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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Kraft, Leichtigkeit, Gewandtheit und lichtvolle Darstellung seiner Feder weltberühmt geworden ist, sein „Universum“. Dieses Bilderwerk hat nichts Gleiches in der ganzen Welt, nicht der Stahlstiche wegen, so schön und vollendet sie auch meist sind, sondern seiner originellen Darstellung wegen. Und die war Meyer’s eigenthümliche Schreibart. Bis zu 17 Bänden ist das Werk seine eigene Schöpfung. In ihnen hat sich Meyer als einer der ersten deutschen Schriftsteller bewahrt, würdig genannt zu werden, wo man die besten Namen nennt. Ja, diese Stahlfeder! sie hat Vulcan geschmiedet, aber Josef Meyer ist selbst der Vulcan der Neuzeit und die Feder wird in seiner Hand zum Hammer, unter dessen raschen kräftigen Schlägen die Geistesfunken sprühen und die Schlacken veralteter Zustände abfallen. Und der moderne Vulcan ist zugleich der moderne Prometheus, der mit götterscharfem klarem Blick in alle Höhen und Tiefen des obsolet gewordenen Lebens dringt, alle Fäulniß bezeichnet, alle Krankheit beim rechten Namen nennt, und nun wieder der Herkules, der die Sümpfe auszutrocknen, und der Aeskulap, der die Krankheit zu heilen versteht. Die Feder wird zum Flügel, auf welchem er prächtig und sicher, titanenmäßig, wie Alles, das er thut, himmelstürmend emporsteigt, und dann ist sie selbst wieder ein dem Flügel eines über die Noth und das Leid der Menschheit wehmüthig trauernden Engels entfallener Kiel, und ihre Klänge tönen ein Klagelied, wie die an den Weiden aufgehängten Harfen des gefallenen Volkes Israel.

Ja, ein wahres Universum ist dieses Werk Meyer’s und es sichert seinem Namen die Unsterblichkeit. – Das Werk zählte in Deutschland allein über 80,000 Abonnenten, es suchte die Deutschen in allen Ländern des Erdbodens auf und wurde eine Zeit lang in zwölf Sprachen übersetzt. Welches deutsche Buch hat ein gleiches Schicksal erfahren?

Verbote des Werks wegen der darin ausgesprochenen politischen Ansichten blieben natürlich nicht aus und schmälerten den Absatz, am meisten in den Jahren 1850 und 1851. Im letzteren Jahre hatte Meyer auch wegen einer Stelle des Universums, die ihm Anklage und Verurtheilung zugezogen hatte, mehrmonatliche Gefängnißstrafe zu bestehen.

Von den übrigen Unternehmungen des bibliographischen Instituts sind hervorzuheben: Ausgaben der griechischen und römischen Autoren (unvollendet), die verschiedenen Ausgaben der Bibel, die es in Millionen Exemplaren verbreitete; die neue und erweiterte Ausgabe der deutschen Classiker: „Familienbibliothek“, 100 Bände; „Groschenbibliothek“, 365 Bändchen; „Nationalbibliothek“, 120 Bände. – Ferner: das Riesenwerk „Meyer’s Conversationslexicon“ in 52 starken Großoctavbänden, eine der größten und besten Encyklopädien der Welt; die „Volksbibliothek der Naturkunde“, 102 Bände, und die noch unvollendete „Geschichtsbibliothek“; große und kleinere Atlanten und der reichhaltige und großartige Kunstverlag, welcher Werke der namhaftesten Stecher, wie Amsler, Barth, Fr. Müller, Felsing, Corrichon, Krüger, Neureuther, Kohl, Schüler u. A. enthält.

Gegen Ende der dreißiger Jahre tritt Meyer’s geniale Thätigkeit in eine neue Entwickelungsphase, welche seinen gewaltigen Unternehmungsgeist und sein erstaunliches Organisationstalent erst recht schlagend bekundete und in das klarste Licht setzte.

Es sind seine bergmännischen Unternehmungen, mit welchen ein neuer noch schwunghafterer, höher strebende Flügelschläge seines Genius vorführender Abschnitt seines Lebens beginnt. Nach dem gewöhnlichen Lebensgang der Menschen hätte man meinen sollen, daß die vielfachsten immer höher gesteigerten Kraftanstrengungen des nach allen Seiten hin wachsenden Instituts alle materiellen und geistigen Mittel Meyer’s absorbirt hätten, und jetzt gerade macht er Unternehmungen, welche, in keinem Zusammenhange mit den zeitherigen, diese an riesenhafter Thätigkeit, weitgreifender Speculation und kühner Combination weit hinter sich lassen. Seine mineralischen Anlagen umfassen allmählich alle nutzbaren Berggüter, und er besitzt zuletzt Steinkohlen- und Braunkohlenwerke, Torfstiche, Eisen-, Kupfer- und Silberminen, Kobald- und Nickelgruben, Schiefer- und Marmorbrüche, Thongruben und Hüttenwerke. Sollte man es für möglich halten, daß derselbe Mann, der auf seinen Schnellpressen Millionen Bücher, auf seinen Kunstpressen Millionen Bilder drucken läßt, hier die literarische Thätigkeit seiner zahlreichen Schriftsteller, dort die seiner Künstler, und in Newyork, Philadelphia, London, Paris, Amsterdam, Pest von ihm errichtete Zweiggeschäfte leitet, der sein Universum schreibt, an seinem Conversationslexikon die besten Artikel selbst arbeitet, daß dieser selbe Mann in die Erde hinabsteigt, um die gesammten unterirdischen Schätze Thüringens in seiner Umgebung aufzuschließen und dadurch dem von ihm so heiß geliebten Lande neue Arbeits- und Erwerbsquellen zu eröffnen? Und doch that dieser Mann noch mehr, noch weit mehr, wie wir bald sehen werden, und mit welcher Energie griff er dieses und jenes und Alles an!

