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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Beobachtung, auch nicht einen Blick des Einverständnisses wahrgenommen; sie hatten sich Beide zu einander benommen, wie sehr gute Bekannte und nicht mehr. Was war also hier eigentlich das Tadelnswerthe? Wie sollte er beginnen?

Bernhardine riß ihn aus dieser Verlegenheit; sie sprach zuerst.

„Arthur, zwischen uns ist etwas nicht recht!“ sagte sie, zwar rasch, aber doch mit etwas zitternder Stimme.

„So ist es, Bernhardine.“

„Bist Du unzufrieden mit mir?“ und ihre Hand fuhr sanft an seiner Wange herab.

„Ja wohl, und nur mit Dir!“

„Warum siehst Du mich nicht an, während Du das sagst?“ sagte sie und schmiegte sich noch inniger an ihn an.

Er wendete sein Auge auf sie. Ihre Augen sprachen nur Liebe und ihr ganzes Wesen kindliche Hingebung. Sein Herz vermochte nicht die eifersüchtigen Einbildungen festzuhalten; diese zerflossen wie fieberische Träume beim Erwachen. Er nahm ihre Hand in die seinige und blickte fixirend und liebend, aber auch traurig in ihre Augen.

„So schön und so falsch!“ sagte er halblaut. „Kann sie denn wirklich treulos sein mit Augen so voll von Liebe und Unschuld? Und doch! – hat mich meine Mutter belogen?“

„Warum sprichst Du so leise, Arthur? Ich verstehe Dich nicht. Sage mir offen, was ist es, das Dein Herz beschwert? Was hast Du gegen mich? Was es auch sei, sag’ es frei heraus und ich will Dir antworten aus vollem Herzen, wie ich es stets gethan. Ich habe Dich nie betrogen, nie getäuscht, Arthur; und heute bin ich noch weniger geneigt, den Weg der Falschheit und der Heuchelei einzuschlagen,“

„So lies das. Ich kann Dir nichts weiter sagen.“ Mit diesen Worten legte Arthur die Briefe seiner Mutter in Bernhardinens Hand.

Bernhardine las sie durch, und deren waren eine gute Anzahl. Ihre Farbe wurde immer blässer, ihre Augen immer finsterer, aber sie las sie durch, ohne ein Wort zu sagen. Mit derselben natürlichen Stille gab sie ihm dieselben zurück, blieb noch einen Augenblick sitzen, stand dann auf und sagte:

„Arthur, Du mußt mit mir zu Deiner Mutter kommen und Dein Cousin wie Fräulein Waldheim müssen ebenfalls dabei sein.“

„Unsinn, Bernhardine,“ sagte Arthur, der von Natur einen Abscheu vor Demonstrationen hatte. „Ich will keine thörichten Scenen, die man hernach rundumher zum Gegenstande des Gespräches macht. Was wir zu thun haben, muß mit Ruhe gethan werden und zwischen uns allein. Alphons und Fräulein Waldheim! wozu diese! Ich will nichts hören von dieser Thorheit.“

„Ich bestehe darauf!“ rief Bernhardine mit tiefer und entschiedener Stimme.

„Ich bestehe darauf? Bernhardine, das ist eine sonderbare prache von Dir zu mir!“

„Die Veranlassung ist sonderbar, Arthur. Ach,“ fügte sie bitter hinzu, „und auch Du hängst an dem alten blinden Vorurtheile. Weil ich anspruchslos bin und nicht rücksichtslos, wenigstens in meinem täglichen Leben, und, ich gestehe es, von Natur timid und leicht eingeschüchtert, so meint ihr, ich ließe mir Alles gefallen, hätte keine Selbstachtung und keine Festigkeit. Wenn Du Dich in diesem Irrthume befindest, so sollst Du heute Dich von dem Gegentheile überführen. Komm, diese Angelegenheit leidet keinen Aufschub.“

„Aber, Bernhardine –“

„Bist Du mit Deiner Mutter im Bunde, um meinen guten Ruf zu untergraben?“ sagte Bernhardine, während ihre Lippen bebten und ihre Augen fast Feuer sprühten. Arthur nahm die Hand, welche sie auf seinen Arm gelegt hatte, weg und schritt finstern Blickes an ihrer Seite dem Hause zu.

An der Hausthüre trafen sie mit Fräulein Waldheim zusammen, welche eben angekommen war, um Bernhardinen und Alphons auf ein benachbartes Gut zu begleiten. Alphons hatte das Fräulein vom Pferde gehoben und stand an dessen Seite.

„Ach, Sie sind noch nicht bereit,“ rief die Waldheim Bernhardinen zu. „Ah, Herr Alster! Wann sind Sie angekommen?“

„Diesen Morgen,“ erwiderte dieser in mürrischem Tone.

Fräulein Waldheim, betroffen von diesem Tone und Benehmen, nahm ihr Augenglas und beäugelte ihn und Bernhardinen mit jener affectirten und unverschämten Weise, die ganz geeignet ist, eben nicht phlegmatische Personen ärgerlich zu machen.

