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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

No. 47. 1857.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Felicitas.

Eine Erzählung vom Verfasser der „neuen deutschen Zeitbilder.“
(Fortsetzung.)

Der Athem des Schlafenden war einmal unruhig geworden. Seine Lippen und seine Hände hatten einige leise Bewegungen gemacht. Felicitas hatte aufgehört mit Sprechen. Aber gleich nachher war er wieder ruhig geworden und mit einem milden Lächeln auf den blassen Lippen hatte er ruhig fortgeschlummert. Er mußte geträumt haben und noch träumen. Felicitas und das Kind hatten ihr Gespräch fortgesetzt.

Es stockte. Felicitas hatte wieder die sinnenden Augen auf den sanft Schlummernden und in ihr unruhig schlagendes Herz gerichtet. Es war völlig still auf dem halbdunklen Boden. Dem Kinde wurde die Zeit lang, es hatte sein Spielzeug nicht mitgenommen.

„Muhme Felicitas, erzähle mir etwas,“ bat sie flüsternd.

Felicitas erwachte aus ihrem Sinnen. Worüber hatte sie nachgesonnen?

„Wovon soll ich Dir erzählen, mein Kind?“

„Erzähle mir die Geschichte von dem braven Freunde, den sie um den Freund hinrichteten, der seinen Freund so sehr geliebt hatte. Der Großvater hat uns die Geschichte erzählt; er hat sie aus dem Pommerlande mitgebracht, als er dort gewesen ist; sie ist schön.“

„Sie ist schön!“ rief Felicitas, wie erschüttert.

Aber sie erzählte sie.

„In der Stadt Colberg in Pommern lebten vor alten Zeiten zwei edle Geschlechter, die Schlieffen und die Adebare. Deren waren vor vielen Jahren – es sind wohl mehr als vierhundert Jahre her – zwei junge Edelleute, Benedictus Adebar und Nicolas Schlieff, die waren Freunde und hielten sich wie Brüder unter einander. Da begab es sich einmal, daß sie sammt einander in Gesellschaft einen Abend gezecht hatten und Schlieff zu guter Zeit heim ging und sich zu Bette legte und ungefähr eine Stunde hernach Adebar ihm folgte und an seine Thür klopfte. Als Schlieff hörte, daß er es war, stand er auf im Hemde und wollte ihn einlassen. Wie Adebar nun hörte, daß er kam, stach er im Scherze mit seinem Schwerte durch die Thür, um ihn zu erschrecken, und da Nicolas Schlieff im Finstern zulief, daß er die Thür aufmache, lief er in das Schwert und wurde auf den Tod verwundet und konnte nur noch kaum die Thür öffnen, den Freund einzulassen. Da erschrak Benedict Adebar sehr und verstopfte ihm die Wunde und entschuldigte sich gegen ihn, daß er es aus keinem bösen Gemüthe, sondern nur aus Vorwitz gethan, und lief zu einem Arzte, daß der ihn verbinde. Schlieff aber befand sich sehr schlecht und merkte, daß er sterben müsse, und er bat den Adebar, daß er fliehen möchte; denn wenn er nicht lebendig bliebe und seine Freundschaft, die Schlieffen, ihn ergriffen, so werde er wieder sterben müssen, was er ihm nicht gönnen möge. Adebar aber verließ sich darauf, daß er wider seinen Willen seinen lieben Freund und Gesellen in die Todesgefahr gebracht habe, und klagte, wie leid es ihm that. Der Nicolas Schlieff mußte aber bald hernach sterben und seine Freundschaft suchte nun nach Benedict Adebar, der nicht mehr aus der Stadt konnte, und fand ihn und setzte ihn in’s Gefängniß. Adebars Freundschaft gab darauf viele Bitten und Mühe um ihn, daß man ihn auf gebührlichen Abtrag[WS 1] loslassen möge. Das wollte jedoch Schlieffens Freundschaft nicht thun, sondern ließ Adebar vor Gericht bringen und zum Tode verurtheilen. Und als er nun verurtheilt war, da wollte Schlieffens Freundschaft ihn losgeben, damit man sagen sollte, daß sie ihm das Leben geschenkt hätten. Das aber wollte Adebar und seine Freundschaft nicht annehmen, denn sie dachten und sprachen, ein zum Tode verurtheilter Mann wäre des Lebens weiter nicht werth. Darum sagte Adebar freien Muthes zu ihnen, er wolle viel lieber bei seinem lieben Freunde und Gesellen und Bruder, dem todten Schlieffen sein, als länger leben. Und dabei verblieb er und wollte sterben. Aber damit er nicht wie ein gemeiner Missethäter geführt würde, durften der Nachrichter und seine Knechte ihn nicht anrühren, sondern er ging von selbst und gutwillig zu seiner Hinrichtung, und der Rath und die ganze Stadt begleiteten ihn und betrübten sich seinethalben. Adebar hatte eine Schwester, die war Aebtissin in dem Kloster zu Colberg; die nahm ein Crucifix und trat damit vor ihn und tröstete ihn und sagte zu ihm, er solle auf Gott vertrauen und im Glauben an den Erlöser sterben. So kam er hinaus vor die Stadt, und da wurde ihm vergönnt, daß er nicht auf den Richtplatz ging, sondern auf den Kirchhof. Daselbst wurde er gerichtet.“

Während Felicitas erzählte, hatte der Schlummernde sich wieder bewegt, aber kaum merklich, und gleich war er wieder ruhig gewesen, und so war er geblieben, ohne die Augen aufzuschlagen. Wohl meinte das Mädchen manchmal, er schlafe nicht mehr und lausche in stillem Ruhen ihren Worten. Sie konnte sich aber auch irren und sie hatte ihre Erzählung nicht unterbrochen, die dem Kinde Freude machte. Als sie geendet hatte, schlug der Kranke die Augen auf. Er schlug sie hell und klar auf, nicht wie ein Kranker, sondern wie ein Genesender, ein Genesener, der das frische Leben wieder durch seine Adern strömen fühlt. So

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Abtag
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_637.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)