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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

dastehen, wie ehedem der Erfinder, der Schriftsteller[WS 1] und der Künstler.

Wir sprechen hier von dem weiten Gebiete der Muster und Formen, für welche man von Seiten der Betheiligten seit vielen Jahren schon in den meisten, namentlich industriellen Ländern nach Schutz verlangt, ohne daß es bis jetzt gelungen ist, die Regierungen zu einem entsprechenden Gesetze zu veranlassen und die öffentliche Meinung in solcher Weise zu gewinnen, wie es wünschenswerth ist. In letzter Zeit noch hat man dafür in Preußen petitionirt und ein in dieser Angelegenheit von einem Fabrikanten in Brandenburg a. d. Havel, Herrn Noll, vorzugsweise an die Mitglieder beider Häuser des preußischen Landtages gerichtetes Sendschreiben gibt uns die Veranlassung, das größere Publicum für dieselbe zu interessiren.

Indem wir dem Gedankengange des mit dem Motto unserer Abhandlung versehenen Noll’schen Sendschreibens folgen, wollen wir uns einer deutlichen Darstellung befleißigen, um auch den Laien verständlich zu machen, was die Betheiligten unter Muster und Formenschutz verstehen und welche Ansprüche sie dieserhalb machen.

Viele der Leser und freundlichen Leserinnen dieser Zeilen gehen täglich an den Auslagekasten in großen und kleinen Städten vorüber und schauen sich je nach Geschmack und Bedarf die zum Verkauf ausgestellten Gegenstände an. Da liegt ein reizendes Jaconetkleid, dort ein prächtiges Band mit so schönen Blumen geziert, als hätte sie der Künstler mit dem Pinsel geschaffen; weiter sehen wir ein Glas in alter und edler Form, endlich ein reizend ausgedachtes Etui, in welchem sich eine ganze Schneiderei und Literateneinrichtung, durch geistreiche Zusammenstellung von Nähnadeln, Scheere, Zwirn, mit Papier, Tinte, Federn und Siegellack, unter einem Verschluß vereinigt findet.

Mit dem angenehmsten Eindruck über die schönen Muster und Formen, allenfalls mit dem Gedanken, „was aber die Leute jetzt Alles erfinden!“, und im günstigsten Falle mit dem Vorsatze, wenn die Casse es erlaubt, Das oder Jenes zu kaufen, verläßt man die Auslage und nur Wenige denken darüber nach, welche großen Schwierigkeiten, welches Nachdenken, welche Geldopfer, wie viel Zeit und Mühe das Schaffen mancher dieser Gebilde, man mag sie Muster, Form oder Zusammenstellung nennen, gekostet haben, ehe sie dem Publicum zum Gebrauch vorgelegt werden konnten!

Und doch ist es wahr, daß die Schwierigkeit der Herstellung vieler industrieller Erzeugnisse, sowohl was ihre Zusammensetzung, ihre Form oder sonstige äußere Erscheinung betrifft, sich nicht allein messen kann mit vielen Erzeugnissen der Literatur, der Musik und Kunst, deren Schutz wir oben besprachen, sondern thatsächlich einen größeren Aufwand an geistiger Kraft, an Zeit und Geld in Anspruch nimmt, wie jene. Um nur ein Beispiel aufzuführen, wählen wir die Anfertigung eines sogenannten Wiener Shawl’s (Umschlagtuchs). Zu einem solchen gehört vor allem eine Zeichnung, die nicht von einem gewöhnlichen Musterzeichner, sondern von einem tüchtigen, künstlerisch durchgebildeten Maler angefertigt wird, welcher aber nicht, wie der Hersteller eines Gemäldes, lediglich seiner Phantasie folgen darf, sondern fast bei jedem Pinselstrich darüber nachdenken muß, ob die Form, die er gibt, auch technisch ausführbar sei. Eine solche höchst schwierige Zeichnung kostet 100 bis 200 Thaler und darüber. Mit dieser Zeichnung ist aber Nichts weiter als das Bild geschaffen, welches dem Fabrikanten zeigt, wie der anzufertigende Shawl nach seiner Vollendung auf dem Webstuhle aussehen soll, und es bedarf noch der Anfertigung mehrerer tausend sogenannter Karten (Pappestreifen, in welche Löcher nach gewissen, durch die Zeichnung bestimmten Entfernungen geschlagen werden), um das Muster auf dem äußerst complicirten Jacquardstuhle (ein Webestuhl, im Anfange dieses Jahrhunderts von einem Franzosen, Jacquard in Lyon, erfunden, welcher heute noch unübertroffen dasteht) weben zu können.

Diese Karten nebst der sehr schwierigen Vorbereitung zum Beginn des Webens, dem sogenannten „Einziehen“, können leicht auch einige hundert Thaler kosten.

