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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Hundertundzwanzig Thaler jährlich!“ rief der Fiscal und verdrehte die Augen – „das ist wohl aber das Höchste?“

„I freilich,“ antwortete Adamski, „und das erreichen die Wenigsten, aber es bleibt doch immer eine Aussicht!“

„Jawohl, jawohl!“ bemerkte der Fiscal, und drückte die Mütze noch tiefer in die Augen, so daß nur noch die Nasenspitze aus dem Mantelkragen hervorsah, „wie weit erstreckt sich denn Euer Bezirk, Adamski?“ – „Vier Meilen!“ – „Da müßt Ihr ja unterwegs übernachten?“ – „Freilich wohl, und das kostet auch noch manches Düttchen[1] das Jahr über …“

„Wie – Ihr müßt im Kruge bezahlen? Ich hätt’ nicht geglaubt, daß Jemand hier zu Lande so hartherzig sein könnte.“

„I nu, ich könnt’s wohl umsonst haben, das bischen Nachtlager auf Stroh in der Schenkstube, aber im Vertrauen gesagt, Herr Fiscal, besser ist besser; die Leute haben nicht gedient, wissen nicht, was es heißt, auf die Fahne geschworen zu haben, oder in Eid und Pflicht stehen, und da muthen sie Einem allerlei an, was doch nu einmal nicht sein soll und darf. Wenn ich nu Nachtlager und sonsten was meinetwegen für umsonst bei jedem Krüger annehmen thät’ und müßt’ ihm hinterher was abschlagen, was er Unrechts von mir verlangte, so hätt’ ich ja am letzten Ende wohl gar zu riskiren, daß mir so ein Pomuchelskopf, mit Respect zu vermelden, die Wohlthat in’s Gesicht vorhielte, und das schickt sich doch weiß Gott nicht für einen königlichen Beamten –!“

Der Herr Fiscal hatte während dieser ganzen Rede langsam mit dem Kopfe genickt, wobei seine kleinen, hellen, grauen Augen auf den treuherzigen, aber etwas beschränkten Gesichtszügen seines erzählenden Gefährten hafteten. Den Schlußsatz der Adamski’schen Rede schien er mit einem erhöhten Interesse anzuhören, was er dadurch kund gab, daß er die Brille auf die Stirn rückte und den königlichen Beamten neben sich mit umbewaffneten Augen eine Weile anstarrte.

„Jawohl, Alter,“ versetzte er dann nach einer Weile, „das schickt sich nicht für einen königlichen Beamten.“ Der Fiscal sah schweigend zur Seite und pfiff leise vor sich hin.

„Wie seid Ihr in diese Lage gekommen, Adamski?“

„Ja, sehen Sie, trautester Herr Fiscal, das hat sich so gemacht, ich weiß nicht wie; ich denke wohl, es wird Sündenschuld sein und Strafe dafür, daß ich höher hinaus wollte, als es Recht war. Ich war, mit Respect zu vermelden, ein recht ansehnlicher Kerl in meinen jungen Jahren, und sollte als Aeltester von drei Geschwistern den Hof vom Vater übernehmen. Viel Segen wäre zwar auch nicht dabei gewesen, denn ich sollte den Geschwistern ein ansehnlich Stück Geld herauszahlen, was erst hätte aufgenommen werden müssen, und sonst noch allerlei Scheererei. Da ließ ich mir denn leicht zureden, den Hof fahren zu lassen, selber ein Stück Geld zu nehmen, und meiner Wege zu gehen. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, Husar zu werden, dachte es weit zu bringen, – aber sie wollten mich mit meinen vierzehn Zoll durchaus bei der Garde haben, und so wurde es denn nicht anders. Als ich ausgedient hatte, capitulirte ich und wurde Unterofficier. Das war Alles recht schön, so lange die paar Mutterpfennige vorhielten, und man jung und lebenslustig war. Aber weiter brachte man’s eben auch nicht, und das ewige Casernenleben, Rekruteneinexerciren, Wachtdienst, Parademarsch und all die Schwerenötherei wurde Einem zuletzt so zuwider, daß man aus lauter Langeweile zuletzt hätte mögen in’s Wasser springen. Ich laß es mir wohl gefallen, alle Tage, einmal wie das andere, sein ganzes Leben lang das Nämliche zu thun, nur muß man dafür auch sicher sein, daß man auf seine alten Tage versorgt ist.