Die bedeutendsten seiner industriellen Schöpfungen waren die auf Actien gegründeten „Hüttenwerke der deutschen Eisenbahnschienen-Compagnie“ und die Kohlenwerke bei Neuhaus in der Nähe von Sonnenberg.

Wie weltumfassend Meyer’s ins Leben gerufene Ideen waren, beweisen vorzüglich zwei Unternehmungen, die nach ganz entgegengesetzten Richtungen hin, doch beide auf die Förderung der modernen allgemeinen Volksbildung und Hebung des materiellen und ideellen Volkslebens (seine eigentliche Lebenstendenz) abzielten. Es waren dies die Errichtung der eben erwähnten Commanditen seiner Buchhandlung schier in allen Hauptstädten der civilisirten Welt und die Idee seines „Centraldeutschen Bahnnetzes,“ welche 1837 zur Concessionirung und Actienzeichnung gereift war. Beide Unternehmungen sind nicht geglückt; das erste scheiterte an der Untauglichkeit und Gewissenlosigkeit der an den verschiedenen Platzen angestellten Geschäftsführer und in Amerika an der Teilnahmlosigkeit der meisten dortigen Deutschen am literarischen Fortschritt ihrer Nation im Mutterlande, das andere an der Weigerung einer einzigen deutschen Regierung, Meyern die Concession zu ertheilen. Beide aber bilden nichtsdestoweniger wichtige und merkwürdige Momente in Meyer’s bibliographischer und industrieller Wirksamkeit und geben von der seiner Zeit weit vorauseilenden, gleichsam prophetisch schaffenden Gestaltungskraft seines Geistes einen richtigen Begriff.

Jener ausländischen Thätigkeit Meyer’s, in seiner Weise (die man wirklich nur die Meyer’sche nennen kann) begonnen und betrieben, sei hier nur mit einigen Worten gedacht.

Das erste Newyorker Etablissement und Zweiggeschäft des Instituts wurde 1832 gegründet, ging aber bei dem bekannten großen Brande der nordamerikanischen Hauptstadt 1835 wieder unter. Ende der dreißiger Jahre gründete Meyer eine zweite amerikanische Commandite in Philadelphia, die sich außer mit dem Vertrieb des eignen Verlags des Mutterhauses auch mit specifisch amerikanischer Literatur und Kunst befaßte und selbst producirte. Das Geschäft hatte nach zwei Jahren ansehnlichen Umfang erreicht, als es plötzlich durch Betrug und moralische Schlechtigkeit seines Vorstehers zu Grunde ging. Fast gleichzeitig oder kurz nachher nahmen die übrigen mit dem ersten Newyorker zusammen errichteten Zweiggeschäfte in London, Paris, Amsterdam und Pest aus ähnlichen Gründen ein Ende. Allen diesen Etablissements fehlte das persönliche Wirken Meyer’s. Erst 1849 wurden von Seiten Meyer’s wieder neue Verbindungen mit Nordamerika angeknüpft und zwar durch seinen einzigen nun herangewachsenen, durch Bildung, Geschäftskenntniß und Charakterfestigkeit gleich ausgezeichneten Sohn Hermann, welcher 1850 in Newyork ein eignes Etablissement unter seiner Firma gründete, für welches das Bibliographische Institut hauptsächlich producirte. Dieses Geschäft und seine Beziehungen zum Bibliographischen Institute bestehen auch nach der Rückkehr des jungen Meyer in die Heimath 1855 noch fort. –

Und auf dieses einen Mannes Schultern ruhte die ganze tausendfältige Sorge und die Gebirgslast der Leitung all dieser ausgedehnten verschiedenartigen Geschäfte, von der hundert starke Männer zu Boden gedrückt worden wären, und obgleich er sich’s nicht leicht machte, so trug er sie doch mit Anmuth und Würde, und wenn Andere ausruhten von tausendmal geringerer Arbeit und sich behaglicher Muße überließen, dann warf er erst beim Strahl von Minerva’s Nachtlampe seine gewaltigen Apostrophen an das deutsche Volk auf das Papier, ja es gelang ihm wohl ein heitres Gedicht; dann gab er sich in seiner Weise Jahre lang neuen Arbeiten zu seiner weiteren Ausbildung hin. Eine Wissenschaft nach der andern nahm er vor; sein scharfer Verstand drang schnell bis auf den Kern jeder Sache, und sein erstaunliches Gedächtniß hielt tausend verschiedene Einzelheiten so fest, daß sie ihm zu jeder Zeit gegenwärtig waren. Auf diese Weise gelangte er ganz durch sich selbst, ein wahrer Autodidakt, zu der universellen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_635.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2022)