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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

sich rechts die Bibliothek, ein Erker- und Eckzimmer, links öffnete eine hohe Pforte den Eingang zum alten, jetzt unbewohnten Schloßflügel.

Die Commission besah sich alle diese Localitäten sehr genau, bemerkte sich die Zahl der Thüren, ihre Lage, wie sie mit einander zusammenhingen, und was sie etwa sonst für wichtig halten mochten. Auch das Bibliothekzimmer mußte Cesar den Herren öffnen. Es verging indeß einige Zeit, ehe sich der Schlüssel dazu finden wollte, denn es ward nur äußerst selten betreten. Nach Cesar’s Aussage hatte er selbst seit Jahr und Tag keinen Fuß in den ihn persönlich nicht sehr anziehenden Raum gesetzt.

Dieser Angabe entsprach das stark verrostete Schloß, das erst nach wiederholten Versuchen Hornburg’s nachgab. Die Thür knarrte und ließ sich schwer wieder schließen.

In diesem Zimmer war eigentlich nur die Aussicht interessant. Da Cesar kein Verehrer von Büchern war, hatte er seit dem Tode seines Vaters Alles ganz so gelassen, wie er es damals vorfand. Auf einem großen, in der Mitte des Gemaches stehenden Tische lagen eine Menge Bücher und Karten aufgestapelt, die sich jetzt mit einer dicken Lage Staub bedeckt zeigten. Spinnengewebe hingen an den beiden Fenstern, von denen eins nach der Thalschlucht und den Sägemühlen hinabsah. Dintenflecke und eine Menge Wachstropfen am Boden, namentlich in der einen Ecke unfern der Thür, wo ein hohes Bücherbort bis fast zur verräucherten Decke reichte, deuteten an, daß in früheren Tagen hier auch zu nächtlicher Stunde ein wißbegieriger Mann nach geistiger Nahrung sich umgesehen haben mußte.

Auch dies Zimmer ward sorgfältig vermessen, ein Plan davon aufgenommen, die Richtung der Fenster, endlich die Zahl und Stellung der Repositorien verzeichnet.

Diese Besichtigung dauerte mehrere Stunden. Es war schon dunkel, als die Commission das Schloß verließ. Cesar forderte sie aus Höflichkeitsrücksichten auf, mit ihm und seiner Schwester, die sich diesmal absichtlich verborgen gehalten hatte, zu diniren. Die Herren jedoch dankten kühl, und reisten unverweilt ab.

„Endlich!“ rief Cesar Hornburg, erleichterter aufathmend. „Es ist doch unausstehlich, was man sich in seinem eigenen Hause von stockfremden Menschen Alles gefallen lassen muß!“

In sein Zimmer zurückkehrend, fand er hier Cornelien, seiner harrend. Die Stiefschwester war bleich, und sah ihn noch ernster an, als gewöhnlich.

„Was Du für Augen hast!“ sprach Cesar. „Man könnte sich fürchten! Ich glaube, das Grübeln über Dinge, die sich nun einmal nicht so leicht ergründen lassen, gibt Deinen Augen einen so unangenehmen Ausdruck. Du wirst schwerlich damit Eroberungen machen.“

„Meinst Du?“ erwiderte schmerzlich lächelnd die Trauernde. „Ich will mich nicht beklagen, wenn es mir nur gelingt, mit meinen unangenehmen Augen Entdeckungen zu machen.“

Cesar antwortete nicht. Die Stiefgeschwister setzten sich zu Tische, wortkarger aber und deshalb unerquicklicher war das gemeinsame Mahl der so nahen Blutsverwandten kaum je verflossen.

Cornelie aß fast gar nichts, Cesar verschlang die Speisen mit unruhiger Hast, als wolle er nur einen quälenden Heißhunger stillen. Als er aufstand, fragte die Schwester, ob es ihm vielleicht genehm sei, ihr die längst verheißenen Mittheilungen in Bezug auf die Erbschaft zu machen, die sie nach dem Tode des Bruders unter einander zu theilen hätten.

„Ein andermal,“ erwiderte Cesar barsch. „Der Besuch dieser Quälgeister hat mich verstimmt. Ich bin verdrießlich und in solcher Stimmung, Du weißt es, kann ich leicht heftig werden, wenn Jemand anderer Meinung ist, als ich. Ich will mich mit Dir in Frieden, nicht unter Zank und Streit auseinander setzen.“

Die Geschwister trennten sich, und jedes verbrachte den noch übrigen Rest des Tages auf seinem Zimmer.




VII.

