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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

und war dann nicht wenig in Verlegenheit, was nun mit diesen Leuten anzufangen sei! So manche Berathung wurde darüber abgehalten. Der Eine wollte ein Exempel statuiren und sämmtliche Räuber köpfen, damit die Einwohner der Stadt aus Furcht alle geraubten Güter herausgeben sollten, der Andere rief besorgt: „Wenn sie sich es nur gefallen lassen,“ und nach vielem Hin- und Herreden wurde beschlossen, die Rädelsführer nach Zanzibar führen und dort als Bürgen zu behalten, damit in Zukunft die Kisweli’s sich nicht wieder ähnliche Freiheiten erlauben möchten.

Dieser Beschluß war kaum ruchbar in der Stadt geworden, als eines Tages plötzlich alle männliche Bevölkerung verschwunden war. Durch unsere schwarzen Diener erfuhren wir alsdann, die Kisweli’s haben in einer großen Berathung beschlossen, sämmtliche Weiße zu tödten, falls dieselben Miene machen würden, die Gefangenen aus L. zu entführen. Der Consul gerieth beim Anhören dieser Nachricht in eine eigenthümliche Aufregung, die sonderbar mit dem gewaltigen Muthe contrastirte, der wenige Stunden vorher durch seine Unterhaltung hindurchleuchtete.

Während dem wurden die Straßen L.’s immer belebter; die wieder zur Stadt gekommenen Kisweli’s standen gruppenweise umher, leise Gespräche mit ungemein vielen Gesticulationen führend, tiefschwarze Sclaven, nur mit einem Tuche schurzähnlich bekleidet und mit Pfeil und Spieß bewaffnet, erschienen, erst seit kurzer Zeit in L. angekommen, hierher (wie man leise erzählte) durch ihre Herren, die Kisweli’s, gerufen, die auf der nur eine Stunde entfernten Küste Afrika’s bedeutende Pflanzungen haben, die sie durch zahlreiche Sclaven bearbeiten lassen.

Zu dieser Zeit lagen ein deutscher und drei französische Kauffahrer im Hafen und der Consul rief von jedem Schiffe die halbe Besatzung an’s Land, ließ auch einige Kanonen auffahren, und diese Streitkräfte wurden dann in das Haus des französischen Agenten und in das meine vertheilt, so daß ein energisches Auftreten fest beschlossen schien. Unsere Häuser, steinerne, einstöckige Gebäude mit flachen Dächern, auf denen letzteren ein zweites Dach von Cocosblättern aufsteht, da das schlechte Kalkdach nie wasserdicht ist, wurden so viel als möglich befestigt, während im Innern alle Vorbereitungen zu einem Kampfe zu sehen waren. Da wurden Kugeln gegossen, Kardusen gefertigt, Flinten gereinigt, alte Schiffs-Enterschwerter geschliffen etc. etc., wobei deutsche und südfranzösische Gesänge weit in den krystallklaren Nachthimmel, durchwoben von Milliarden funkelnder Sterne, hinausschallten. Da bis Mitternacht die Stadt in gewöhnlicher Ruhe verblieb, wurden Wachen aufgestellt und die Uebrigen gingen zur Ruhe, nachdem vorher Lärmsignale bestimmt waren, um im Falle eines Angriffes uns gegenseitig zu warnen, was sehr gut ausführbar war, da das Haus des Agenten von dem meinen nur durch vier Strohhütten getrennt war. Kaum eine Stunde war vergangen, so erscholl der Grauenruf morto, morto! (Feuer!) und ohne noch das Feuer zu sehen, hörte man schon das Prasseln und Zischen brennender, trockener Cocosblätter. Ein schrecklich schöner Anblick bot sich mir dar, als ich auf dem Dache meines Hauses anlangte.

Die Kisweli’s hatten einige ihrer eigenen Strohhäuser angezündet, so daß der Wind das Feuer unsern Häusern zuführen sollte; plötzlich blies derselbe aber einige Stöße in anderer Richtung, als der berechneten, und im Nu stand fast die halbe Stadt in Flammen. Der ungemein brennbare Stoff, der das Material der meisten Hütten bildet, qab dem wüthenden Elemente die herrlichste Nahrung, so daß die hochauflodernden Flammen fast Tageshelle verbreiteten. Aber nicht lange blieb mir Zeit, das großartige Schauspiel zu betrachten, plötzlich loderte in meiner unmittelbaren Nachbarschaft eine zweite Feuergarbe gen Himmel empor, zischende Funken wie einen Feuerregen umher schleudernd. So schnell als möglich zertrümmerte ich mit Hülfe meiner Leute mein schon brennendes Strohdach, um dasselbe dann in die Straße hinab zu werfen, die einzige Art, um das darunter stehende Haus vor dem Zerplatzen und Auseinanderstürzen zu wahren. Der Platz um mein Haus füllte sich mit Tausenden von Kisweli’s, die mit schauderhaften Gesängen einen gräulichen Tanz begleiteten, zu dem die Flammen meines Hauses ihnen leuchteten. Eigene Empfindungen waren es, auf dem Dache mit dem Feuer zu ringen und unten diese teuflischen Gestalten zu sehen, die in einem grotesken Fechttanz sich vorzubereiten schienen, später noch viel grauenvollere Scenen aufzuführen. Endlich gelang es uns, das Strohdach, jetzt ein großer, brennender Trümmerhaufen, vom Hause zu lösen und hinab in die Straße zu stoßen, was uns wenigstens aus der Feuersgefahr rettete.

