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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

wie das Original. Das ist eine Schattenseite des Nachahmens, eine andere ist es, daß wir bei weitem weniger künstlerisches Talent der Industrie dienstbar machen können, wie das beispielsweise in Frankreich geschieht, wo nicht selten Zeichner (wirkliche Künstler), welche mit dem Erfinden von Mustern für die theuern Lyoner Seidenstoffe, für Meublezeuge und andere Luxusartikel beschäftigt werden, drei- bis viertausend Thlr. und mehr Jahresgehalt beziehen, welchen der Fabrikant lediglich dadurch zu bezahlen im Stande ist, daß er durch die Neuheit und Originalität seines Geschmackes oft unglaubliche Preise für sein Fabrikat erzielt. Endlich, und das ist unserer Ansicht nach die wichtigste Seite, kann in vielen Gewerbszweigen nur durch Musterschutz dem in der That Niemandem, weder dem Fabrikanten noch dem Käufer, eigentlichen Vortheil bringenden Sinken der Preise und als nothwendige Folge der Löhne entgegen gearbeitet werden, indem dieses zwecklose, aber für die Arbeitsbevölkerung mit pecuniärem und sittlichem Nachtheil verbundene Herabdrücken häufig nur deshalb stattfindet, weil der Fabrikant alsdann wohlfeiler verkaufen muß, um noch rasch die Kosten einer Form oder eines Musters zu decken, wenn es, eben nachgeahmt, von dem Concurrenten zu einem bei weitem billigerem Preise, wie der im Anfange von dem ersten Erzeuger mit Leichtigkeit erzielte, ausgeboten wird.

Hier ist es augenscheinlich, wie wesentlich das Wohl der Arbeiter solcher Industrieen, wo Form und Muster eine große Rolle spielen, mit dem Schutz des besprochenen geistigen Eigenthums zusammenhängt! Jetzt ist eine Tabula rasa in dieser Seite des Verkehrs. Wie bereits erwähnt: ein Theil der Fabrikanten copirt französische, englische und andere Muster, ein anderer Theil, welcher eine gewisse Ehre darin setzt, originell zu sein, producirt Neues mit großen Opfern, und ein anderer Theil liegt, wie die früheren Raubritter, im Hinterhalt, fällt über die neue Production her, und macht sie sich, wenn er auch nicht bis in’s kleinste Detail copirt, für ein Billiges zurecht. Und das thun Leute, bei welchen man schlecht ankommen würde, wenn man von Diebstahl spräche, was eine solche Handlungsweise in der That ist!

Es gibt zwar in manchen Ländern einzelne Gesetze und Verordnungen, welche die gerichtliche Verfolgung solcher Nachahmungen möglich machen, doch ist das Verfahren vor gewöhnlichen Gerichten, wie bekannt, ein so zeitraubendes, daß diesen Weg selten ein Verletzter einschlägt, um so mehr, als der Beweis im Sinne der juristischen Anschauung so schwierig zu führen ist, daß man so lange von der Verfolgung jener Räuber abstehen muß, als nicht ein besonderes Gesetz dafür gegeben, und dasselbe von sachverständigen Richtern, welchen zur Ueberwachung der vorgeschriebenen formellen Behandlung ein juristisch befähigtes Mitglied beigegeben sein dürfte, in Anwendung gebracht wird.

In Folge dessen werden die Klagen von Seiten der Betroffenen immer lauter, und erst vor Kurzem haben „die Aeltesten der Kaufmannschaft“ in Berlin durch eine Commission einberufener Sachverständiger den Entwurf zu einem Gesetz für den Musterschutz aufstellen lassen, und diesen der preußischen Regierung unterbreitet.

Die Forderung nach Muster- und Formenschutz ist eine gerechte, und wir stimmen in den mehrfach ausgesprochenen Wunsch ein, daß es sich gerade die zur unserer großen Genugthuung nunmehr geschützten Schriftsteller, namentlich jene der Zeitungspresse angehörigen, zur Aufgabe machen sollten, die Angelegenheit recht durchzusprechen, damit man in dem Erlaß eines Gesetzes der besprochenen Art die Erfüllung, nicht eines Zugeständnisses für die Industriellen, sondern einer Forderung der öffentlichen Moral finden möge.

Schließlich müssen wir noch bemerken, daß die Gewährung desselben für einzelne kleine Länder, keinen praktischen Nutzen haben könnte, indem lediglich nur ein Gesetz für ganz Deutschland (noch besser in Gemeinschaft mit Oesterreich) von durchgreifender Wirksamkeit sein kann. Einem solchen könnte man zu gleicher Zeit strafrechtliche Bestimmungen gegen die bisher vielfach ungestraft ausgeübte Nachahmung von sogenannten Fabrikzeichen (ganz gleichbedeutend mit dem Nachahmen des Petschaftes eines Privatmannes) beifügen, wie dies neuerdings in Frankreich geschehen, wo jede durch ein unberechtigtes Zeichen gestempelte und jede eingehende Waare ohne Unterschied confiscirt wird, welche ausländischen Ursprungs ist und ein auf französischen Ursprung deutendes Fabrikzeichen (auch wenn es nicht nachgemacht ist) an sich trägt, so wie in England, wo jede Waare confiscirt wird, die durch ein englisches Zollamt auch nur transito geht, wenn sich auf dem vorfindlichen Fabrikzeichen der englischen Sprache bedient ist.

