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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

zu lieben. Außerdem wollte sie auch Alexander mit in den Bund gegen den Consul ziehen.

„Nun, mein Herr,“ flüsterte sie, „wenn ich Ihnen jetzt sage, daß Albertine die Gattin Dewald’s ist, daß ich nicht verheirathet bin, daß ich nur, um meinen Freunden das Vermögen zu erhalten, mich dazu verstanden habe, für einige Zeit die Nichte des Consuls zu spielen?“

„Großer Gott!“

„Ich sollte eigentlich ausgelassen, fröhlich erscheinen; aber Ihre Anwesenheit, Alexander, hat meinen Plan zerstört!“ fügte sie weinend hinzu.

Der junge Mann war seiner nicht mehr mächtig; überwältigt sank er vor ihr nieder, ergriff ihre Hand und bedeckte sie mit Küssen.

„Ach, Louise,“ rief er, „Sie sind ein Engel, den ich lieben, den ich anbeten muß! Was ich that, geschah aus Verzweiflung über Ihren Verlust! Mein Herz war zerrissen – ich haßte die Welt – und hier, in dieser Einsamkeit, wollte ich mein Leben vertrauern, wollte nie wieder eine Frau sehen!“

Louise athmete hoch auf.

„Alexander,“ rief sie, „Sie nehmen eine schwere Last von meinem Herzen!“

Dann neigte sie sich und drückte ihre Lippen in einem langen Kusse auf seine Stirn. Da ward rasch die Thür geöffnet und der Consul, der seine Nichte suchte, trat in den Saal.

„Element, was ist das?“ rief er mit seiner kräftigen Baßstimme.

Die Liebenden erschraken. Alexander sprang auf.

„Nicht übel, nicht übel!“ rief Leberecht. „Der Mann frevelt im Garten und die Frau hier im Saale! Großer Himmel, was sind das für Menschen? Was ist aus der Welt geworden? Und Sie, mein Herr Philosoph, der Sie angefüllt sind mit herrlichen Tendenzen, halten wohl eine moralische Vorlesung? Sie lieben wohl aus lauter Menschenhaß?“

„Onkel,“ rief Louise lachend, „die Sache ist so unbedeutend, daß sie kaum einer Erwähnung verdient.“

„Wie, Madame, ein Ehebruch wäre eine unbedeutende Sache!“ rief außer sich der Consul.

„Lieber Onkel,“ fuhr Louise muthwillig fort, „haben Sie denn noch nicht gesehen, daß ein Mann zu den Füßen einer schönen Frau liegt? Wundern Sie sich darüber?“

„Guter Gott, ist das eine Sprache! Madame, vergessen Sie denn, daß Sie verheirathet sind? Wenn ich nun meinem Neffen erzähle – –“

„So werden Sie ihm nichts Neues sagen!“ rief Louise lachend. „Freiheit, völlige Freiheit ist unsere Devise! Wilhelm genirt mich nicht, ich genire ihn nicht – auf diese Weise leben wir stets in Einigkeit.“

Der Consul schlug die Hände über dem Kopfe zusammen.

„Welche Grundsätze,“ rief er, „welche Schamlosigkeit! Mir scheint, ich lerne hier eine moderne Ehe vom reinsten Wasser kennen! Mein Haus brennt in allen vier Ecken! Mein Gott, ist das eine Wirthschaft!“

Louise ließ sich nicht aus der Fassung bringen.

„Bester Onkel,“ rief sie, „wollen Sie sich ärgern, um krank zu werden? Bedenken Sie Ihre schwache Gesundheit!“

„O, mein Kopf, mein armer Kopf! Diese freche Person, mit der ich es so gut meinte, lacht über mich!“

Alexander begriff die Absicht des jungen Mädchens; er glaubte sie unterstützen zu müssen.

„Herr Consul,“ rief er, „das ist wahrlich abscheulich!“

Louise warf ihm einen verachtenden Blick zu.

„Herr von Windheim, Sie wissen nicht, was Sie sagen! Und Sie, mein lieber Onkel, der Sie die Gebräuche der guten und feinen Gesellschaft nicht kennen, mögen sich beruhigen, denn es ist in Ihrer keuschen Solitüde durchaus Nichts vorgefallen, das Sie beunruhigen könnte. Bei meiner Ehre! Warten Sie nur, in kurzer Zeit sind wir die besten Freunde von der Welt. Adieu, Herr von Windheim! Wir sehen uns wieder! Lassen Sie nicht so lange auf sich warten!“

Louise schlupfte in das Nebenzimmer und schloß die Thür hinter sich.