Ich hatte nun nachgerade so lange gedient, daß ich lange Anspruch auf eine Civilversorgung hatte. Leider muß ich zu meiner Schande gestehen, daß ich selber nicht wußte, wozu ich brauchbar wäre, was nicht gerade den Dienst anging, Exerciren und dergleichen. Mit dem Lesen ging’s wohl, mit dem Schreiben auch zur Noth, aber sonst hatt’ ich keine große Weisheit zugelernt beim Militair seit der Schule. Aber dienen mochte und konnte ich nicht länger. Ich fühlte, daß ich dem strengen Dienst nicht mehr gewachsen war. Hoch aufgeschossen bin ich wohl, aber meine Brust war nie die stärkste. Das merkten sie beim Bataillon, und gaben mir zu verstehen, daß ich Anspruch auf einen Ruheposten hätte. Ich ließ es mir gesagt sein, und nahm meinen Abschied. Ich bekam die besten Atteste und eine alte Montirung. Als ich alter Esel den Casernenhof verließ, wo ich beinahe neunzehn Jahre gewohnt hatte, und über die morsche Zugbrücke ging, wo ein paar Grenadiere herumlungerten, und nach Gründlingen angelten, da liefen mir die hellen Thränen über die Backen und ich machte, daß ich davon kam. Das Zehrgeld reichte bis in die Heimath. Ich suchte meine Brüder auf; der jüngere war gestorben, der zweite, der statt meiner den Hof übernommen, war ein wohlhabender Pferdebauer geworden. Er wäre wohl freundlicher gegen mich gewesen, aber er hatte zum zweiten Male geheirathet, und die Frau sah nicht eben freundlich drein, als sich ein Schwager meldete, der ziemlich verhungert aussah. Da macht’ ich denn, daß ich beim Zweiten fort kam. Wohin, das wußt’ ich freilich selber kaum. Es reuete mich, daß ich nach Hause gekommen war, und auch wieder nicht; denn ich hatte eine solche Sehnsucht gehabt, wieder einmal die Heimath zu sehen, daß ich krank davon war. Nun war ich wieder zu Hause, das heißt, wie man zu Hause ist, wo Einem nichts zu eigen gehört, als Licht und Luft. Ich meldete mich wohl hier und da – aber Alles war überfüllt, und mit meiner Geschicklichkeit konnte ich eben keinen großen Staat machen. Pünktlichkeit, Accuratesse in allen Dingen, – ja, die konnt’ ich wohl aufweisen, aber mit der sonstigen Gelehrsamkeit stand’s schlimm. Da war ich zuletzt noch froh, hier unterzukriechen, als der Landbriefträgerposten vacant wurde, nachdem mein Vorgänger sich erhängt hatte, als es an den Tag kam, daß er einen Geldbrief mit fünfundzwanzig Thalern nicht verloren, sondern unterschlagen hatte. Es war sonst ein ordentlicher Mensch gewesen, – die Noth hat ihn schlecht gemacht. Hatte eine kranke Frau, die nichts arbeiten konnte, die Wirthschaft verfiel, ein Haufen Kinder lief herum, verwilderte –, jetzt sind sie im Landarmenhause; die Mutter ist auch vor Kurzem gestorben.“

„Und wie lange habt Ihr Euren Posten schon inne?“ – „Zu Michaelis werden es zwölf Jahre.“ – „Ich weiß es aber immer noch nicht, wie Ihr es möglich macht, mit dieser Besoldung auszukommen?“