Wir wollen dergleichen dem Auslande gegenüber drückende Maßregeln, namentlich die zuletzt angeführte englische Einrichtung, welche zur groben Ungerechtigkeit wird, und gar nicht geduldet werden sollte, nicht rechtfertigen, rathen aber, die gedachten Länder, was das Gute und Zweckmäßige in ihren Gewerbsgesetzen anbelangt, immer wieder zum Vorbild anzunehmen, daß das Suum cuique in Deutschland auch für die Gewerbtreibenden zur Wahrheit werde.

–ng.




Aus der Beamtenwelt.
Skizzen nach der Natur.
II. Ein Ruheposten.

Es geht nichts über einen recht kernhaften klaren Wintertag, wenn die reifbehängten Baumzweige im Sonnenlichte glitzern, der frischgefallene Schnee unter des Wanderers Füßen knistert und die ganze Natur Gesundheit und Kraft auszuströmen scheint. Aber freilich, was Warmes um den Leib und in den Leib, das thut nicht allein wohl, sondern das thut gar Noth an so kernhaften Wintertagen. Zumal dort oben in dem nordöstlichen Winkel der Monarchie, wo der Nord- und Ostwind um die Wette vom „kurischen Haff“ hersausen und über die Haiden und Moräste der litthauischen Ebene hinfegen, daß es bis in’s Mark dringt. Am schlimmsten scheint es um Lichtmeß herum zu sein, und das wissen die Pferdebauern ganz gut, die um diese Zeit zu Markte oder nach der Kreisstadt in Geschäften fahren. In dicke Pelze eingehüllt, die Mütze tief in die Stirn gedrückt, fahren sie, innerlich durch manchen reichlichen Schluck wohlerwärmt, mit ihren kleinen Schlitten über die schneebedeckte Ebene, und müssen doch von Zeit zu Zeit aussteigen und neben dem Schlitten hertraben, um die fröstelnden Glieder durch rasche Bewegung zu erwärmen.

So gut ward es dem einsamen Wanderer nicht, der jetzt, aus der Haide tretend, den Weg quer durch ein weites Schneefeld verfolgte, auf welchem die wenigen Schlittenspuren bereits wieder vom scharfen Nordostwinde verweht waren. Aber einen anderen Weg gab es nicht, und er mußte mitten hindurch, wie tief er auch bei jedem Schritte in den Schnee einsank. Die spärliche Communication in den dünnbevölkerten Landstrecken überläßt es dem Verkehr, sich die Mehrzahl seiner Wege selbst zu schaffen. Im Sommer geht es wohl an, aber im Winter und bei reichlichem Schneefall gelingt es oft nur durch große Opfer, die Hauptstraße für den Postverkehr fahrbar zu erhalten. Und an reichlichem Schnee pflegt es diesen Gegenden am allerwenigsten zu fehlen.

Unser Wanderer war eine hochaufgeschossene Figur, welche noch größer erschienen wäre, wenn der Mann sich gerader gehalten hätte. Sei es Schwäche oder Bequemlichkeit, – er neigte den Oberkörper im Gehen stark nach vorn und ließ den Kopf herunterhängen. Sein Anzug war der Jahreszeit nicht sonderlich angemessen. Um eine Art Militairmütze, die er auf dem Kopfe trug, war ein buntgefärbtes Taschentuch in der Art geschlungen, daß es die Ohren bedeckte. Die blaue Blouse war durch einen breiten Gurt zusammengehalten, unter derselben sah ein langschößiger, vielfach geflickter Hausrock hervor, der von der sonstigen Kleidung nichts sehen ließ, als ein paar grober Schmierstiefel, deren Schäfte sorglich mit Stroh gefüllt waren. Um den Hals trug der Mann eine lederne Brieftasche und in der rechten Hand einen tüchtigen Weißdornstock. – Das Gehen mußte ihm Beschwerde machen, denn von Zeit zu Zeit blieb er stehen, holte tief Athem und rückte die Brieftasche auf eine andere Stelle. Mitunter langte er wohl auch in die Tasche, brach von dem in einem Leinwandlappen aufbewahrten groben Brode einen Bissen ab, träufelte aus einer kleinen Flasche ein paar Tropfen Branntwein darauf und stärkte sich durch diese mäßige Erquickung zum

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_606.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)