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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

aus der Stadt. Eisenach war das Eldorado meiner Kindheit, die Wartburg das Zauberschloß der Fee Poesie für mich.

Immerfort kamen uns Botschaften entgegen, eine schlimmer als die andere. Ein schrecklicher Weg! Endlich erreichten wir die unglückliche Stadt gegen neun Uhr früh. Welch’ ein schauderhafter Anblick! Der ganze Markt voll Feuerspritzen, die daran stoßende Messerschmiedergasse in brennenden Ruinen, weiter nach Westen brennt die Georgengasse. Todte Pferde liegen da umher; Menschen arbeiten mit unglaublicher Energie. Alles, was Hände hat, schleppt Wasser herbei, Spritzen werfen diese Wassermassen in die gräßliche Gluth. Die ganze Luft zittert weit und breit von dieser Hitze. Hier und da werden scheußlich verstümmelte Leichen aus dem glühenden Schutt gezogen; die Arbeiter müssen sich vorsehen, sich nicht die Hände zu verbrennen. Als ein neugieriger Knabe kroch ich überall umher; meine Seele war ganz Auge und Ohr; ich sah und hörte alle die Schrecken, deren jeder einzelne ein gefühlvolles Herz mit Grausen erfüllte. Und schon nach einigen Tagen war ich wieder in der unseligen Stadt; sie brannte immer noch. Das Feuer wüthete über eine Woche. Dann lagen die Straßen wie ein großes Grab. Und wieder eine unheimliche Stille darüber. Es war das symbolische Grab Deutschlands unter dem verheerenden Fußtritte des Siegers von Jena und Wagram. Nach und nach hatte ich das ganze Unglück mit allen Einzelnheiten erfahren.

Wie immer bei solchen außerordentlichen Gelegenheiten war vieles von dem Erzählten fabelhaft; die Volksphantasie, schauerlich aufgeregt, dichtete Märchen. Das Wahre an dem grausigen Unglücksfalle war ungefähr Folgendes.

Seit dem Juni gingen starke französische Evacuationstransporte, alle fünf Tage dreißig bis vierzig Munitionswagen mit Pulver, Patronen, gefüllten Bomben, Granaten und Kartätschen beladen, aus der Festung Magdeburg über Halle, Erfurt, Gotha, Eisenach, Frankfurt nach Frankreich zurück, und zwar auf Kosten derjenigen Länder des Rheinbundes, durch welche diese Heerstraße führte. Ein solcher Transport von vielleicht 13 Pulverwagen kam am 1. September Abends in Eisenach an, als es schon zu dunkeln begann, und sollte durch die Stadt geführt werden, um jenseits derselben vor dem Georgenthore eine abgesonderte Aufstellung zu finden. Die Wagen wurden von Oekonomen und deren Knechten aus Gotha gefahren. Um 8¾ Uhr bewegte sich dieser Zug langsam aus der ehemaligen Jüdengasse, jetzigen Karlsstraße, über den schönen Markt in die Messerschmiedergasse. Ein Zufall, eine Unbedeutendheit – und o wie schwer wog sie im Geschicke der Stadt Eisenach! – veranlaßte einen Führer, vielleicht den des vierten, fünften oder sechsten Wagens, auf dem Markte etwas still zu halten. Dadurch wurde auch die nachfolgende Reihe zum Stehen gebracht. Ehe sie sich wieder in Bewegung setzte, waren die ersten drei oder wie viel Wagen voraus. Als diese an die Stelle kamen, wo die Messerschmiedergasse sich an ihre Fortsetzung, die St. Georgengasse, anschließt, explodirte einer dieser Wagen und entzündete die andern. Es ist wahrscheinlich, daß es nur drei Wagen waren, welche in die Luft flogen, doch festgestellt hat es niemals werden können, eben so wenig die Art ihrer Ladung. In Eisenach konnte natürlich Niemand etwas darüber wissen und die französischen Angaben waren ungenau und nicht zu verbürgen. Daß es nur drei Wagen waren, hat man daraus schließen wollen, daß Einige bei der Explosion drei verschiedene schnell hintereinander erfolgte Schläge vernommen haben wollten, welche in der Entfernung zu einem großen Schlage zusammengeschmolzen seien. So schloß man daraus, daß sich nirgend zerplatzte Granaten und Bomben vorfanden, daß die Wagen mit Pulver und Kanonenpatronen beladen gewesen seien. Es fanden sich nämlich im Schutt der Häuser gegen den Markt zu Kanonenkugeln von verschiedenem Kaliber, doch nicht einmal in solcher Anzahl, daß man annehmen durfte, ein ganzer Wagen sei mit Kanonenpatronen beladen gewesen.

Die Entzündung wurde am einfachsten dadurch erklärt, daß, wie man an den zurückgebliebenen Wagen nachher wahrnahm, loses Pulver durch die Spalten der von der Sonnenhitze eingetrockneten Faßdauben hindurchgerieselt und von einem durch den Hufschlag eines Pferdes einem Pflastersteine entlockten Funken in Flamme gesetzt worden sei.

