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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

alte Wand aber scheidet die Bibliothek von dem Zimmer, in welchem zu unser aller Betrübniß mein unvergeßlicher Bruder einsam verstarb.“

Cesar Hornburg’s Vortrag erregte Sensation bei einem Theile des nicht bestechlichen Publicums. Die leise Ironie, die aus seinen Antworten herausklang, verfehlte nicht ihre Wirkung, und die Zuversicht, mit welcher er auf die Möglichkeit hinwies, eine fest stehende Wand von der Stelle zu rücken, war ein argumentum ad hominem, vor welchem das Zeugniß Caspar’s von selbst zusammenfiel.

In diesem Augenblicke erschien ein Gerichtsdiener in dem nur spärlich erleuchteten, menschenerfüllten Saale. Er näherte sich in Eile dem Präsidenten, wechselte leise Worte mit diesem und überreichte ihm einen Brief und eine sorgfältig versiegelte Schachtel.

Cesar Hornburg stand noch auf dem Zeugenplatze, da sein Verhör von dem Präsidenten noch nicht für beendigt erklärt war. Es schien ihm die Zeit lang zu werden, denn er zog, während der Vorsitzende den Brief las, dann die Siegel von der erhaltenen Schachtel löste und einen schnellen Blick in dieselbe that, seine Uhr und musterte dabei die Reihen der aufmerksam lauschenden Zuhörer. Die Stimme des Präsidenten, die jetzt einen schärferen, harten Klang hatte, der Cesar’s verwöhntes Ohr höchst unangenehm berührte, störte ihn in dieser Musterung.

„Sie haben sich bemüht, Herr Hornburg, die Aussagen des Mühlenpachters Caspar als irrige zu bezeichnen,“ hob der Vorsitzende abermals an. „Was Caspar gesehen haben will, erklären Sie einfach als eine Augentäuschung. Könnten Sie diese Erklärung auch beweisen, so würden wir Ihrer Ansicht vielleicht beizutreten genöthigt werden. Das aber vermögen Sie nicht. Sie haben ferner bemerkt, eine feste Wand, die Jahrhunderte überdauert habe, lasse sich nicht von der Stelle bewegen. Gegen dies Argument hat gewiß Niemand etwas zu erinnern. Indeß wird Ihnen bekannt sein, daß alte Baulichkeiten, namentlich aber alte Feudalschlösser, oft Vorrichtungen enthalten, um auf geheimen Wegen darin nach Belieben umherwandern oder ein- und ausgehen zu können. Sollte es nun nicht denkbar sein, daß auch auf Ihrem Besitze von Alters her derartige verborgene Gänge oder versteckte Thüren sich vorfänden?“

Cesar verschlang gierig jedes Wort des ruhig, aber mit strenger Miene Sprechenden. Die Hitze im Saale schien ihn zu peinigen; er zog abermals das Taschentuch, um die perlenden Schweißtropfen auf seiner Stirn zu trocknen. Dann sagte er:

„Mir ist nichts davon bekannt geworden.“

„Dann haben Andere ein schärferes Auge und eine glücklichere Hand für verborgene Federn,“ fuhr der Präsident fort, „denn soeben meldet mir die heute Morgen dahin abgesandte Commission, daß es derselben nach langem Suchen gelungen ist, im Bibliothekzimmer eine Feder zu entdecken, durch deren Druck ein Theil der Wand zurückweicht und einen Eingang in das Zimmer öffnet, wo Ihr Halbbruder todt auf seinem Lager gefunden ward.“

Cesar Hornburg hielt sich nur mit Mühe aufrecht. Seine Gesichtsmuskeln zuckten krampfhaft, seine Hand zitterte. Als könne er die hundert und aber hundert auf ihn gerichteten Blicke nicht ertragen, oder als blende ihn der Schein der jetzt wieder hüllenlos dastehenden Lichter, hielt er das Taschentuch vor die Augen.

„War Ihnen diese geheime Thür, welche ein Bücherbord verdeckt, unbekannt?“ fragte der Präsident schärfer.

„Ich sah dieselbe nie,“ versetzte Cesar mit gepreßter Stimme.

Der Präsident griff nach der empfangenen Schachtel, entnahm derselben einen glänzenden Gegenstand und zeigte diesen dem Schloßbesitzer.

„Nach der Aussage Ihrer Halbschwester, Fräulein Cornelie Hornburg,“ sprach er weiter, „pflegte deren verstorbener Bruder bis zu dem Tage, wo dieselbe ihn verließ, einen Ring zu tragen, den er von seiner Mutter ererbt hatte. An dem Finger des Todten vermißte man diesen Ring. An der Stelle, wo zwischen Bücherbord und Wand die Feder verborgen ist, welche den verdeckten Eingang zu beiden Zimmern erschließt, fand man diesen Ring. Fräulein Cornelie Hornburg wird aufgefordert zu erklären, ob es derselbe ist, den ihr verstorbener Bruder trug und niemals ablegte?“

Cornelie’s Antwort lautete bejahend.

Der Präsident wandte sich abermals zu Cesar.

