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Gebiete zum andern. Während er mit sichrer Hand Etablissements errichtete, die, wenn man ihn hätte ruhig gewähren lassen, Deutschland rasch zu einer nie geahneten Blüthe des Wohlstandes geführt hätten, ergötzte er sein geübtes und seines Kunstkennerauge an dem ungewöhnlich großen Schatze von werthvollen Kunstwerken aller Art, den er mit großen Mühen und Kosten zusammengebracht hatte. Keine Wissenschaft, keine Kunst war ihm fremd, in vielen hatte er sich eine meisterhafte Kennerschaft angeeignet, keine Erwerbsthätigkeit lag ihm zu fern, daß er sie nicht gelegentlich in seinen Gesichtskreis gezogen hätte. Aber – und dies ist gewiß die Krone seines Wirkens und Schaffens – über Alles, was er dachte, schrieb und schuf, waren die zauberhaften Tinten der echten und wahren Lebenspoesie, jener sanfte und liebliche Hauch des Idealen gegossen, der die Bitterkeit des alltäglichen Menscheitschicksals versüßt, die düstre Wirklichkeit verschönt und den Mimen auf der Lebensbühne, wie den Zuschauer geistig und seelisch erhebt, stärkt und beglückt. Ja, Meyer war nicht nur einer der bedeutendsten, markigsten Schriftsteller, er war in all’ seinem Thun und Wesen ein gewaltiger und doch liebenswürdiger Dichter. Oft wenn ich das bewundernde Auge über seine, von so viel sittlicher Würde geschmückte Person und seine ernorme gigantische Thätigkeit hingleiten ließ, war ich versucht seinen kleinlichen Gegnern und Verfolgern, dem armseligen Pygmäenhaufen, der ihn gern gekreuzigt hätte, mit des Pilatus Worten zuzurufen: Sehet welch’ ein Mensch!

Wie bei weitem die größte Zahl der großen Menschen, die befruchtend, anregend, ringend und fördernd über die Erde gegangen sind und ihr die Spuren dieses Ganges für ewige Zeiten eingedrückt haben, ging Josef Meyer aus dem Schoße des Volks hervor. Auch er sieht in der Schaar echter und wahrer Menschen, die mit dem Zimmermanns- und Bergmannssohne die Gemeinschaft des Geistes haben, denen der Genius den Weihekuß der Kraft in der Wiege gegeben, die man sonst kreuzigte und verbrannte, und die man heule schmäht und lästert, verfolgt und behindert, in Kerker wirft und am liebsten verhungern läßt.

Und auch das hat Meyer mit den meisten großen Menschen gemein, daß er, nachdem er sich lange mit allerlei Pack und Pöbel herumgeschlagen, nachdem er unglaubliche Hindernisse besiegt, die theils in den öffentlichen Verhältnissen selbst lagen, theils ihm absichtlich und mit grinsender Schadenfreude bereitet wurden, rastlos titanisch thätig, immer von kleinem boshaften Gethier in die Fersen gebissen, begeifert und gescholten, wenn er ein Centimane Berg auf Berg thürmte, um den Götzen der Aftercultur zu bekriegen, oder ein Prometheus neue bessere Menschen bilden wollte, oder ein Jesaias mit Flammenworten dem verderbten Geschlechte Strafpredigten hielt, – daß er nach all diesem Kampf, nach all’ dieser Arbeit das Werk seines Lebens doch als Torso, als des Daches und der Thürme entbehrenden Dombau verlassen, und sein heißes großes Herz allzufrüh dem erstarrenden Tode überliefern mußte.

Josef Meyer ward am 9. Mai 1796 zu Gotha geboren. Sein Vater, Johann Nikolaus Meyer, war einst als Schuhmachergeselle eingewandert, und hatte als Meister sein Handwerk durch Energie und Speculationsgeist allmählich zu einem schier großartigen Fabrikgeschäft ausgedehnt, das Hunderten von Händen Arbeit und lohnenden Verdienst gab. Auch die Mutter unseres Meyer, Tochter eines Bürgers Gotha’s, wird als eine geistbegabte, thätige, rasch entschlossene Frau gerühmt, welche 80 Jahre alt, 1851 in Hildburghausen bei ihrem Sohne starb, nachdem ihr Gatte schon 1822 in Zurückgezogenheit vom Geschäft mit Tode abgegangen war.

