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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Ein Pionnier des Geistes.
Von Ludwig Storch.[1]

.

Josef Meyer.

Als mir einst das Gedicht „die Nothwendigkeit“[2] aus der Seele quoll, schwebte ihr ein mir befreundeter Mann und dessen eigenthümliches Schicksal und großartiges Wirken als Schema oder Typus vor, der vom Zeitgeiste die hohe und schwere Mission empfangen hatte, einer der kühnsten und kräftigsten Geistes-Pioniere der Zukunft zu sein, und der diese eben nicht beneidenswerthe Aufgabe schon damals mit Erstaunen erregender Rührigkeit und Gewandtheit löste. Eine Stanze des Gedichtes kann als Motto dieser biographischen Skizze gelten, so ganz und gar paßt sie auf den Mann, den ich hier besprechen will, und ist gleichsam von ihm abgezogen und auf ihn gemacht:

„Nur Lebensdrang stählt die Gefühle
Der Wahrheit und des ew’gen Rechts.
Nicht von des Reichthums weichem Pfühle
Ersteh’n die Helden des Geschlechts.
Still wandeln sie als Morgensterne
In kalter Früh dem Tag voran.
Sie brechen in die lichte Ferne
Durch Trümmerhaufen neue Bahn.“

Dieser Mann war Josef Meyer, der Gründer des „Bibliographischen Instituts in Hildburghausen.“

Unter allen Mitlebenden, mit welchen ich in irgend eine Berührung gekommen bin, war Josef Meyer bei weitem der Bedeutendste, ja, da es doch nichts weniger als widersinnig ist, von dem Theil auf das Ganze zu schließen, so wird in Betracht der nicht geringen Anzahl Menschen, die, mehr oder minder an den precären Segnungen der heutigen Cultur betheiligt, ich auf meinem, auch schon ziemlich langen Lebenswege etwas näher kennen gelernt, die Behauptung gerechtfertigt erscheinen, daß er eines der merkwürdigsten und außerordentlichsten Individuen der Mitwelt war und geradezu der kleinen Anzahl der größten und thatkräftigsten, durch Fülle und Schwung des Geistes, Tiefe des Gemüths, Schärfe und Erhabenheit der Conception und ungemeine Willenskraft ausgezeichnetsten Menschen aller Zeiten angehörte. Und was ihm vorzüglich den scharfen Prägstempel der Ungewöhnlichkeit verlieh, war der seltene Umstand, daß er nicht etwa in einem Fache des menschlichen Wissens und Könnens zur Meisterschaft und Virtuosengröße gedieh, wie andere gepriesene und bewunderte Sterbliche, sondern daß er in einer Menge Fächern, von welchen jedes geeignet ist, ein ganzes Menschenleben zu beschäftigen und auszufüllen, das Primat errang, und gleichsam in allen Sätteln sich als Kunstreiter bewährte. In dem grandiosen Bestreben, das ganze ungeheure Gebiet der menschlichen Thätigkeit, wie sie in ihrer geistigen und technischen Weiterentwicklung, in ihrer flughaften Vergeistigung, begriffen ist, zu erobern und zu beherrschen, zeigte sich Meyer als eine Titanennatur, als ein aus der metaphysischen Speculation in die praktische Philosophie übersetzter Faust. Man bedenke: während er als Industrieller die großartigsten Unternehmungen machte, wie sie in Deutschland nicht, in England weniger ihres Gleichen haben, war er zugleich tiefforschender Gelehrter und schlug als Buchhändler und Buchdrucker eine wahre Riesenbrücke von einem

  1. Gedichte von Ludwig Storch. Leipzig, Ernst Keil. 1854.
  2. „Medaillon“ aus dessen „Denkwürdigkeiten.“
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 613. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_613.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2022)