„Wie kam dies Kleinod neben die verborgene Feder?“ fragte er den unruhigen Herrn des Schlosses.

„Ich kann darauf keine Antwort geben,“ lautete dessen Erwiderung.

Der Präsident öffnete zum zweiten Male die Schachtel. Diesmal enthüllte er ein zusammengefaltetes Papier. Es war ein Briefbogen, welcher am oberen Ende den Stempel von Cesar’s Namenszuge trug.

„Bei Oeffnung der geheimen Thür entdeckte man ferner diese Papierhülse,“ fuhr er fort. „Dieselbe enthält den Ueberrest eines Pulvers. Der hier anwesende Gerichtsarzt wird uns sagen können, woraus dieses Pulver besteht.“

Der Gerichtsarzt erklärte es für weißen Arsenik.

Der Vorsitzende fuhr fort: „Es ist durch die Section der Leiche Ottwald Hornburg’s erwiesen, daß der Genuß einer starken Dosis Arsenik ihm das Leben geraubt hat. Die Auffindung einer mit gleichem Gift bestreuten Kruke jenes Himbeer-Gelées, aus welchem die Haushälterin des älteren Hornburg dem Kranken am Abend vor seinem Tode das kühlende Getränk bereitete, mußte den Verdacht auf diese Person richten, und hatte deren Verhaftung und, da sie sich durch ihre Aussagen nicht zu reinigen vermochte, ihre spätere Versetzung in Anklagestand zur Folge. Die neu erhaltenen Aufschlüsse leiten auf andere Spuren. Der verborgene Eingang aus der Bibliothek in das Zimmer, wo Ottwald Hornburg krank lag, erklärt den Schatten, welchen der Mühlenpachter Caspar gegen Mitternacht sich gegen das Fenster bewegen sah. Genau um diese Zeit hatte, seinem eigenen freien Geständniß nach, Cesar Hornburg das Bibliothekzimmer betreten, angeblich, um Papiere daselbst zu suchen. Es ist erwiesen, daß Niemand von allen Bewohnern des Schlosses mit dem Geheimniß jener verborgenen Thür vertraut war. Auch Cesar Hornburg leugnet, dieselbe zu kennen. Dagegen mehren seine Anwesenheit in der Bibliothek zu der Nachtstunde, wo Caspar Licht in beiden Zimmern und den seltsamen Schatten beobachtete, ferner der gefundene Ring, welcher der Leiche fehlte, endlich das Papier mit dem Giftrest den Verdacht, er wisse um den Tod seines Halbbruders, und sei dabei schwer betheiligt. Auf Grund dieses Verdachtes hin befehle ich, Cesar Hornburg zu verhaften.“

Diese unerwartete Wendung der Verhandlungen hatte Niemand vermuthet. Hielten auch die Meisten, und vor allen die Gerichtsbeisitzer, die Angeklagte selbst für schuldlos, so setzte man bei derselben doch eine unbewußte Theilnahme voraus. Auch diese Annahme war nach den gemachten Funden kaum mehr haltbar. Indeß konnte dies erst durch die weitere Fortführung des Processes festgestellt werden.

Cesar Hornburg gab keinen Laut von sich, die giftigen Blicke aber, die er bald dem Präsidenten des Gerichtes, bald Caspar zuschleuderte, dessen Aussagen ihm offenbar ganz allein so verderblich geworden waren, ließen kaum einen Zweifel seiner Schuld zu. Finster folgte er dem Gefangenwärter. Er verließ den Gerichtssaal, ohne der Schwester, die im Verein mit Caspar der tief erschütterten Anna sich zuwendete, einen Blick oder Abschiedsgruß zu gönnen.



IX.

Noch am Abend desselben Tages eilten sämmtliche Gerichtspersonen nach dem Schlosse der Familie Hornburg. Die trauernde Cornelie und der Mühlenpachter Caspar befanden sich in ihrer Begleitung. Es handelte sich um die Feststellung der Aussagen des Pachters. Dazu eignete sich Tag und Wetter vortrefflich. Der Himmel war klar, der Vollmond stieg glänzend auf über den Berggipfeln. Ein silberner Duft lag über Thal, Bergstrom, Wald und Schloß, als die Reisenden vor dessen alterthümlicher Eingangspforte hielten. Es war gerade ein Jahr verflossen seit Ottwald Hornburg’s Tode.

Kurz vor Mitternacht führte Caspar die Fremden an den Mühlbach, und wies ihnen hier den Platz an, von dem aus er die Bewegung von Licht und Schatten im gegenüber liegenden Schlosse beobachtet hatte.

Alsbald blinkte ein flackernder Lichtschimmer in der Zimmerreihe des Neubaues auf; er irrte von Gemach zu Gemach. Dann verschwand er auf kurze Zeit, um gleich darauf das Eckzimmer im alten Schlosse, das die Bibliothek enthielt, matt zu erhellen. Ein ungestalter Schatten lief an dem hohen, dem Thale zugekehrten Fenster hin, das im hellen Mondscheine wie mit Silberfunken überstreut war. Jetzt erhellte sich auch das Nebenzimmer. Es

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_710.jpg&oldid=- (Version vom 26.3.2022)