„Ich ersticke! Ich ersticke!“ rief der Consul. „Wie habe ich mich in dieser Frau getäuscht! Wenn sie jetzt, nachdem sie kaum acht Tage verheirathet ist, solche Dinge treibt, was wird sie in einem Jahre beginnen?“

„Herr Consul, das ist in der That ein seltsames Betragen!“ sagte Alexander.

„Ah, da sind Sie ja mit Ihrem Menschenhasse, mein Herr! Ihre Manier zu hassen, gefällt mir!“

„Ich habe mich von dieser Sirene verführen lassen. Die größten Männer haben Augenblicke, in denen sie schwach sind – ich erröthe, daß ich nicht besser auf meiner Hut gewesen – aber ich schwöre Ihnen, mein Herr, daß ich für Ihre Nichte stets nur das Gefühl hegen werde, das die Ehre vorschreibt.“

„Herr, meine Nichte ist verheirathet!“ brüllte der Consul, roth vor Zorn.

„Um Ihnen zu beweisen, daß ich an Madame Dewald nicht mehr denke, werde ich ihre Freundin heirathen.“

„Wie, ihre Freundin? Albertine?“

„Die Freundin, die Ihre Nichte begleitet.“

„Herr, plagt Sie der Teufel? Kennen Sie auch die Person, die Sie ohne Weiteres heirathen wollen?“

„Ich glaube.“

„Sie glauben es und ich sage Ihnen, daß Ihnen die Haare zu Berge stehen, wenn Sie wissen, was ich weiß.“

„Mein Entschluß steht fest.“

„Ich dulde nicht, daß Sie von diesem Weibe betrogen werden. Aber wenn ich Ihnen nun sage, daß ich mit meinen eigenen Augen vorhin gesehen habe, wie –“

„Irrthum, Herr Consul!“

„Herr, meine Augen sind gut!“

„Sie sind von Vorurtheilen beseelt.“

„Sie müssen durchaus wissen –“

„Ich weiß Alles!“

„Himmel, wie starrköpfig! Glauben Sie mir, Sie werden der unglücklichste Ehemann.“

„Gleichviel, ich riskire es.“

„Gut, so heirathen Sie, aber entfernen Sie sich aus meinem Hause! Heirathen Sie die liebenswürdige Freundin meiner Nichte, aber treten Sie mir nicht wieder unter die Augen. Die Sitte, der Anstand schreibt mir diese Maßregel vor. Der Wagen ist angespannt, besteigen Sie ihn mit Ihrer Braut und lassen Sie sich trauen, wo Sie wollen. Mit meinem Herrn Neffen werde ich ein ernstes Wort reden.“

„Herr Consul,“ rief Alexander, „Sie sind ein so liebenswürdiger Mann, daß Sie sich mit der Welt wieder aussöhnen. O, wir sehen uns wieder, wir müssen uns wiedersehen!“

Er verließ hastig den Saal.

Der Consul trocknete den Schweiß von seiner Stirn.

„Ich fühle mich unwohl!“ murmelte er vor sich hin. „Diese übergroße Aufregung wird meiner schwachen Gesundheit den Rest geben. Alle diese Menschen sind entweder Narren oder grundschlecht. Und dieser leichtsinnige Edelmann! Fast möchte ich über ihn lachen, denn er liefert den Beweis, daß die Männer, die am lautesten über die Frauen schreien, sich am leichtesten von ihnen fangen lassen. So viel steht übrigens fest: die Menschen sind alle schlecht, alle, alle! Aber kann diese Wahrheit mich beruhigen? Kann sie mir den Schlaf, die Freudigkeit des Gemüths zurückgeben? Ah, daß ich Louise Bronner so leichtsinnig, so verderbt finden mußte!“

Der arme Mann sank erschöpft in einen Sessel; er faltete die Hände und schloß die Augen wie ein Mensch, der an heftigen Kopfschmerzen leidet. Nach einigen Minuten ward die Thür des Seitengemachs geöffnet. Louise trat leise in den Saal. Sie trug Hut und Shawl.

„Er schläft!“ flüsterte sie.

Dann schlich sie ihm leise näher und hing ihm eine schwarze Schnur um den Hals, an der ein kleines Portrait befestigt war.

Der Consul schlug die Augen auf. Louise wollte entfliehen.

„Wohin?“ fragte er, ihre Hand erfassend.

„Abreisen!“ sagte keck und kurz das junge Mädchen.

„Allein?“

„Ich hoffe, Begleitung zu finden.“

In diesem Augenblicke bemerkte der Consul das Portrait.

„Was ist das?“ fragte er.

„Es ist das theuerste Andenken an meine selige Mutter – ich lasse es Ihnen zurück, da ich weiß, daß die Verstorbene Ihnen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_598.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)