Gellendes Wuthgeschrei empfing unten diese Dachtrümmer; sicher hatten die Kisweli’s gehofft, sich durch das Feuer in Besitz meines Hauses zu setzen, was ihnen wieder ein reichliches Feld zu rauben und zu plündern geboten haben würde und sie für den Verlust einiger Hundert elender Strohhütten sehr schön entschädigt hätte. Reichlich gespendete Feuerbrände und Steinwürfe ließen es uns gerathen erscheinen, das Dach zu verlassen; als wir aber zeitweilig einige blinde Schüsse durch die Fenster abfeuerten, zog sich die Versammlung unten immer mehr zurück und das alsbald anbrechende Tageslicht zeigte uns die rauchenden Trümmer der Stadt, die jetzt wieder wie ausgestorben still dalag. Ganz ähnliche Scenen waren während der Nacht im Hause des französischen Agenten vor sich gegangen; auch hier hatte das Zertrümmern des Strohdaches das Steinhaus gerettet und diese beiden Häuser, das Fort und wenige Steinhäuser, hier und da in der Stadt zerstreut, waren die einzigen bewohnbaren Ueberreste von L. Bald begann überall wieder reges Leben, die Sclaven brachten grüne Dachgeflechte von Cocosblättern aus den Wäldern und in wenig Stunden war die Stadt durch die rege Arbeit vieler Tausend Sclaven neu aufgebaut. Die Erlebnisse der Nacht hatten entschiedenen Einfluß auf das Gemüth des Consuls gehabt; die fieberhafte Aufregung von gestern war einem fest ausgeprägten Schrecken gewichen und ruhelos lief er in der Stube auf und ab, als suche er den Weg, wo es sich am besten davonliefe. Während dieses Tages war geheimer Rath unter den Franzosen und das Resultat war wirklich glorreich! Es wurde eine große Ceremonie im Fort veranstaltet, die zwölf Alten der Stadt wurden dahin geladen, inmitten thronte der Consul und zu diesem kam, der Verabredung gemäß, der Capitain des verlorenen Schiffes und bat sehr gutherzig für die armen gefangenen Räuber um Gnade und Freiheit; dieselben seien durch die harte Gefangenschaft schon hinlänglich bestraft und er sei überzeugt, sie würden in einem ähnlichen Falle gewiß nicht wieder so unfreundlich sein, zu plündern.

Die alten Kisweli’s waren förmlich gerührt, als ihnen die Rede des Capitains übersetzt ward, und der Consul versicherte, auch sein Grimm habe sich gelegt und er wolle diesmal Gnade üben; als die Gefangenen befreit wurden und unten im Volke erschienen, da kannte der Jubel keine Grenzen. Freudengebrüll und Geschieße ohne Ende ertönte, Gesänge von französischer Großherzigkeit in der bilderreichen Sprache der Kisweli’s wurden improvisirt und der Heimweg des Consuls vom Fort nach dem Hause war ein Triumphzug, wie kaum die Geschichte einen ähnlichen wird liefern können. Um der Versöhnungsscene die Krone aufzusetzen, gebot der Consnuer ein großartiges Diner zu Ehren der zwölf alten Kisweli’s und als ewigen Erinnerungstag an die glorreiche Art und Weise, einer so brennenden Gefahr entlaufen zu sein. Das Diner fand statt; donnernde Salven begrüßten die afrikanischen Gäste, kurz vorher noch Räuber genannt, und unter unendlichen Höflichkeiten führte der Consul die schwarzbraunen Herren zur Tafel. Die Kisweli’s waren in ihre gewöhnliche Tracht gekleidet: langes, weißes Hemd, umgürtet mit einer gestickten Schärpe, die den krummen Dolch birgt, und auf dem kahl rasirten Schädel den griechischen Feß vom Tueban umwunden, der gewöhnlich Briefe und andere Papiere enthält. Die lange, auf dem Deck aufgeschlagene Tafel, umprangt von den Flaggen aller Nationen, wurde so besetzt, daß abwechselnd ein Weißer und ein Kisweli an derselben Platz nahm, wobei wir Weißen tüchtig zu thun hatten, unsere dunklen Tischgenossen essen zu machen, da der für sie fremde Gebrauch der Messer und Gabeln ewige Schwierigkeiten herbeiführte, und oft, ehe man Einhalt thun konnte, fuhr eine braune Hand in die Suppenschüssel, ein mit dem Messer nicht erwischtes Klößchen auf diese Weise sicherer zu fassen.

Mit diesem vielfältigen Genuß bietenden Feste endete im vorigen Jahre ein Kriegszug an der afrikanischen Küste, der trotz der schönen Aussichten, die sich im Anfang boten, statt Orden doch nur Brand- und andere Flecken auf schöner Uniform zurückließ.

Des andern Morgens segelte der Consul mit seinem Kriegsschiffe zurück nach Zanzibar, uns Andere unserem fernern Schicksale allein überlassend.



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