Zwischen Cesar und Cornelie war eine traurige Spannung eingetreten. Dem wiederholten Drängen der Halbschwester mußte Cesar Hornburg doch endlich nachgeben, und so legte er ihr denn eines Tages die Papiere vor, welche die den Halbgeschwistern zugefallene Erbschaftstheilung enthielten. Cesar brachte gleichzeitig verschiedene mit der Unterschrift Ottwald’s versehene Documente bei, aus denen hervorging, daß mehr als drei Viertheile der Liegenschaften, welche dem Verstorbenen in Folge der früheren Aussöhnung der Geschwister zugefallen waren, jetzt in des überlebenden älteren Bruders Besitz übergingen. Cornelie ging fast ganz leer aus. Nur eine wenig einträgliche Milcherei im Gebirge verblieb ihr, außerdem sämmtliche Schmucksachen, welche die beiden rechten Geschwister beim Tode ihrer Mutter auf deren besonderen Wunsch geerbt hatten.

Cornelie äußerte offen ihr Befremden über diese ihr völlig unbegreifliche Auseinandersetzung, und ließ dabei nicht undeutlich merken, daß sie sich für übervorteilt halte. Darüber ergrimmte Cesar; es gab eine sehr heftige Scene zwischen den Geschwistern, wobei von beiden Seiten harte, ja schwer beleidigende Worte fielen, und als sie endlich auseinander gingen, geschah es mit verbissener Groll im Herzen.

Von dieser Zeit an lebten die Halbgeschwister in vollständiger Trennung unter einem Dache. Die Wirthschaft war eine getheilte. Sie sahen sich nie, es sei denn, daß der Zufall eine flüchtige Begegnung herbeiführte. Einmal nur fand noch ein schriftlicher Verkehr zwischen Beiden statt. Cornelie vermißte nämlich einen Ring ihrer Mutter, der aus einem höchst einfachen Goldreifen mit einem einzigen Brillanten bestand. Sie wußte, daß Ottwald diesen Ring sehr hochschätzte und deshalb nie ablegte. Sie erinnerte sich auch, daß er ihn am Tage ihrer Abreise noch getragen hatte. Wie er als Leiche im Sarge lag, fehlte er an seiner Hand. Dies konnte ihr indeß nicht auffallen, weshalb sie auch kein Wort darüber äußerte. Sie nahm stillschweigend an, Cesar möge das ihr theure, wenn auch nicht gerade sehr kostbare Kleinod mit noch vielen andern dem Bruder zugehörigen Dingen an sich genommen haben, um es ihr später unaufgefordert zu überantworten.

Auf die schriftliche Anfrage der Schwester antwortete Cesar Hornburg, daß er nicht wisse, wo der fragliche Ring geblieben sei; er selbst habe ihn während der letzten Lebenstage des Bruders nicht mehr an seinem Finger bemerkt. Deshalb nehme er an, daß Ottwald ihn wahrscheinlich auf einer der Jagdpartieen, wobei man durch Dick und Dünn gegangen sei, verloren haben möge.

Cornelie glaubte nun zwar daran nicht, sie vermuthete vielmehr, Cesar wollte den Ring des schönen Steines halber und weil ihm kein anderes Juwel von seiner Stiefmutter zugefallen sei, nicht herausgeben, es fiel ihr aber nicht ein, weiter in ihn zu dringen. Uebervortheilt war sie ja doch auf alle Weise – das wußte sie – es fehlten ihr nur leider die genügenden Anhaltspunkte, um den habsüchtigen Halbbruder anzugreifen, und ihn mit Erfolg seiner Ungerechtigkeiten zu überführen. Durch einen langwierigen Proceß hätte sich dies vielleicht erreichen lassen. Dazu jedoch konnte sich Cornelie nicht entschließen, denn was gewann sie für sich und ihr ganzes Leben, wenn sie einen gegen den Bruder geführten Proceß mit der Ueberzeugung erkaufen mußte, Cesar sei ein unredlicher, der gemeinsten Handlungen fähiger Mensch? Das wollte sie nicht, und darum schwieg sie. Mit dem Bruder fernerhin auf freundschaftlichem Fuße zu leben, war ihr aber auch nicht möglich.

Es vergingen nun Wochen und Monate, ohne daß in dem Verhältniß der beiden Halbgeschwister eine Aenderung eintrat. Cesar war sehr thätig, aber auch sehr unstät. Es litt ihn nicht in seiner Behausung, und wenn er nicht mußte, blieb er gewiß nicht im Schlosse. Die ernste Gestalt der Schwester, die stets in tiefer Trauer einherging und durch nichts zu bewegen war, das Sterbezimmer Ottwald’s zu verlassen, mochte ihm unheimlich sein. Er hätte sie gern aus dem Schlosse vertrieben, wäre dies ohne großen Eclat und ohne daß er in den Ruf der unnatürlichsten Härte kam, zu bewerkstelligen gewesen. Stören übrigens oder belästigen konnte Cornelie den Eigenthümer des Schlosses nicht, denn sie lebte still und eingezogen für sich, machte keinerlei Ansprüche und ließ sich kaum hören.

(Fortsetzung folgt.)



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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_684.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2021)