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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

er kränker geworden,“ sprach er zu sich, „und man trifft Anstalten, noch jetzt in der Nacht einen Eilboten abzuschicken.“

Da indeß Alles ruhig blieb, auch im Schlosse kein Lichtschimmer sich wieder sehen ließ, ging der Mühlenpachter zurück in sein Zimmer. Hier blieb er noch eine Viertelstunde sitzen, bis der Knappe eintrat. Der junge Mensch hatte seinen Herrn um Erlaubniß gebeten, bis Mitternacht ausbleiben zu dürfen, unter dem Vorgeben, daß er einen Freund in der Nachbarschaft besuchen wolle. Das Aussehen dieses Menschen kam dem Bretmüller wunderlich vor. Er zeigte sich erschrocken, verstört, und da Caspar schon früher bemerkt hatte, daß er etwas furchtsam sei, fragte er scherzweise, ob ihm vielleicht unterwegs ein Geist begegnet wäre.

„Es kann wohl sein, Herr,“ versetzte der Knappe zerstreut, und Caspar empfahl ihm lachend, die zweite Hälfte der Nacht wachsam zu sein und nach Verlauf von drei Stunden die Schützen um noch einige Zolle zu heben, damit die Sägen rascher arbeiten möchten.


III.

Um diese Zeit saß Cesar Hornburg wachend auf seinem Zimmer. Das vor ihm stehende Licht war tief herabgebrannt und dunstete. Vor ihm ausgebreitet lagen Rechnungen, Risse und ein Fascikel Acten. Der Tisch war zum Theil mit Zahlen beschrieben, die Cesar jetzt langsam wieder auslöschte. Er sprach kein Wort während dieser Beschäftigung, sie mußte ihn aber sehr interessiren und für ihn bedeutungsvoll sein, sonst hätte sein Auge nicht so hell funkeln können.

Jetzt stand er auf, zerriß die Rechnungen und warf die einzelnen Stücke in den Ofen. Das Actenbündel nebst den Rissen verschloß er in einem Schranke. Dann blickte er aus der Thür und lauschte. Da Alles still blieb, zog er sich wieder zurück, schnäuzte das Licht und stellte sich damit vor den Spiegel. Es ist thöricht, sich des Nachts mit einem brennenden Lichte im Spiegel zu besehen. Der blühendste Mensch sieht dann bleich, geisterhaft oder kränklich aus. Auch Cesars Bild hatte nichts Anziehendes. Der Schloßherr erschrak vor sich selbst und beinahe hätte er das Licht fallen lassen.

Cesar sah aber gar nicht krank aus, er bildete es sich nur ein. Das Licht und das weiße Spiegelglas neckten den blühenden, von Gesundheit strotzenden Mann mit fahler Todtenmaske. Zwei Mal noch sah er aus der Thür und horchte. Endlich ging er zu Bett, ohne jedoch den Schlaf zu finden, den er so heiß ersehnte.


IV.

Am nächsten Morgen erhielt Anna von ihrem Herrn den Auftrag, nachzusehen, ob sein Bruder noch schlafe. Die junge Haushälterin war über die Maßen erstaunt, den Schloßherrn so freundlich zu finden. Sie öffnete behutsam das Zimmer des Kranken, warf einen Blick auf das Bett und kehrte mit der Meldung zurück, der junge Herr schlafe so sanft, daß man ihn nicht einmal athmen höre.

„Die Natur hilft sich selbst, er wird genesen,“ versetzte Cesar. „Störe ihn Keiner, bis er die Glocke zieht!“

Cesar ließ sich sein Reitpferd satteln und ritt aus. Er wollte, da sich der Bruder offenbar in der Besserung befand, nöthige Geschäfte besorgen. Erst gegen Mittag durfte man seine Rückkehr erwarten. Die Mittagsstunde war jedoch längst vorüber, als Cesar aus dem waldigen Hohlwege in’s Thal hinabritt. Bei der Biegung der zum Schloß hinaufführenden Straße bemerkte er einen Trupp Menschen vor dem Schlosse, die lebhaft mit einander sprachen. Rasch sprengte er auf dieselben zu, forschende Blicke auf die Gruppe werfend.

„Was gibt es hier?“ fragte er die Nächsten.

