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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Auf dem letzten der vier Kirchhöfe vor dem Hallischen Thore steht ein einfaches Kreuz, unter dem Felix Mendelssohn-Bartholdy, der berühmte Tondichter, schlummert. Er starb zu früh für seine Kunst, doch seine tief ergreifenden Lieder leben in den Herzen und auf den Lippen der deutschen Sänger. Ihm zur Seite liegt die theure, hochbegabte Schwester Fanny Cäcilie Hensel. Auf ihrem Grabsteine stehen die Noten zu dem schönen Text: „Gedanken gehn und Lieder fort bis in’s Himmelreich.“ Sind doch die musikalisch so ausgezeichneten Geschwister wie Lieder und Gedanken des Himmels zur Erde gekommen, um nach kurzem Verweilen wieder zu der höheren Heimath aufzusteigen.

Unter dem einfachen Leichensteine dort ruht der dramatische Dichter Ernst Raupach, der mehr als hundert Trauer- und Lustspiele geschrieben hat. Lange Jahre beherrschte er fast ausschließlich das Repertoir der Berliner Hofbühne. Zahllose Gegner traten zwar gegen Raupach und die sogenannte Jambentragödie auf, aber keiner der neueren Dichter hat ihn an dramatischer Wirksamkeit, Bühnenkenntniß und Reichhaltigkeit erreicht oder gar ersetzt. Im Leben glich Raupach den Früchten, deren Kern in einer bitteren und rauhen Schale steckt; hatte man diese einmal durchbrochen, so fand man einen gediegenen Geist und ein ehrliches Herz. Er war ein fester, männlicher Charakter und besaß mehr Energie und Willenskraft, als man sonst bei deutschen Dichtern anzutreffen pflegt. Er sagte sowohl den Schauspielern wie den Directoren seine Meinung gerade heraus und mancher Theaterprinzessin entpreßte sein grimmiger Humor heiße Thränen; doch meinte er es nicht so bös, wenn er auch sehr grob und rechthaberisch werden konnte.

Noch weiter vor dem Hallischen Thore, zwischen dem Kreuzberge und der Hasenhaide, erhebt sich der Dreifaltigkeitskirchhof, der nächst dem der Dorotheen-Werderschen Gemeinde wohl die größte Zahl der berühmten Todten aufzuweisen hat. Wir wenden uns links, wo wir die Büste Schleiermacher’s erblicken. Der Grabstein trägt die Inschrift: „Gedenket an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesaget, welcher Ende schauet an und folget ihrem Glauben nach.“ In Schleiermacher fand der Glaube einen beredten Vertheidiger, wie seine „Reden über die Religion“ bekunden. Er war einer der vorzüglichsten Prediger, doch blieb seine Wirkung nicht allein auf die Kanzel beschränkt. Wie Fichte suchte auch er die Liebe zu dem unter der Franzosenherrschaft geknechteten Vaterland durch Lehre und Beispiel zu erwecken. Sein Glaube blieb weit entfernt von finsterer Orthodoxie und lichtscheuem Pietismus. Griechische Klarheit und Heiterkeit erschien in ihm mit christlicher Milde und Tiefe des Gemüthes gepaart. Im gesellschaftlichen Leben überließ sich Schleiermacher seiner frischen Laune, und mancher sarkastische Scherz wechselte mit sokratischer Weisheit auf seinen beredten Lippen.

In seiner Nähe liegt ein ihm befreundeter Zeitgenosse, Henrik Steffens. Von Geburt war Steffens ein Norweger, aber er nahm sowohl an der politischen wie an der geistigen Erhebung Deutschlands den lebendigsten Antheil und hat sich im eigentlichen Sinne das Bürgerrecht bei uns erkämpft. Steffens war eine poetische Natur, und seine lebendige Phantasie trieb auch in der Wissenschaft eine Fülle von Blüthen, welche oft durch ihre Ueppigkeit zu keiner Frucht gedeihen konnten. Durch seine Romane und Novellen hat er sich eine ehrenvolle Stellung in der deutschen Literatur erworben. Im Umgange zeigte er eine seltene Liebenswürdigkeit und Kindlichkeit, wobei seine lebendige Unterhaltung durch die fremde Aussprache, die er bis zu seinem Lebensende beibehielt, einen eigenthümlichen Reiz erhielt. An seiner Seite schlummert die geistvolle Gattin, eine Tochter des bekannten Componisten Reichardt.

Dies neue Denkmal von rothem Marmor mit der frischen, goldenen Inschrift ist für Ludwig Tieck bestimmt. Der Dichter des Phantasus, das Haupt der Romantiker, war ein geborner Berliner. Seit Goethe’s Tod nahm Tieck den verwaisten Thron der deutschen Literatur ein, er ruhte auf seinen Lorbeern als Dichter und Vorleser aus. Seine Thätigkeit in letzter Zeit erstreckte sich auf die Wiederbelebung der „Antigone“ und des „Sommernachtstraumes“, wobei er als Kenner der griechischen und altenglischen Bühne zu Rathe gezogen wurde. Bis zum letzten Augenblicke bewahrte der greise Tieck, dessen Körper schwer von der Gicht zu leiden hatte, die Frische seines Geistes und den Glanz seiner herrlich blauen Augen, die im ewigen Jugendfeuer zu leuchten schienen.

