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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Die Erkältung und ihre Folgen.

Hast Du Dich erkältet?“ so fragt man Dich, – „jedenfalls habe ich mich erkältet!“ so sagst Du, wenn Deine Gesundheit irgend wie gestört ist. Huste oder niese, leide an Brechen oder Durchfall, am kalten oder hitzigen Fieber, friere oder schwitze, habe Schmerzen im Kopfe, im Kreuze oder in den Beinen, klage über Sausen vor den Ohren oder über Flimmern vor den Augen, immer mußt Du Dich erkältet haben. – Wacht Einer, der in kalter Nacht aus der Bier- oder Weinstube etwas angesäuselt nach Hause ging, am andern Morgen mit Kopfweh oder Uebelsein auf, so will er sich an einer zugigen Straßenecke erkältet haben. – Wird Jemand, dessen Mund voll von hohlen Zähnen und Zahnwurzeln ist, von Zahnschmerzen heimgesucht, so tauft er diese Schmerzen Zahnreißen und schreibt sie einer Erkältung zu. – Tanzt ein bleiches, festeingeschnürtes, wespentailliges Fräulein wie rasend die ganze Nacht hindurch und hustet am nächsten Tage Blut, so behauptet sie, sich in der Garderobe verkühlt zu haben. – Wollen bei einem jungen Wüstling die Beine nicht mehr recht fort, so muß gewöhnlich eine Erkältung in Folge langen Stehens in der Kälte die Schuld davon tragen. – Kurz! welche Beschwerden und Krankheiten rührten, nach der Ansicht der Laien und Aerzte, nicht von Erkältung her?

Was ist denn nun diese Erkältung oder Verkühlung, welche eine so große Rolle unter den Krankheits-Ursachen spielt? Es ist eine die mannichfachsten Beschwerden (rein örtlicher oder allgemeiner Natur) nach sich ziehende, plötzliche oder dauernde Einwirkung der Kälte auf die Haut, und zwar entweder auf die Haut des ganzen Körpers oder nur einzelner Körpertheile. – Die äußere Haut ist also zunächst das Organ, welches erkältet. Eine solche Abkühlung bringt nun aber um so mehr Nachtheil, je bedeutender der Wärmeunterschied und je plötzlicher der Temperaturwechsel, je mehr die Haut erhitzt war und schwitzte, und je empfindlicher dieselbe ist.

Wollen wir also die nachtheilige Wirkung der Kälte auf die Haut, soweit dies zur Zeit möglich ist, erklären, dann müssen wir uns zuvörderst des Baues und der Thätigkeit dieses Organs erinnern (s. Gartenl. 1854. Nr. 44 und Nr. 46.). Vor Allem ist festzuhalten, daß die Haut sehr reich an Blutgefäßen ist, und daß hier das durch diese Gefäße rinnende Blut eine Menge schlechter Bestandtheile, als Hautausdünstung und Schweiß, von sich wirft, demnach sich auf diese Weise reinigt. Werden diese schlechten Blutstoffe im Blute zurückgehalten, so muß sich dieses natürlich verschlechtern. Durch die Erkältung, vorzüglich aber durch eine länger dauernde, wird nun die Schweißabsonderung gestört und gehemmt, also das Blut verschlechtert. Leider existiren zur Zeit noch keine befriedigenden chemischen Untersuchungen eines solchen schlechten Blutes. Es scheint anfangs röther und gerinnbarer (faserstoffreicher), später dunkler und dünnflüssiger (venös) zu werden. Man schreibt dieser Blutverschlechterung (Schweißdyskrasie) die Entstehung der Rheumatismen zu. Dafür spricht allerdings das gleichzeitige oder successive Vorkommen rheumatischer Krankheitsproducte an verschiedenen Stellen des Körpers, die Aehnlichkeit des Verlaufes mit andern Blutentartungen, wie mit der Gicht (Verschlechterung des Blutes durch Harnsäure), sowie mit den Muskel- und Gelenkleiden bei Verschlechterung des Blutes durch Jauche (Pyämie) und metallische Gifte, der reichliche saure Schweiß und Harn, und das nachfolgende üble Aussehen des ganzen Körpers.

