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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

erwartet. Und da er Mittel und Macht hatte, bequem zu Wasser oder in Palanquins oder Tragsänften zu reisen, wurden die Lieben vor Beginn der jährlichen Sündfluthen bestimmt und sicher erwartet. Inzwischen erweiterte sich die Bestellung bei mir zu der Aufgabe, die ganze Jackson’sche Familie mit den lieben Zwillings-Kindeskindern als große Gruppe zu malen, für welche der Moment der Ankunft der dramatischste und geeignetste sein werde. Ich mußte deshalb, um die Ankunftsscene zu sehen, im Jackson’schen Hause wohnen. Aber der Moment der erwarteten Ankunft ging vorüber, ohne daß Gäste in ihren Palanquins entdeckt wurden, Gegen Abend begann es zu sündfluthen und zu donnern und blitzen, wie das nur in Indien möglich ist. Noch keine Ankunft. Die Vorbereitungen waren luxuriös und prächtig, aber die Jackson’s trösteten sich während des furchtbarsten Gewittersturmes, daß ihre Lieben unterwegs in einem alten indischen Grab-Monumente oder einer Ruine Schutz gefunden haben und etwas später kommen würden. So wurde es Nacht und Mondschein am aufgeklärten Himmel. Ich zog mich in meine Privatzimmer zurück, die mir angewiesen waren, da ich während der ganzen Zeit, welche zur Vollendung der Familiengruppe gehören würde, an Ort und Stelle bleiben sollte. Mein Atelier und meine Schlafstube lagen neben einander in einem Ballsaale, in einem Gartenflügel des Gebäudes. Die früheren Bewohner hatten Bälle gegeben, aber die Jackson’s, hoch, reservirt und ruhig, gaben keine Bälle und hatten deshalb den Saal durch indische Matten-Tapeten zu mehreren Zimmern zertheilt. Zwei davon gehörten mir, ein drittes, für das kühlste gehalten, neben den meinigen, war zur Schlafstube für die angebeteten Zwillinge bestimmt worden. Diese Wände von Matten sind sehr hübsch, sehr billig, aber auch sehr scharföhrig. Man hört jeden Laut im Zimmer daneben und kann leicht durch kleine Ritzen, die sich in ziemlicher Menge bilden, wenn das Geflecht trocken wird, zum Nachbar hineinsehen. Ich stand an diesem Abende, als die Gäste erwartet wurden, dicht neben einer solchen geritzten Wand, Farben reibend. Es war Alles still um mich, mäuschenstill, so daß ich, einhaltend, plötzlich das seltsamste Gezisch odes Gewisper oder beides aus dem Nebenzimmer vernahm. Ich bin in Frankreich geboren und da gab’s eine Ritze in der Wand dicht vor meinen Augen, daraus folgt, daß ich hindurchsah. Und was? Niemanden als Silliya ganz allein, durch und durch naß, als ob sie eben durch das offene Fenster hereingeschlüpft wäre, mit einem Körbchen voll Gras, aus welchem sie sorgfältig einen grünen Ball herauswickelte und ihn bedächtig unter das weiße Kissen des Zwillingsbettes drückte. Was das für eine häusliche Vorsorge sein könnte, die sie so verstohlen und schweigsam zu treffen für gut befand, konnte ich um so weniger begreifen, als sie sich nun sofort leise, wie ein Schatten, und geschwind, wie ein im Fluge hereinscheinender Strahl, wieder zum Fenster hinausschwang. Es regnete wieder draußen und die Gäste kamen nicht. Die Jackson’s trösteten sich, daß ihre Lieben irgendwo unterwegs eingekehrt seien, und gingen zu Bett. Aber die trockene Jahreszeit macht nicht nur Ritzen in Matten-Wände, sondern auch in Dächer. Just über meinem Bette hatte der Sommer ein Loch für den gießenden Winter in’s Dach gesprengt und Bett und Zimmer bis zur Unbewohnlichkeit eingeweicht. Mrs. Jackson, davon unterrichtet, hatte mir für die Nacht einstweilen die Zwillingskinderstube angewiesen. In ihr saß ich, als schon Alles zu Bett und ruhig war, und ich meine Schlaflosigkeit durch Briefschreiben auszufüllen suchte. Ein leises Geräusch neben mir erschreckte mich. Vor mir stand Silliya aufrecht und ruhig. Mit fester, klarer Stimme sagte sie: „Sahib, in Ihrem Bett muß sich eine Cobra versteckt haben. Ich roch sie, als ich hier vorbei ging. Meine Familie versteht die Schlangenbeschwörungskunst. Was geben Sie mir, wenn ich sie herausnehme?“

„Wie kam sie in mein Bett?“ frug ich, ohne aufzusehen und mit der Miene, als ob ich weiter schriebe, obgleich meine Feder Cobra-Windungen machte; denn ich dachte an den grünen Ball und die Vision, die ich vorher durch die Wandritzc gesehen hatte. Ich wußte, daß diese Cobra’s zu den giftigsten Schlangen gehören, dachte mir aber auch, daß sie nicht nur zum Unterkopfkissen bestimmt worden sein möchte.

„Ich weiß nicht,“ antwortete Silliya ganz unschuldig, und damit stand mein Entschluß fest, obwohl nicht der besten Politik entnommen.

