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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Bald nach Mitternacht.“

„Besuchte Sie Ihr Verlobter immer so spät?“

„Nein.“

„Was veranlaßte ihn, gerade in jener Nacht so lange im Schlosse zu verweilen?“

„Die Krankheit Herrn Ottwald Hornburg’s.“

„Erklären Sie sich deutlicher. Wie konnte die Krankheit des jüngeren Hornburg ein Hinderniß für Ihre Zusammenkunft mit dem Knappen sein?“

„Ich mußte vorher im Auftrage meines Herrn den kühlenden Trank bereiten, von dem man sagte, Herr Ottwald Hornburg habe sich daran den Tod getrunken,“ versetzte die Angeklagte mit von Thränen halb erstickter Stimme.

„War Ihr Verlobter zugegen, als Sie diesen Trank bereiteten?“

„Nein.“

„Wann besuchte er Sie?“

„Wenige Minuten nach der Rückkehr des Herrn aus dem Zimmer des Kranken.“

„Um welche Zeit erfolgte diese Rückkehr?“

„Die Schloßuhr hatte eben ein Viertel nach zehn geschlagen.“

„Wohin begab sich Herr Cesar Hornburg?“

„Auf sein Zimmer.“

„Welchen Weg dahin schlug er ein?“

„Er ging über den Corridor.“

„Ging später Niemand mehr über den Corridor?“

Anna legte die Hand an ihre Stirn und verneinte nach kurzem Sinnen diese Frage, jedoch in einem Tone, der es zweifelhaft ließ, ob sie die volle Wahrheit sage oder mit Vorbedacht etwas geheim halte.

„Man hat aber später, wie durch Zeugen bewiesen ist, noch Licht im Schlosse gesehen.“

„Nicht im Corridor,“ sagte rasch und deshalb vielleicht in Uebereilung die Angeklagte. Sie mochte selbst fühlen, daß sie eine zu schnelle Antwort gegeben habe, denn sie erröthete und senkte beschämt die Blicke.

„Sie geben durch Ihre Antwort zu,“ fuhr der Vorsitzende mit größter Kaltblütigkeit fort, „daß später noch Licht im Schlosse zu sehen war. Wo haben Sie dasselbe bemerkt?“

„Am Ende des Korridors,“ erwiderte in sichtbarer Angst die Angeklagte.

„Sie sehen hier ein genau gearbeitetes Modell aller Räumlichkeiten des Schlosses,“ sprach der Präsident weiter. „Bezeichnen Sie jetzt die Stelle, wo Sie das Licht zuletzt bemerkten.“

Anna deutete auf den Raum zwischen der Thür des Zimmers, in welchem Ottwald gestorben war, und dem Eingange zum alten Schlosse.

„Das ist seltsam,“ erwiderte der Vorsitzende. „Ehe es gerade in diesem Raum kam, der nach keiner Seite hin ein Fenster hat, muß es doch anderswo geleuchtet haben. Wie also und von welcher Seite kam es in den von Ihnen bezeichneten Raum?“

Anna war offenbar unschlüssig. Unstät flog ihr Blick von der Gruppe der Gerichtspersonen bald auf ihren Verlobten, bald auf Cornelie und den wie eine Marmorstatue dasitzenden Cesar Hornburg. Endlich nannte sie die Thür des letzten zum Neubau gehörenden Zimmers.

„Wann bemerkten Sie das Erscheinen des Lichtes in der Thür dieses Zimmers?“ fuhr der Präsident in seinem fürchterlichen Examen fort.

„Einige Minuten vor zwölf Uhr Nachts.“

„Und in welcher Hand befand sich das Licht?“

„Wenn meine Augen mich nicht getäuscht haben, hielt es Herr Cesar Hornburg in der linken Hand,“ sagte Anna unbefangen und mit festerer Stimme.

„Wohin wendete sich der von Ihnen als Herr Hornburg Erkannte von diesem Winkel aus?“

„Ich habe darauf nicht geachtet,“ versetzte die Angeklagte.