Die Wirkung der Explosion war über alle Vorstellung entsetzlich. Ein greller, grausiger Blitz, den man meilenweit im Umkreise sah, erhellte für einen Augenblick die Nacht, eine schwarze Dampfwolke folgte dem Schreckenslichte, dann verschlang die Nacht wieder Alles und nun ertönte der gräßliche Donnerschlag und rollte von der Wartburg, deren Grundfelsen erzitterte, mit fürchterlichem Wiederhall über die Berge und durch die Thäler des nahen Thüringerwaldes hin. Die nächsten neun Häuser zu beiden Seiten der Straße, meist ansehnliche Gebäude, stürzten im nächsten Augenblick zusammen und zwar in die Straße herein, und begruben in ihren Trümmern Alles, was darin lebte und webte. Alle Menschen in der Nähe auf der Straße waren im Nu eine Beute des Todes. Von entferntern Häusern wurden die Dächer abgerissen, in einem noch weitern Kreise alle Fenster und Schornsteine zertrümmert, Fenster und Thüren zerschmettert, die Bekleidungen abgerissen, Oefen und Kamine übereinander geworfen, Spiegel und Bilder von den Wänden gerissen und zerschlagen. In weit entfernten Häusern vor der Stadt wankten Tische und Stühle und anderes Geräthe, sogar auf dem zwei Stunden von Eisenach entfernten hochgelegenen Schlosse in Kreuzburg sprangen die Thüren der Zimmer auf und drei, vier Stunden weit im Gebirge bemerkte man ein Wanken des Bodens. Ein mehrere Centner schwerer Schrittstein wurde von der Thüre eines der dem Verderben geweihten Häuser weit hinweggeschleudert.

Dies waren die Schrecken der ersten Augenblicke. Die ganze Bevölkerung der Stadt war wie betäubt. In Vielen erwachte derselbe finstere Gedanke, wie in Meister Stumpff, die Stunde des göttlichen Weltgerichts sei gekommen. Grauenvolle Jammerscenen wurden erzählt, aber es fehlte auch nicht an komischen Ereignissen.

Als die schreckengefesselten Glieder wieder zu Dienst waren und die von so unerhörtem Grausen aufgescheuchten Menschen dem Schauplatze des Unglücks zustürzten, kam der zweite Schrecken über sie. Außer den eingestürzten Häusern standen 24 andere Häuser der benachbarten Straßen in Flammen. Da galt es Menschenleben zu retten. Viele Bewohner dieser brennenden Häuser waren ja starr und besinnungslos vor Schrecken. Plötzlich ward man inne, welch’ ein unaussprechliches Verderben der ganzen Stadt und allen Einwohnern drohe. Ueber den ganzen Markt bis die Messerschmiedergasse und nur wenige Schritte von den brennenden Häusern stand die Colonne der noch übrigen Pulverwagen. Jeden Augenblick konnten sie sich entzünden. Dann war Eisenach ein todter dampfender Steinhaufen. – Die Menge stiebt wie in Wahnsinn aufschreiend auseinander. Muthige Männer stürzen, ohne an sich oder etwas Anderes zu denken, auf die Wagen los, um sie wegzufahren, aber der Schrecken hat die meisten Pferde so betäubt, daß sie nicht von der Stelle zu bringen sind und die Fuhrleute schneiden in Todesangst ab, um die Pferde und sich zu retten. Die gräßliche Gefahr steigt von Augenblick zu Augenblick, da wirft sich ein Häuflein wackerer Bürger auf die Wagen, spannt sich selbst an und fährt sie in rasender Eile aus der Stadt. Der Kutscher eines Hausbesitzers ist schnell mit seinen Pferden bei der Hand und holt einen Pulverwagen aus der brennenden Straße heraus. Nun rennt Alles, was Mensch heißt, zum Löschen herbei, was durch Wassermangel sehr erschwert ist, weil kein Fluß durch die Stadt geht und die Brunnen bald erschöpft sind. Da zeigen sich vorzüglich die Frauen hülfreich. Eine Menge derselben schleppt das Wasser in Butten und Eimern weit her. Während dem rufen die Kanonen mit Donnerstimme die weite Umgegend um Hülfe an (Eine zerspringt und zerreißt den Mann, der ihr zuviel zugetraut). Und wahrlich nicht vergebens! Von allen Seiten rasseln die Spritzen herbei. Mit ihnen und auf Feuerwagen Tausende von Menschenarmen. Alle Straßen und Wege, die nach Eisenach führen, sind die ganze Nacht meilenweit mit Hülfe bringenden Menschen bedeckt. Die Spritzen der Stadt Gotha legen den sieben Stunden langen Weg in zwei Stunden zurück und eine davon, die Rathsspritze Nr. 2., mit 12 Mann besetzt, unter Anführung des bei Feuersbrünsten durch Muth und Geschicklichkeit ausgezeichneten Schlossermeisters Silber, wurde von dem Sohne des Bürgers und Oekonomen Habermann mit dessen eigenen Pferden in 1¾ Stunden an den Unglücksplatz gefahren und that treffliche Dienste.

Eine große Windstille kommt der menschlichen Thätigkeit zu Hülfe, so daß das Feuer auf den entzündeten Häuserkreis beschränkt werden kann. Von den einmal brennenden Gebäuden konnte freilich nichts gerettet werden.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_690.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2017)