„Ich gebe Ihnen eine halbe Rupie,“ sagte ich, und Silliya trat mit einem beifälligem Kopfnicken sofort an’s Bett, nahm den grünen Ball, noch ganz so zusammengewickelt, wie vorher, ohne Hast und Furcht mit den Händen in ihre Schürze und gleitete ruhig hinaus in den Garten.

Nach einer halben Stunde war sie wieder da.

„Nun Sahib,“ sagte sie, „ist die Cobra wieder zu Hause bei ihren Freundinnen und hat versprochen, sich nie wieder Ihrem Bette zu nähern.“

„Sehr wohl, Silli,“ antwortete ich, indem ich zwischen sie und die Thür trat. „Ich habe Ihnen eine halbe Rupie versprochen. Ich will sie Ihnen geben, wenn Sie mir sagen, warum Sie selbst diese giftigste Schlange in das für unschuldige Kinder bestimmte Bett versteckten? Ich verspreche Ihnen auch, der Familie hier nichts eher zu sagen, als bis Sie zwei Tage sicher aus dem Hause sind. Wo nicht, mach’ ich diesen Augenblick Lärm und erzähle Alles.“

Sie sah sich blitzschnell um, und da sie merkte, daß ich auf ihren Fluchtversuch vorbereitet sei, ergab sie sich mit dem fixen, steinernen Gesicht jener Morgenländer in ihr Schicksal und antwortete in der ruhigsten, sichersten Weise:

„Sahib, die Schlange verbarg ich dort, damit sie die geliebtesten Schätze dieser Familie, die Kinder des Richters von Calcutta, tödte. Meine Mutter schickte mir diese Schlange, damit ich Rache nähme an dieser Familie für alle Schmach, die sie der meinigen angethan. Ihnen gesteh ich gern Alles, denn Sie kommen nicht von England. Mein Vater war ein Brahmine und ein Semindar (Grundbesitzer), der seine Ländereien von unserm alten Nachbar Gußruu in allem Recht erbte, aber Sahib Lester, Richter in Calcutta, nahm ihm alle diese Güter, blos mit der Behauptung, daß diese Güter der Compagnie gehören.

Unter uns Brahminen war es stets Sitte, nur eine Tochter zu erziehen[1], um sie hernach, unserer Kaste gemäß, mit glänzenden Festlichleiten zu verheirathen. Aber Sahib Jackson erschreckte die Unserigen so durch sein Gesetz, daß alle Mädchen aufwuchsen. Als meines Vaters Seele geschieden war, entschloß sich meine Mutter unserer alten, heiligen Sitte gemäß zum Suttie, damit unsere Familie Ehre habe auf Erden und jenseits; aber ein predigender Jackson erschreckte sie so, als der Scheiterhaufen schon fertig war, daß sie das Leben vorzog. Nun sehen Sie, was diese weißen Schweine, die Alles essen, für Schande auf mein Volk und meinen Stand gebracht haben. Mein Vater verlor durch den Verlust seines Landes die Mittel zu den Opfern und so auch seine Würde in den Tempeln. Ohne Erbtheil wurden meine Brüder genöthigt, unter ihren Stand zu sinken und Stellungen unter diesen Schweinen anzunehmen. Für uns fünf Schwestern waren auch keine Hochzeitsfeste und Mitgaben möglich, weshalb sie sich alle in niedere Kasten verheirathen mußten, und ich bin eine Pariah, trinkend aus gemeinen Gefäßen und einhergehend mit unverschleiertem Gesicht. Meine Mutter war so verachtet unter ihren Nachbaren und in den heiligen Plätzen, daß sie nicht mehr leben mochte und sich in den Dschumna stürzte, sich opfernd der Göttin Durga, welche selbst Befleckte nicht verstößt. Durch die Gunst dieser Göttin hat sie die Wandelung in eine Schlange erreicht. Mutter sandte mir diese Cobra, daß ich meine Familie räche an diesen Lesters und Jackson’s, die nichts als Rupien anbeten und nichts Göttliches. – Nun Sahib, meine halbe Rupie, denn ich habe die Cobra weggenommen und die Wahrheit gesprochen.“ –

Sie nahm ihr Geld und gleitete ruhig von dannen. Am Morgen war sie verschwunden und aller Nachforschungen ungeachtet nie wieder zu entdecken.

Ein Freund, dem ich vor Verlauf der zwei versprochenen Tage von diesem Ereigniß erzählte, warnte mich ernstlich, den Jackson’s etwas davon zu sagen; sie würden’s nicht glauben, Verdacht gegen mich hegen, da ich durch Wandritzen geguckt und die Sache nicht augenblicklich anzeigt habe etc. Ich solle nur einen anonymen Brief mit verstellter Handschrift an die Jackson’s senden und darin die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_723.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2022)
  1. Die anderen werden in der Geburt umgebracht, eine „Sitte“, der die Engländer recht- und pflichtmäßig mit aller Strenge entgegentraten, aber ohne sittliche Motive und Erfolge, da sie in anderer Weise stets auf das Großartigste raubten, plünderten und erbschlichen. Vergleiche die Geschichte der ersten Eroberer Indiens, Lord Clive’s und Warren Hastings’, von Macaulay (übersetzt), und die Geschichte Indiens von Harriet Martineau.