„Warum nicht?“

„Weil ich fürchtete, der Herr möge mich bemerken und mich fortjagen, weil ich gegen sein Gebot mit meinem Verlobten zu so später Stunde zusammentraf.“

„Bemerkten Sie auch nicht, ob das Licht in diesem Raume ausgelöscht wurde oder ob es sich später wieder entfernte?“

„Es entfernte sich wieder.“

„Ohne vorher diesen Raum verlassen zu haben?“

„Nein, ich sah es durch den Schlüsselspalt verschwinden und erst nach längerer Zeit wieder erscheinen.“

„Wissen Sie nicht, wo es in der Zwischenzeit sich befand?“

„Darüber habe ich nur Vermuthungen.“

„Theilen Sie uns diese Vermuthungen mit.“

„Ich glaube, Herr Cesar Hornburg ging mit dem Lichte nach dem Eckzimmer, wo sich die alte Bibliothek befindet.“

„Was veranlaßt Sie zu dieser Annahme?“

„Weil ich zwei Mal das schrille Knarren einer Thür hörte. Die Thüren im Neubau, welche auf den Corridor sich öffnen, knarrten nie, eben so wenig die zum Zimmer des kranken Herrn Ottwald führende.“

„Und Sie erinnern sich ganz deutlich, daß der Besitzer des Schlosses, Herr Cesar Hornburg, in jener Nacht um die von Ihnen angegebene Zeit, mit einem Lichte in der linken Hand, aus der letzten Thür dieser Zimmerreihe trat und eine knarrende Thür öffnete, durch die er mit dem Lichte verschwand?“

„Ich bin bereit, meine Aussage zu beschwören.“

Während dieser Verhandlung richtete sich die Aufmerksamkeit des lautlos zuhörenden Publicums mehr und mehr auf den Mann, dessen Name so oft genannt worden war. Cesar Hornburg saß mit übereinander gelegten Armen auf seinem Platze, verwandte kein Auge von seiner früheren Haushälterin und schien jede ihrer Antworten zu verschlingen.

Es folgten jetzt Seitens der Präsidenten noch einige Fragen, deren Zweck war, zu constatiren, auf welche Weise der zu so später Stunde durch das Schloß wandelnde Cesar wieder zurück in sein Zimmer gegangen sei. Anna’s Antworten harmonirten vollkommen mit der Aussage des Mühlenpachters Caspar. Der Weg, den Hornburg, wie Anna angab, genommen hatte, entsprach in jeder Hinsicht dem Lichtschimmer, welchen Caspar, am Mühlbache stehend, genau um die angegebene Zeit durch die Zimmerreihe gleiten sah. Ein einziger Punkt nur, der sowohl den Gerichtspersonen wie dem gespannt zuhörenden Publicum viel zu denken gab, blieb unklar. Cesar Hornburg war nach dem Bibliothekzimmer gegangen, das blos den einen Eingang vom Corridore aus hatte, und doch sah Caspar gleich nach dem Verschwinden des Lichtes den Schimmer desselben zugleich mit einem beweglichen Schatten in das Zimmer treten, wo man am Vormittage darauf Ottwald entseelt in seinem Bette fand!

Die bereits weit vorgeschrittene Zeit und die sichtliche Abspannung der Angeklagten veranlaßten den Präsidenten, die Verhandlungen abzubrechen. Es war ohnehin nöthig, die vorgeladenen Zeugen zu vernehmen, um, vielleicht durch ihre Aussagen auf andere Spuren geleitet, die Untersuchung fortzusetzen. Im Publicum machte sich, als es den Gerichtssaal verließ, bereits die Meinung geltend, die unglückliche Angeklagte könne möglicherweise das vergiftete Getränk dem Verstorbenen bereitet haben, eines mit Absicht begangenen todeswürdigen Verbrechens aber werde sie schwerlich zu überführen sein.




VIII.

Am andern Tage war der Zudrang der Menge zu dem Gerichtssaale noch größer. Man mußte die Thüren militärisch besetzen, um möglichen Störungen, welche der ungestüme Andrang Neugieriger veranlassen konnte, vorzubeugen.

Die Gerichtshalle selbst hatte ein verändertes Aussehen erhalten. Die Fenster waren heute mit dichten schwarzen Gardinen versehen, die mittelst einer Schnur zugezogen werden konnten. Diese Draperie fiel den Zuhörern sogleich in die Augen und beschäftigte eine Zeitlang die Meisten mehr, als die in den Proceß verwickelten Personen.

Die Nachbildung des Schlosses, in welchem das Verbrechen begangen worden war, stand heute, etwas erhöht, gerade vor dem Präsidenten.

Nach Beeidigung der Zeugen, die zuvörderst vernommen werden sollten, und Erledigung sonstiger Förmlichkeiten, mußte zuerst der Verlobte Anna’s seine Aussagen machen. Der gewandte Richter erleichterte dem jungen Manne, dessen Schuldlosigkeit ja nicht erwiesen war, diese in keiner Weise. Seine Fragen waren so scharf zugespitzt, so ganz eigenthümlich gefaßt, daß ein Mensch,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_695.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)