Eine bescheidene Gedenktafel erinnert an August Kopisch, dessen humoristisches Weinlied „Als Noah aus dem Kasten stieg“ in ganz Deutschland bis zu dieser Stunde gesungen wird. Dort ruht der geniale Kritiker und deutsche Sprachforscher Lachmann, dem Jakob Grimm in seinem akademischen Vortrage über den Verstorbenen das schönste Denkmal gesetzt hat.

Mitten unter diesen Notabeln der Wissenschaft liegt der ehemalige Cultusminister, Freiherr von Altenstein. Er hatte seine Aufgabe vollkommen erfaßt und Preußen zum Staate der Intelligenz erheben helfen. Mit seltener Liberalität schützte und förderte er die Wissenschaft durch alle ihm zu Gebote stehenden Mittel gegen die sie bedrängende politische und kirchliche Reaction.

Von den berühmten Todten der Kunst und Wissenschaft wenden wir uns zu den Helden, welche auf dem Kirchhof der Invaliden vor dem Louisenthore vom Geräusch der Waffen ausruhen. In der Mitte erhebt sich das von dem Bildhauer Friedrich Tieck, einem Bruder des Dichters, errichtete Kenotaphium des Generals Bernhard David Scharnhorst. Ein ruhender Löwe von Marmor mahnt an den Löwen, der unter dem Denkmal ruht. Scharnhorst faßte zuerst den Gedanken einer gänzlichen Reorganisation des preußischen Heerwesens, das er volksthümlich umzugestalten suchte. Die Schöpfung der Landwehr war sein Werk; wie mit einem Zauberschlage stand die Stütze des preußischen Staates gerüstet da. Scharnhorst erlebte noch die dem Genie nur selten gestattete Freude, den Segen und Erfolg seiner Ideen verwirklicht zu sehen. Leider wurde er in der Schlacht bei Groß-Görschen durch eine Kugel getroffen; er starb in Folge seiner Wunde in Prag, von wo seine Leiche nach Berlin gebracht, und auf dem Kirchhof der Invaliden beigesetzt wurde. Rings um sein Denkmal ruhen die tapferen Waffengefährten Hiller von Grätringen, Friedrich und Gustav von Rauch, Karl von Gagern, von Wolzogen u. s. w., die Helden des Befreiungskrieges.

Auch dem Garnisonkirchhof fehlt es nicht an großen Namen, darunter von Lützow, der Führer jener verwegenen Freischaar, der Theodor Körner angehört, und die der Dichter in seinem bekannten Gesange so schön gefeiert hat. Noch heute tönt das Lied von Lützow’s verwegener Jagd.

Dicht am Potsdamer Bahnhofe, wo jetzt das Pfeifen und Brausen der Locomotive grell ertönt, schläft der Componist der Oper „Fanchon“, der Schöpfer so vieler reizender Melodien, der lebenslustige Musikdirektor Himmel, während Lortzing, der ihm in vielen Stücken glich, nach einem Leben voll Mühe und Sorgen in der Nähe des Stettiner Bahnhofs Ruhe fand. Sein Grabstein singt von ihm:

„Deutsch war sein Lied und deutsch sein Leid,
Sein Leben voll von Kampf und Neid.
Das Leid flieht diesen Friedensort;
Sein Lied tönt freudig fort und fort.“

Auf dem Sophien-Kirchhofe an der nahe liegenden Kirche bezeichnet ein bemooster Stein das Grab des Odendichters Rammler, der Friedrich den Großen in antiken Versmaßen feierte und Lessing’s, seines Freundes, Gedichte feilte. Dort ruht auch die Karschin oder, wie sie von ihren Freunden genannt wurde: „Die deutsche Sappho.“

Auf dem alten jüdischen Kirchhofe finden wir das Grab des Philosophen Mendelssohn, der den Phädon geschrieben und mit Lessing an den deutschen Literaturbriefen arbeitete; die Denksteine von Markus Herz, der ein berühmter Arzt war, und von Meyer Hirsch, ausgezeichnet als Mathematiker und berühmt durch sein Rechenbuch.

Noch zwei Kirchhöfe wollen wir nicht unbesucht lassen. Auf dem einen ruhen die Gefallenen und Opfer der Befreiungskriege, auf dem andern die Leichen derer, welche am 18. März 1848 in den Straßen Berlins gekämpft. Beide Kirchhöfe sind verwildert, vernachlässigt; keine großen Namen werden mit prunkender Inschrift da genannt. Die unter ihren Hügeln schlafen, sind Männer gewesen, welche voll Begeisterung für eine Idee ihr Leben hingaben. Beide Kirchhöfe in der Hasenhaide und im Friedrichshain waren Zeugen einer großen nationalen Bewegung, und wenn sie auch kein Denkmal von Erz und Marmor ziert, sie leben in der Erinnerung, sie gehören der Geschichte an.

Max Ring.



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