines Hauses recht einladend, im Innern wird man dagegen allen Comfort vermissen; genug, es sind überall die disjecta membra dessen, was in den höheren Kreisen anderer Länder vereint als Erfordernisse zu einem behaglichen Lebensgenuß gerechnet wird. Dieselbe Disharmonie ist auch bei den Equipagen zu sehen. Bald ziehen vier prächtige Pferde einen elenden Rumpelkasten, bald sind einem modischen Wagen erbärmliche Thiere vorgespannt, auf welche der Kutscher erbarmungswürdig lospeitscht. Die höheren geistigen Bedürfnisse gehen ganz leer aus. Bücher, zumal wissenschaftliche Werke, fehlen; den Künsten hat der Bojar noch keinen Geschmack abgewonnen; mit Gemälden, Statuen und ähnlichen Gegenständen umgibt er sich nicht. Musikalische Instrumente sind selten, und wo irgend ein altes Klapperbrett von Piano

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_580.jpg&oldid=- (Version vom 25.10.2022)