„Es ist ein Unglück geschehen, Herr Hornburg,“ erwiderte Einer. „Ihren Herrn Bruder hat diesen Morgen der Schlag gerührt. Vor ein paar Stunden hat ihn die Haushälterin todt im Bette gefunden! Das arme Mädchen weint, daß es einen Stein erbarmen kann! Sie klagt sich unverantwortlicher Nachlässigkeit an und meint, weil sie Stunden lang nicht nach dem kranken Herrn gesehen, Schuld an dessen jähem Tode zu sein.“

Cesar’s Erbleichen sagte den Umstehenden, wie tief diese ganz unvermuthete Nachricht den Schloßherrn erschütterte. Ohne ein Wort zu sprechen, eilte er die Treppe hinan, durchschritt fast laufend den langen Corridor und stürzte in das Zimmer, wo er Abends zuvor den Bruder in anscheinender Besserung verlassen hatte. Er fand Alles, wie damals, als er von ihm ging. Ottwald lag, mit halber Wendung der Wand zugekehrt; seine linke Hand war fest auf’s Herz gedrückt, die Rechte hielt krampfhaft die Laken gefaßt.

Ottwald’s Aussehen hatte nichts Ungewöhnliches. Es war das eines Todten, den ein plötzlicher heftiger Krampf getödtet zu haben schien. Ob dieser Krampf mit Schmerzen verbunden sein mochte oder nicht, blieb jedenfalls problematisch. Die Gesichtszüge des Todten waren ruhig, nur um den Mund zeigte sich ein schmerzhafter Zug, und da er nicht geschlossen war, so schimmerten die weißen Zähne wie helle Perlen zwischen den mattblauen Lippen.

Auf dem Tische des Verstorbenen stand ein fast leeres Glas. Es war dasselbe, das Cesar dem Bruder kurz vor zehn Uhr Abends von der Haushälterin, mit erquickendem Getränk erfüllt, hatte reichen lassen. Der Kranke mußte es während der Nacht geleert haben.

Als sich Cesar einigermaßen ermannt hatte, rief er die junge Haushälterin zu sich, um sie zu examiniren. Er wußte, daß Anna bei vielen guten Eigenschaften doch etwas leichtsinnig war und sich zuweilen arge Nachlässigkeiten zu Schulden kommen ließ.

Anna trat zögernd in das Sterbezimmer, denn hier, neben dem todten Bruder, den der unglückliche Cesar zu verlassen sich weigerte, wollte er an die junge Person einige Fragen richten. Es fiel ihm dabei auf, daß Anna, die sonst Männern gegenüber keineswegs verlegen war, ihn nicht ansehen konnte. Sie zitterte, als schüttele sie heftiger Fieberfrost. Bei jedem Worte, das der Schloßherr an sie richtete, fuhr sie zusammen. Ihre Antworten brachte sie ohne rechten Zusammenhang und stotternd vor.

„Wo warst Du gestern Abend, als ich gegen zehn Uhr Dich rief? In der Küche fand ich kein Licht und doch hörte ich später Tritte auf dem Corridor!“

Anna faltete die Hände und fing an zu weinen.

„Was fehlt Dir? Weshalb weinst Du? Hast Du etwas verbrochen?“

„Vergeben – ach vergeben Sie mir, Herr Hornburg!“ stotterte die Haushälterin.

„Was? – Ich verstehe und begreife Dich nicht!“

„Ich verspreche, mich bessern zu wollen. … Sie wissen – es schickt sich doch nicht für mich –“

„Daß ich Deine braunen Augen hübscher finde, als die blauen meiner rechthaberischen Schwester?“ fiel Cesar ein. „Ist es das, was Dich beängstigt, so beruhige Dich. Du sollst nicht weiter von mir belästigt werden, denn es gehört nicht zu meinen Liebhabereien, spröden Mädchen nachzulaufen. Ich vermuthe jedoch, daß hinter Deiner Kälte etwas Anderes verborgen ist und daß dies zusammenhängt mit Deiner gestrigen Abwesenheit, als ich Dich rief. Soll ich Dir nun verzeihen, so beichte! Du hast einen begünstigten Liebhaber, wie?“

Anna rang die Hände, ohne Antwort zu geben. In den Schloßhof rollte ein Wagen und gleich darauf trat Cesar’s Schwester in großer Aufregung, begleitet von dem aus der Stadt mitgebrachten Arzte, in’s Zimmer. Das Zusammentreffen von Bruder und Schwester am Todtenbette Ottwald’s benutzte Anna, um den ferneren Aushorchungen ihres Gebieters zu entgehen.

Cornelia warf sich schluchzend über den entseelten Bruder und küßte wiederholt die kalten, bleichen Lippen. Und Cesar, der den Schmerz der Halbschwester nicht stören wollte, stand seitwärts in der Fensternische und sein Auge folgte finster den Handbewegungen des Arztes, der zuerst die Leiche sehr genau betrachtete, dann mehrmals das fast leere Glas aufhob und gegen das Licht hielt. Dann führte er es an den Mund, als wolle er daraus trinken. Kopfschüttelnd setzte er es aus der Hand, trat an’s Bett und nöthigte Cornelie mit sanfter Gewalt, das Lager des Todten zu verlassen.

(Fortsetzung folgt.)



 

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 668. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_668.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)