Wir sehen also, daß zur Erzeugung eines Shawl-Musters eine baare Auslage von mehren hundert Thalern nöthig ist, wir wissen aus dem Gesagten, daß es eines Künstlers Hand zur Anfertigung der Zeichnung bedarf, wir erfahren ferner, daß es großen Nachdenkens und mühsamer Vorrichtungen bedarf, um den Shawl zu weben, und daß die combinirteste praktische Anwendung der Chemie nothwendig ist, um dem seidenen und wollenen Garne, welches verwendet werden soll, die reizende, der Natur abgelauschte Farbe, welche wir auf solchen Fabrikaten sehen, zu geben, und werden sonach zugestehen müssen, daß sich eine solche Leistung rechtmäßig einer Abhandlung über einen wissenschaftlichen Gegenstand, oder dem Componiren eines Musikstückes, oder dem Schaffen eines Bildes durch einfache Malerei an die Seite stellen läßt. Und dennoch finden die Schöpfungen auf industriellem Gebiet, mit Ausnahme der Maschinen und mancher chemischer Proceduren, bis jetzt wenigstens, keinen Schutz! Nachdem ein derartiger Gedanke durch das Manufact seinen sichtbaren Ausdruck gefunden, steht derselbe rechtlos da, der nächste Freibeuter macht das Geschaffene nach und kann die Form, welche dem ersten Erzeuger bedeutende Summen kostete, für die paar Thaler erlangen, welche er zum Ankauf des fertigen, nach der schmählichen Benutzung zur Nachahmung auch noch brauchbaren Gegenstandes bezahlt hat. Schande solchem Verfahren!

Die gegebenen kurzen Andeutungen, die Kosten eines Shawlmusters betreffend, sind ein in’s Auge fallendes Beispiel, wie bedeutend dieselben häufig sind, allein abgesehen von der Weberei, gibt es noch viele Zweige der Industrie, in welchen Muster und Formen eine Hauptrolle spielen und die Auslagen dafür unglaublich groß sind.

Es versteht sich von selbst, daß nicht alle Gegenstände, die uns unter neuen Formen begegnen, Hunderte von Thalern Vorbereitungskosten erforden, aber so viel steht fest, daß die Erzeugung derselben in allen Fällen das Product längeren Nachdenkens, d. h. geistigen Schaffens ist, welches letztere, ganz abgesehen von dem Kostenpunkt, reellen Anspruch auf Schutz, wie jedes andere sogenannte geistige Eigenthum, welches sich davon in keiner Weise unterscheidet, in Anspruch zu nehmen berechtigt ist. Worin liegt denn der so große Unterschied, ob Jemand denkt, schreibt und drucken läßt (schriftstellert, componirt), oder ob er denkt, malt (ein Muster erfindet) und dieses dann häufig mit noch mehr Schwierigkeit, als der Buchdruck mit sich bringt, statt auf Papier, auf baumwollenem oder seidenem Zeuge vervielfältigt?

Wir werden hier auf keinen großen Widerstand stoßen, wenn wir annehmen, daß der Unterschied in diesem Leisten nicht gar groß ist, wollen uns aber dagegen verwahren, als ob wir jede geringe industrielle Leistung auch nur entfernt vergleichen wollten mit den erhabenen Schöpfungen einzelner großer Geister auf wissenschaftlichem, musikalischem oder künstlerischem Gebiete; allein eben so gut wie Goethe’s Werke geschützt werden gegen Nachdruck, durch dasselbe Gesetz wie eine Abhandlung über die Fleckseife, so verlangen wir, daß dieser Schutz nach Verhältniß des Werthes der Sache Jedem für seinen Theil werde und nur ein Unterschied darin eintrete, daß eine bedeutende Leistung längere Zeit und eine geringere kurze Zeit, vielleicht nur Monate, gegen Nachahmung geschützt werde.

Dieser Wunsch ist von den Industriellen, wie wir bereits erwähnt haben, vielfach ausgesprochen und durch Petitionen an die betreffenden Regierungen unterstützt worden, doch, obgleich man sich auf die in Frankreich und England längst bestehende Einrichtung des Musterschutzes beziehen konnte und hierdurch die Möglichkeit eines diesem gewidmeten Gesetzes erwiesen ist, hat die gewichtige Frage noch keine Erledigung gefunden. Auch in Preußen, welches mit lobenswerthem Eifer die Sache des Schutzes des geistigen Eigenthums in der bereits erwähnten Richtung zuerst in die Hand genommen hat, ist es bis jetzt noch nicht gelungen, die Nothwendigkeit und Nützlichkeit eines Gesetzes für Musterschutz so darzulegen, daß die Regierung die Vorlage eines solchen an den Landtag beschlossen hätte, obgleich es sich auch hierbei, wie wir sehen werden, durchaus nicht allein um die dadurch vermittelte materielle Verbesserung des ersten Erzeugers oder Erfinders handelt, sondern um die Lösung von Fragen, welche eine bedeutende Wirkung auf die sittliche Anschauung des Volkes ausüben müssen und für die pecuniäre Stellung einer großen Menge von Arbeitern in den verschiedenen Zweigen der Industrie von ungemeiner Wichtigkeit sind. Dadurch nämlich, daß wir Muster- und Formenschutz entbehren, sind wir, namentlich was solche Industrien betrifft, welche aus dem Auslande erst nach Deutschland übergegangen sind, wie die Druckerei, die Kunstweberei, größtentheils zu Nachahmern des ausländischen Musterwesens geworden, was allerdings billiger ist, wie die eigene Erfindung, aber jedenfalls den großen Nachtheil hat, daß man unser Fabrikat auf ausländischen Märkten nicht für originales Product ansieht, sondern als Conterfei und mithin nicht so bezahlt,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schrifsteller
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 605. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_605.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)