Seite:Die Gartenlaube (1857) 607.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

weiteren Marsche. Es schien aber nicht, daß das Stärkungsmittel den gewünschten Erfolg gehabt habe, denn unser Wanderer mußte bald darauf wieder stehen bleiben, zog den Leibgurt fester an und hauchte in die erstarrten Hände, welche nur zur Noth durch grobe Fausthandschuhe von wollenem Zeuge geschützt waren.

Die tiefe Stille ringsumher – (selbst die paar Sperlinge, die hin und wieder in den kahlen Bäumen saßen, verhielten sich schweigend) ließ ein näher kommendes Schlittengeläut deutlich vernehmen; unser Wanderer spitzte gespannt die Ohren, – er hatte sich nicht getäuscht, ein leichter Schlitten jagte, von zwei kräftigen litthauischen Pferden gezogen, über das Feld und war bald in seiner Nähe. In diesen Gegenden kennt Alles einander innerhalb eines gewissen Umkreises, sofern es nur überhaupt ein Mal in Berührung mit einander kommt. Es muß seltsam zugehen, wenn du ein dir entgegenkommendes Fuhrwerk nicht schon von Weitem erkennst; ist dir nicht der Wagen oder Schlitten bekannt, so ist es der Kutscher, ist es dieser nicht, so sind es die Pferde, denn diese sind der Mittelpunkt des gesammten Interesses für eine Bevölkerung, deren Wohlstand hauptsächlich auf der Pferdezucht beruht. Der Blousenmann hatte den Schlitten nebst Inhalt und Zubehör sofort erkannt, ein zufriedenes Lächeln glitt wie ein erwärmender Sonnenstrahl über sein blaugefärbtes Gesicht und er blieb zuversichtlich mit einer schnellen Wendung rechtsum stehen. Der Insasse des Schlittens streckte den Kopf hinaus (in Wirklichkeit war aber nichts weiter von ihm zu sehen, als die Nasenspitze und ein Stück Brille – der Rest war sorglich in Pelzwerk eingemummt) und hatte den Fußgänger gleichfalls erkannt.

„Guten Tag, Adamski,“ rief er ihm zu, „schön’ Wetter heut’ zum Spazierengehen –?“

„I nu, es macht sich wohl, Herr Fiscal!“ erwiderte der Angeredete, „man kriegt zum Wenigsten nicht den Sonnenstich, – mit Respect zu vermelden.“ Er versuchte, dazu zu lächeln; aber die Wahrheit zu gestehen, brachte er es zu keinem ganz glücklichen Ende damit, und es kam nichts zum Vorschein, als ein ziemlich weinerlicher Gesichtsausdruck, den man nach dem Sprachgebrauche des Landes einen „Flunsch“ nennt.

„Ja, ja,“ fuhr der Fiscal fort, der gut scherzen hatte in seinem warmen Pelz nebst Fußsack und Pelzhandschuhen, „so ein Landbriefträger hat ein Leben, wie Gott in Frankreich. Kann den ganzen Tag spazieren gehen, während Unsereins in den räucherigen Stuben hocken muß –! Na, wie ist’s denn, Vater Adamski, verdien’ ich heut’ ein Wegegeld an Euch –? Wollt Ihr mit nach Kralingken?“

„I nu, Herr Fiscal, wenn der Herr Fiscal die große Gütigkeit hätten, für ein Vergelt’s Gott, denn mehr wird’s doch wohl nicht bei einem armen Landbriefträger absetzen, als einen Gotteslohn – ja, ja, es sind harte Zeiten, hochgeehrtstes Herrchen –!“

Damit hatte er neben dem Fiscal Platz genommen, der bereitwillig in die Ecke rückte, um dem neuen Ankömmling Raum zu gönnen. Der Schlitten war mit Pelzwerk überreichlich versehen und Vater Adamski konnte sich behaglich zudecken, ohne seinen Gönner zu geniren.

„Das ist für auswendig ganz gut, Adamski,“ begann der joviale alte Herr von Neuem, „wie sieht’s aber inwendig aus – ?“

Der Fiscal hatte ein wohlverkorktes Fläschchen aus der Schlittentasche hervorgeholt und schenkte dem fröstelnden Postboten ein Gläschen jenes goldfunkelnden, feurigen Ungarweins ein, den die Lebemänner des Nordens ganz besonders zu schätzen wissen.

„Ohne Umstände, Alter, – besinnt Euch nicht lange – er friert am Ende ein.“ Der Fiscal lachte und sein Schützling lachte von Herzen mit, aus schuldiger Höflichkeit und dann, weil der Gedanke nicht so gar fern lag, daß auch ein guter Ungarwein, dieser Luft ausgesetzt, zu Eis erstarren könne. Wie flüssiges Feuer strömte das Blut der ungarischen Rebe dem Frierenden in die Adern und erfüllte sie mit neuer Lebenswärme.