„Ich sehe, Sie haben einen Familienhandel abzumachen,“ sagte sie hierauf. „Ich bin im Wege.“

„Nein, ich bitte, Fräulein Waldheim,“ rief rasch Bernhardine. „Sie sind nothwendig hier und auch Sie, Cousin Alphons.“

Fräulein Waldheim bewegte kaum wahrnehmbar ihre Augenbrauen und verbeugte sich leicht. Cousin Alphons warf seinen Kopf nach hinten, strich seinen Schnurrbart, zeigte seine weißen Zähne und lachte recht lustig, aber doch nicht ganz mit dem Selbstvertrauen und der Heiterkeit wie gewöhnlich. Hierauf begaben sich Alle in das Wohnzimmer der Madame Alster. Bei ihrem Eintritt wußte diese auch schon, was da kommen sollte. Sie sah blaß aus und ihr Blick war noch härter und finsterer, denn sonst. Gewohnt, durch das erschreckende Feuer ihrer Augen Bernhardinen beben zu machen, that sie auch jetzt so. Doch diese hatten auf einmal ihre Macht verloren; ruhig, ja mit einem Anflug von Verachtung erwiderte sie der Gegnerin Blick. Madame Alster erkannte, daß das Scepter ihrer Macht ihrer Hand entfiel.

„Was soll das bedeuten, junge Frau?“ fragte sie. „Was soll das lächerliche Air, das Sie sich heute zu geben belieben? Können Sie diese Komödie erklären, Fräulein Waldheim?“

„Gewiß nicht,“ erwiderte diese, indem sie ihr Reitkleid zusammenschürzte, sich voll Grazie auf das Sopha setzte, ihr Augenglas ergriff und auf die Anwesenden blickte, als ob diese die chauspieler und sie das Publicum des Theaters wäre.

„Das heißt,“ begann Bernhardine mit vor Aufregung bebender Stimme, „Sie haben an meinen Mann über mich Dinge geschrieben, welche vor allen hier gegenwärtigen Personen aufgeklärt werden müssen; zwei von Ihnen werden Zeugniß abzulegen haben.“

„Guter Himmel, Arthur, wie kannst Du es dulden, daß diese niedrig denkende junge Person Dich herabsetze, Dich einen Mann von Ehre in Gemeinschaft bringen lassen mit so Gemeinem und Unverständigem!“ sagte Madame Alster ärgerlich. „Gab es jemals ein so schlecht erzogenes Mädchen, das stets bereit ist, Scandal zu machen?“ fügte sie hinzu, als ob sie zu sich selbst redete.

„Lassen Sie die Frage über Gemeinheit hübsch unberührt,“ sagte Bernhardine in einem Tone, den Madame Alster noch nie von ihr gehört hatte, im Tone des Befehls. „Lassen Sie die Frage über Gemeinheit hübsch unberührt und gehen wir über zur Frage nach der Wahrheit. Ich will sprechen,“ fuhr sie fort, ihre Hand zu Madame Alster erhebend, welche sie unterbrechen wollte. „Ich habe ein Recht dazu und ich will und werde es gebrauchen.“

„Auf mein Wort, das ist ein Naturphänomen,“ schnarrte Madame Alster und fixirte, so scharf es ihr möglich war, Bernhardinen. Doch diese war viel zu sehr aufgeregt, um auch nur ihre Blicke zu beachten. Sind aber einmal timide Personen in diesem Seelenzustande, so sind sie gewöhnlich rücksichtsloser und unbedachtsamer wegen der etwaigen Folgen, als Leute, die von Natur Herzhaftigkeit und Zuversicht besitzen; so war es mit Bernhardinen; ihre bisher verborgen gewesene Willenskraft war auf einmal zu solcher Entschlossenheit erweckt und erregt worden, daß sie der trotzigsten Opposition der Madame Alster glücklich zu widerstehen vermochte.

„Sie schrieben diese Briefe,“ fuhr Bernhardine fort und wies mit ihrem Finger auf ein Paquet, das Arthur in feiner Hand hielt. „Da Sie darin von Fräulein Waldheim und Cousin Alphons gesprochen haben, so wünsche ich, daß diese Arthurn die Geschichten, deren Sie erwähnen, nach ihrer Weise vortragen. Fräulein Waldheim,“ fuhr sie fort, sich zu dieser wendend, „haben Sie jemals mir Vorwürfe gemacht über meine unschickliche Familiarität mit Cousin Alphons?“ Und nun las sie aus dem Briefe die betreffende Stelle laut vor.

„Ich kann mich nicht erinnern, über so etwas jemals gesprochen zu haben,“ erwiderte das Fräulein bedachtsam, und wischte ihr Augenglas. „Aber das habe ich allerdings zu Madame Alster erwähnt, daß ich es nicht für schicklich hielte, daß Sie so viel mit Ihrem Cousin ausritten, und um Ihnen die Wahrheit zu sagen, schloß ich mich in letzter Zeit geflissentlich Ihren Ausflügen an, um Sie vor dem Gerede der Leute zu bewahren. Ich dachte, Sie seien mit unsern Gebräuchen nicht bekannt, und konnte auch Ihre Mutter nicht begreifen, wie sie Sie ohne Warnung lassen mochte.“ Alles das sagte das Fräulein in einer Weise, wie sie etwa über ein neues Kleid oder über die Stimme einer Sängerin gesprochen hätte.

„Madame Alster,“ rief Bernhardine, und wendete sich mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_018.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)