Meyer war bis zu seinem 11. Lebensjahre Schüler der durch nichts ausgezeichneten Bürgerschule und der untern Classen des durch Scholarchismus und Pedantismns ausgezeichneten Gymnasiums seiner Vaterstadt. Dieser lieblose und eigensinnige Schulgeist, dem sich der lebendige Knabe nur mit Widerwillen fügte, hatte die natürliche Folge, daß Meyer nur geringe Fortschritte machte und nahe daran war zu verwildern. Eine so üppige und keusche junge Menschenpflanze bedarf vor allem der liebevollsten, gütigsten Pflege, und gerade diese war auf dem gothaischen Gymnasium eine unbekannte Größe. Interessant ist, daß einer der weisen Herren Schulmonarchen, durch seine ewige Consternation und Confusion der Schöpfer nie versiechender Heiterkeit unter seinen Schülern, an Meyer Prophetenamt übte, indem er ihm oft zurief: „Aus Dir wird im Leben nichts, Junge!“ Ein genialer Knabe ist in den plumpen Händen solcher Baculanten Hamlets Flöte; sie verstehen nicht darauf zu spielen. Nie war Meyer als reifer Mann heiterer und liebenswürdiger, als wenn er seine Schulfata erzählte und der Prophezeihung des sehr würdigen Herrn gedachte, der doch so viele Bücher hatte drucken lassen. Er sprach aber auch sehr ernste und hoherzigenswerthe Worte über den ungeheuern Schaden, welchen solche gepriesene Lehranstalten in den Geistern und Herzen ihrer Schüler anrichten, und wie verderblich sie dadurch einem ganzen Lande, einer ganzen Generation werden. Meyer’s schon früh erwachter Oppositionsgeist gegen Ungerechtigkeit und seine Unerschrockenheit retteten ihn glücklich aus der großen Staatspräparir-Anstalt, wo „der Geist recht wohl dressirt und in spanische Stiefel eingeschnürt“ wurde. Vom Lehrercolleg zu einer entehrenden Strafe verurtheilt, weil er einen ältern Knaben nicht unbedeutend verletzt, der seinen jüngeren Bruder August (den noch lebenden, rühmlich bekannten Theologen und Bibelcommentator Consistorialrath Meyer in Hannover) gemißhandelt hatte, konnte er weder durch Bitten noch durch Drohungen in die Schule zurückzukehren vermocht werden. Diese beiden Brüche, der Armbruch jenes Knaben und der Bruch Meyer’s mit der Schulweisheit und Gerechtigkeit, wurden die geöffneten Flügelthüren seiner ihm angemessenen Lebensbahn. Die für das geistige Wohl des Sohnes besorgten Eltern brachten diesen in das Pensionat eines als Pädagogen aus der Salzmann’schen Schule gerühmten Pfarrers in Weilar, einem eisenachischen Dorfe, wo der talentvolle Knabe im Schoße ländlicher Einfachheit, gepflegt und gehoben von der echten Liebe und Humanität seines von den liberalsten und verständigsten Erziehungsgrundsätzen beseelten, an Geist und Gemüth gleich wahrhaft gebildeten Lehrers, die schönste, naturgemäßeste Entwicklung erfuhr und die zwei glücklichsten Jahre seiner Jugend verlebte. Diese beiden Jahre sind vom entschiedensten Einfluß auf seine spätere Bildung und von der höchsten Wichtigkeit für sein Leben geworden; denn das tiefe Gemüth des Knaben, zeither vom dünkelhaften Baculismus verwahrlost und verbittert, eröffnete sich hier dem befruchtenden Sonnenstrahle der Liebe und würde von der innigsten Anhänglichkeit und zartesten Verehrung für seinen hochsinnigen Lehrer und dessen Haus erfüllt. Meyer begriff den Unterschied zwischen der handwerksmäßigen Strenge seiner früheren Lehrer und der freien warmen Pflichterfüllung seines jetzigen, und diese Einsicht förderte früh seine Menschenkenntniß und gab seinem Charakter in den Jugendjahren, wo Andre noch willenlose Rohre im Schulsumpfe und vom scholastischen Winde hin und hergeworfen sind, jene prägnante Entschiedenheit und seiner Seele die lyrische Gefühlsweichheit und den Schwung, welche Trias in seinem männlichen Leben und Wirken so scharf ausgeprägt hervortritt.

Nach der Confirmation des Sohnes, brachte ihn der Vater, welcher mit seinem Fabrikat die Messen in Frankfurt am Main bezog und in dieser Stadt vielfache Bekanntschaften und Geschäftsverbindungen hatte, dorthin, um ihn in einem Colonialwarengeschäft zum Kaufmann bilden zu lassen, denn dieser Lebensberuf Josef’s war Wahl des Vaters und Sohnes zugleich. Von 1809 bis 1813 dauerte diese Lehrzeit, welche Meyer pflichtgetreu zu seiner Ausbildung benutzte. Der großartige Verkehr Frankfurts erweiterte seinen geistigen Horizont. Der Genius in ihm fing schon an die Flügel zu regen, und er kehrte als ein ebenso tüchtiger Kaufmann, wie gesitteter Jüngling in’s Vaterhaus zurück, um die mercantile Leitung eines von den Eltern inzwischen errichteten Schnittwarengeschäfts und der noch bestehenden Schuhfabrik zu übernehmen. Vom 17. bis zum 20. Lebensjahre handelt der ungemein hübsche, blühende, freundliche und gewandte Jüngling mit Kattun, Gingham, Merino’s, Tüchern und Bändern, führt die Geschäftsbücher, betreibt in seinen freien Stunden mit Eifer und Lust das Studium der kaufmännischen Wissenschaften, der modernen Weltsprachen und sieht sich mit Nutzen in der Geschichte und Literatur Deutschlands, Englands und Frankreichs um. Aber während dieser Beschäftigungen wuchsen und erstarkten ihm die Flügel des Geistes. Er reckte sie und dehnte sie, und eines schönen Tages machte er die Bemerkung, daß das Vaterhaus für ihn zu eng geworden sei, und daß es bessere Dinge für ihn zu thun geben möchte, als mit Bürger- und Bauernweibern in der Bude zu feilschen und über die Lieferungen fleißiger Schuhmachergesellen Buch und Rechnung zu führen.

Sobald der in ihm schlummernde Funke erwacht und von der jungen Zuglust des Geistes glühend und sprühend geküßt war, wurden ihm Kattun und Schuhe zuwider, aber er verzehrte sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_614.jpg&oldid=- (Version vom 8.11.2022)