„Es muß eben gehen, so gut es mag. Wir haben ein bischen Ackerland gepachtet, es ist freilich nicht viel, aber wenn’s Jahr gut ist, muß es doch den Wintervorrath an Kartoffeln geben. Dann spinnen die Frauen wohl ein wenig, aber viel trägt’s auch nicht ab, bezahlen muß man Alles theuer, lösen thut man wenig. Es ist kein Handel und Wandel hier. Dafür verlieren wir aber auch keine Zeit, uns das Fleisch aus den Zähnen zu stochern …“

„Glaub’s wohl, Alter. Können Euch denn nicht die Kinder bisweilen bei den Botengängen helfen?“ – „Bei Leibe nicht, das ist bei harter Strafe verboten. Ich hüte mich wohl, etwas gegen die Instruction zu thun, denn es wäre mein Tod, wenn ich in Strafe käme, und meine Caution angegriffen würde. Mein Bruder hat sie heimlich, ohne Vorwissen seiner Frau für mich bestellt, und ich würde es nicht überleben, wenn er durch mich zu Schaden käme.“

Der Schlitten war während des Gespräches bis zum Dorfe gelangt, vor welchem die Wege der Reisegefährten sich trennten.

„Alter,“ sagte der Fiscal, als er dem Briefträger zum Abschiede die Hand bot, „wenn ich Euch jemals rathen oder helfen kann, so kommt zu mir – ohne Umstände. Und hier (er ließ einen harten Thaler in seine Hand gleiten), Ihr könnt’s von mir annehmen, als von einem Cameraden, wenn ich auch nicht bei der Garde gedient habe. Zum nächsten Winter meldet Euch ja bei mir, es soll sich ein besserer und wärmerer Winterrock für Euch finden.“




Der alte Adamski (wie er genannt wurde, obgleich er eigentlich noch gar nicht so alt war) hat sich aber zur Empfangnahme des Winterrocks bei dem munteren Herrn Fiscal nicht gemeldet; er hat überhaupt bald darauf gar keinen Rock mehr gebraucht, weder Winter- noch Sommerrock. Denn obgleich er beim Gehen immer größere Beschwerden empfand und zuletzt gar nicht mehr fort wollte, so konnte er sich doch keine Ruhe gönnen. Und als es zu thauen begann und er Tage lang im Schnee und Schmutz seine Gänge machen mußte, nach wie vor mit nassen Füßen, da gab es ihm den Rest, und er hatte eben nur noch Zeit, seinen Umgang zu beenden und seine Rechnung abzuschließen, worauf er nach Hause wankte und ein hitziges Fieber bekam, von dem er nicht mehr aufstand, sondern von dem sie ihn hinaustrugen zum wirklichen und wahrhaftigen Ruheposten, als man eben das heilige Osterfest einläutete. Dem freundlichen Herrn Fiscal hat es leid genug gethan, er schickte auch den versprochenen Winterrock und eine reifliche Beisteuer zu den Kosten der Beerdigung, aber mehr vermochte er auch nicht. – Die Frau arbeitet jetzt im Tagelohn, wenn es Arbeit gibt; mitunter schlägt sie Steine an der Straße, an der Stelle, wo einmal die Chaussee gebaut werden soll. Die Kinder sind im Landarmenhause. Die blinde Großmutter sitzt vor der Thür und bettelt; in der Hand hält sie des Verstorbenen Postdienstmütze – nur selten wirft ein Vorübergehender eine kleine Kupfermünze hinein. Aber der freundliche Fiscal fährt niemals vorbei, ohne der Alten zuzurufen: „Gelobt sei Jesus Christus!“ worauf sie gegenruft: „In Ewigkeit, Amen!“ und dann hört sie eine Münze in die Mütze Adamski’s, des Landbriefträgers, gleiten, und führt das Silberstück mit einem Segensspruch für den liebreichen Geber dankbar an ihre Lippen.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 608. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_608.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)
  1. Provinziell für: 1 Silbergroschen.