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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

fühlen, daß in ihrem Innern etwas erwacht und thätig war, das neue Versuche, sie zu unterdrücken, unmöglich machte. Es ist zweifelhaft, ob Arthur sie jetzt so liebte, wie damals, als sie noch furchtsam und unterwürfig war; aber er achtete sie mehr und behandelte sie mit größerer Rücksicht. Er war der treue Sohn seiner Mutter und erbte ihre Natur und ihr Temperament, wenn es auch in milderer und veränderter Form auftrat, so daß es keinem Zweifel unterworfen blieb, Bernhardine würde, hätte sie sich nicht, wie gezeigt worden ist, geändert, von ihm ebenso niedergehalten worden sein, wie es seine Mutter gleich anfangs gethan hatte. Jetzt ist Alles in bester Ordnung. Madame Alster steht nie an, zu bekennen, sie habe sich in Bernhardine geirrt, und Arthur hat nie mehr Anfälle von Eifersucht, trotzdem Cousin Alphons sehr häufig in Distelfeld sich aufhält und seine Frau lachen macht, daß die Thränen von den Wangen herubterrollen; denn er – Alphons nämlich – ist der glückliche Gatte des Fräulein Waldheim.




 Des Pfalzgrafen Buhle.

„Hier, setzen wir uns auf den Baumstumpf nieder,
„Die Beere ladet gastlich uns zum Mahl,
„Und meine alten frostdurchbebten Glieder
„Erwärmen sich am milden Sonnenstrahl;
„In einem Winkel auf dem Stroh geboren,
„Vom Licht gemieden, von dem Glück gefloh’n,
„Ein Leben lang gehungert und gefroren,
„Bettl’ ich als Greis mit meines Sohnes Sohn,
„Ich bin am Ziel, Du wirst mich bald verlieren –
„Und einsam weiter hungern, weiter frieren.

„Dein Vater war ein trotziger Geselle,
„Da Deine Mutter Dich gebar im Schnee,
„Schoß einen Hasen er, in seinem Felle
„Wollt’ er Dich bergen vor des Winters Weh’ –
„Der Pfalzgraf mußte just im Forst sich laben,
„Der ließ ihn schmieden auf den stärksten Hirsch,
„Und hussah! hollah! über Busch und Graben,
„Es war, bei’m Himmel! eine lust’ge Birsch!
„Ich scharrt’ ihn ein, nicht durft’ ich ihn beklagen –
„Was wollt’ er auch des Grafen Hasen jagen!

„Und Deine Mutter spann ein köstlich Linnen,
„Es nahm der Graf sie in der Mägde Troß;
„Der frühe Morgen traf sie schon beim Spinnen,
„Die späte Nacht noch nicht ihr Auge schloß;
„Wie eine Blume ohne Sonne schwindet,
„So siechte sie in dumpfer Kammer hin,
„Zu rechter Zeit – sie war ja fast erblindet
„Und fortgejagt, die faule Bettlerin,
„Mit ihrem Blute näßte sie die Spule –
„In ihrem Linnen prangt des Grafen Buhle.

„Ein Kind noch hatt’ ich – meine Thränen thauen –
„Von meinem Weibe sterbend mir geschenkt,
„Könnt’ ich die Tochter einmal nur noch schauen,
„Eh’ man zur Mutter mich hinuntersenkt!
„Der Sonnenstrahl, der auf dem Blatt sich schaukelt,
„Das rothe Wölkchen, das am Himmel zieht,
„Der Falter, der die Rose dort umgaukelt:
„So schön ist nichts, was auch Dein Auge sieht –
„Nach dürrem Laube schickt’ ich einst die Kleine,
„Die seither als verloren ich beweine.“

Der Greis verstummt, auf’s Herz die Hände preßt’ er,
Es ballt der Enkel still die kleine Faust –
Da plötzlich horcht’ er, zittert, schmiegt sich fester:
Auf Rosseshufen kommt’s von fern gesaust,
Wie jähe Pfeile von der Sehne schnellen,
So stürmt’s einher, daß bang’ die Erde dröhnt,
Ein muthig Wiehern, einer Dogge Bellen,
Die Blätter rascheln, und der Grashalm stöhnt:
Ein stolzes Paar sprengt an auf hohen Rossen,
Es hält der Schreck des Knaben Mund geschlossen.

Voran auf schwarzem Roß ein schwarzer Reiter
Mit wildem Bart und buschig finstern Brau’n,
Wohl blickte nimmer dieses Auge heiter,
Und wo es blickt, wach ruft es Schreck und Grau’n;
Der Pfalzgraf ist’s, er denkt im Forst zu jagen,
Zurück ließ er die Meute und den Troß,
Mit seiner Buhle seitwärts sich zu schlagen,
Die seines Waidwerks einziger Genoß;
Jetzt sieht die Bettler er – mit wildem Grimme
Hebt er den Arm zum Schlag, zum Fluch die Stimme.

Da drängt die Maid, die seitwärts ihm geritten,
Den weißen Zelter zwischen sie voll Hast,
Des Grafen Zorn weicht ihren stummen Bitten,
Sie wehrt dem Hund, der nach dem Knaben faßt –
Der Sonnenstrahl, der auf dem Blatt sich schaukelt,
Das rothe Wölkchen, das am Himmel zieht,
Der Falter, der die Rose dort umgaukelt:
So schön ist nichts, was auch sein Auge sieht –
Die Hände faltet er und steht geblendet:
Es ward ein Engel ihrer Noth gesendet.

Sie aber schaut hernieder auf den Alten,
Ihr Busen wogt, ihr Auge blickt verwirrt,
Als wolle fest sie ein Erinnern halten,
Das dunkel jetzt durch ihre Seele irrt,
Sie sucht und forscht, ob sich der Faden findet,
Daran sich weiter das Gewebe spinnt,
Es ist umsonst, das flücht’ge Bild entschwindet,
Der Zelter scharrt, des Herrn Geduld verrinnt,
Ein tiefer Seufzer – Alles ist beendet,
Den schweren Beutel sie dem Bettler spendet.

Der wacht jetzt auf aus seinem dumpfen Brüten,
Gebeugt stand er, das schwere Haupt gesenkt,
Wohl mußte sorglich er sein Auge hüten,
Daß nicht voll Haß es sich zum Grafen lenkt,
Er blickt sie an, und sprengt sie auch von hinnen,
Der eine Blick macht Alles schnell ihm klar.
Er bricht zusammen, seine Thränen rinnen,
Und jammernd rauft er sich das weiße Haar:
„O, wehe mir! Der Alles mir genommen,
„Hat meinen Schatz in seine Hand bekommen!


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_020.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2018)