„Gott bezahl’s viel tausend Mal, Herr Fiscal! Es geht doch nichts über die Gottesgabe von einem Glase Wein. Ich kann’s den vornehmen Herrn gar nicht verargen, wenn sie über das Schnapstrinken losziehen; – freilich, wer’s so haben kann!“

Ich gehöre nicht zu den Mäßigkeitsaposteln, Adamski, das wißt Ihr ja. Am allerwenigsten, wenn der Nordostwind über die Haide pfeift und der Bart voll Eiszapfen hängt. Freilich, wer bei solchem Wetter das Maß zu reichlich nimmt, der spart sich hernach das Einschenken für immer …“

„Freilich, freilich! I du meine himmlische Güte! soll Einen ja unser Heiland bewahren vor so einer Unvernunft, mit Respect zu vermelden. Hat erst wieder vorige Woche der Gensd’arm Einen erfroren gefunden, der bei dem großen Schneegestöber inwendig einheizen wollte, eingeschlafen ist und nicht wieder aufgewacht. Da will ich denn doch lieber traben, daß mir die Seele pfeift, meinethalben mit dem Sturmwind um die Wette, ehe ich das meiner Alten anthu’ und ihr wie ein Eisblock nach Hause gebracht werde … Und dann, der Dienst, – Herr des Himmels – was sollte aus der Brieftasche werden!“ Er schüttelte sich bei dem Gedanken an das mögliche Schicksal der fiscalischen Ledertasche und drückte sie fester an sich, als wollte er sich vergewissern, daß der Gegenstand seiner amtlichen Obhut noch unversehrt sei.

Der Fiscal ließ seine Augen gleichfalls auf der Brieftasche ruhen.

„Sie scheint ziemlich schwer zu sein, Alter?“ – „Nicht mehr, als das normale Gewicht, Herr Fiscal.“ – „Und das ist?“ – „Zwanzig Pfund.“ – „Ihr habt doch aber noch außerdem zu tragen.“ – „Ein bischen Proviant für mich, auf zwei bis drei Tage, bis ich die Tour herum bin. Viel ist es nicht; Rehkeulen und Fasanen werden nicht mitgenommen.“

Er öffnete sein Fourage-Paquet, welches Nichts enthielt, als ein großes Stück groben Schwarzbrodes, bei welchem in der Vertiefung des einen Endes ein Stück Butter eingedrückt war.

„Und davon lebt Ihr, bei so anstrengender Leibesbewegung, bei fortwährenden Märschen in Wind und Wetter, in Sturm und Regen?“ fragte der Fiscal mit einem leisen Schaudern.

„Ja, wovon denn sonst, mein trautstes Herrchen! Rechnen Sie doch selbst nach, mein hochgeehrtester Herr Fiscal [WS 1], wieviel für mich übrig bleibt, wenn wir, Mann, Frau, fünf Kinder und die alte blinde Großmutter mit acht Thaler den Monat auskommen sollen bei dieser Theuerung jetzt!“

„Acht Thaler!“ sprach ihm der Fiscal mit stillem Entsetzen nach, „acht Thaler bei dieser Lebensweise! Und Ihr bekommt weiter gar keine Meilengelder, Diäten, Reiseentschädigung –?“

Adamski sah ihn verwundert an. „Im Gegentheil, dafür muß ich mir noch die Dienstkleidung und Dienst-Abzeichen anschaffen.“

„So, so! Ei ja!“ murmelte der Herr Fiscal für sich, der ein gar feines Männchen war und mit der Geschwindigkeit eines fertigen Rechenmeisters auscalculirt hatte, daß von diesen monatlichen acht Thalern acht Menschen sich kleiden, nähren, erhalten und Abgaben zahlen müßten. Augenscheinlich hatte es mit der Verpflichtung Adamski’s, für die Dienstkleidung und die Dienstabzeichen aus eigenen Mitteln zu sorgen, nicht sonderlich viel auf sich. Denn es war den Landbriefträgern gestattet, eine blaue Blouse von Leinen mit einem Ledergurte statt der Uniform zu tragen. Die sonstigen Uniformstücke bestanden aus einer Postdienst-Mütze und einem Armschilde. Daß aber einem Beamten bei einem, im Verhältniß zu seiner Dienstleistung so namenlos kärglichen Solde noch irgend eine Verpflichtung überhaupt auferlegt werden könne, das brachte ihn ganz außer Fassung.

„Aber Menschenkind,“ platzte er los, „wie in aller Welt werdet Ihr denn da fertig? Acht Thaler – das ist ja kaum genug zum Verhungern! Warum seid Ihr denn nicht um Zulage eingekommen?“

„I nu, trautster Herr Fiscal, daran hat’s wohl nicht gefehlt. Ich habe auch zwei Mal eine Gehaltserhöhung bekommen, mit Respect zu vermelden, vom Herrn Postdirector, als es dazumal durchgesetzt wurde, daß die Unterbeamten besser gestellt werden sollten. Ich hatte zuerst blos sechs und einen halben Thaler, von da wurde ich vor zwei Jahren auf sieben und einen halben Thaler erhöht und seit vorige Ostern bin ich in die Acht-Thalerclasse vorgerückt. Aber die Herren haben mir auch gesagt, ich möchte mich jetzt fein stille halten, das viele Queruliren mache keinen guten Namen, ich hätte Ursache dankbar zu sein und sollte nun in Geduld warten. Du lieber Gott! Mir ist’s auch nicht an meiner Wiege gesungen worden, bei den Leuten zu bitten und zu betteln und es kommt mir sauer genug an. Aber sieben hungrige Mäuler können Einem zu manchem schweren Schritt die Beine heben. Indessen, so lange Einem noch die Hoffnung bleibt, muß man nicht verzagen; bin ich doch schon sachte vorgerückt und kann noch weiter vorrücken …“ – „Wie das?“ fragte der Fiscal neugierig, „wie hoch könnt Ihr überhaupt steigen im Gehalt – ?“

„I nu,“ schmunzelte der Briefträger, „es gibt ihrer, die neun Thaler monatlich haben, – ja, es gibt ihrer, die es bis auf Hundert und zwanzig des Jahres bringen!“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ficsal
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_607.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)