Bei dem großen Gefäß- und Blutreichthum der Haut kann nun aber eine Erkältung auch insofern schädlich wirken, als die Adern durch die Kälte zusammengezogen werden (weshalb die Haut kühl und blaß wird) und so das am Einströmen in die Hautgefäße verhinderte Blut sich in andern innern Organen anhäuft, hier aber zur Entzündung und Blutung Veranlassung gibt. Die so häufig bald nach starken Erkältungen, zumal der erhitzten Haut, auftretenden Entzündungen (des Herzens, des Herzbeutels, der Lungen und Lungenfelle u. s. w.) und die sogenannten acuten Rheumatismen (besonders der Gelenke, Muskeln und Knochenhaut), sowie auch die Katarrhe, dürften ihren Ursprung wohl mehr dieser Blutanhäufung als jener Blutverschlechterung verdanken. Doch läßt sich dies nur vermuthen.

Es ist die Haut nun aber nicht blos sehr reich an Blutgefäßen und Blut, sondern sie besitzt auch einen sehr großen Reichthum an Nerven und zwar an Empfindungsnerven, welche sich entweder unmittelbar oder mittelbar, durch Nervenknoten, und das Rückenmark, in das Gefühls- und Bewußtseinsorgan, nämlich in das Gehirn, einsenken. Da nun ein Nervengesetz (d. i. das Gesetz der Ueberstrahlung, des Reflexes, der Sympathie oder der Synergie) existirt, nach welchem ein gereizter Empfindungsnerv seine Reizung innerhalb der Nervenmittelpunkte (des Gehirns, Rückenmarks und der Nervenknoten) auch auf andere, besonders benachbarte Nerven und Nervengruppen, zumal auf solche Nerven, welche Bewegungen veranlassen (d. s. Bewegungsnerven), übertragen und diese zum Thätigsein anregen kann, so ist es nicht unmöglich, daß eine Erkältung auch mit Hülfe dieses Nervenreflexes krankhafte Erscheinungen nach sich zieht. – Durch eine solche Ueberstrahlung läßt sich z. B. auch erklären, wie bei plötzlicher Einwirkung von Kälte auf die Haut starkes Herzklopfen, beklommenes und seufzendes Athmen, Drang zum Uriniren u. s. w. eintritt. Ja man hat auf diesem Wege schon oft Starrkrampf in Folge der Einwirkung kalten Wassers auf die Haut entstehen sehen.

Nach dem Gesagten lassen sich also drei Wege denken, auf welchen eine Erkältung der Haut schädlich wirkt: durch Verschlechterung des Blutes in Folge der Unterdrückung der Hautausdünstung und des Schweißes, durch Störungen im Blutumlaufe und durch den Nervenreflex. Es dürfte übrigens wohl in wenig Fällen von Erkältungskrankheiten möglich sein, anzugeben, wie die Erkältung gerade gewirkt hat. Vielleicht geschieht dies gleichzeitig auf verschiedene Art. – Die Blutverschlechterung kommt wahrscheinlich durch eine andauernde, langsam wirkende (chronische) Erkältung zu Stande, wie dies bei allzu leichter Bekleidung und zu dünner nächtlicher Bedeckung, bei dauerndem Aufenthalte in kalten, feuchten, nach Norden gelegenen, kellerartigen Wohnungen, bei kaltem Fußboden und längerem Arbeiten in feuchter Kälte u. s. w. der Fall ist. – Die Störung im Blutumlaufe verdankt dagegen ihr Entstehen wohl mehr einer schnell erzeugten (acuten) Erkältung, wie durch Zugluft, zumal bei schwitzender Haut. – Am meisten zur nachtheiligen Erkältung geneigt sind: die Füße (zumal schwitzende), die Achselhöhlen, der Rücken und der Bauch. Zugige Abtritte sind gar nicht selten Ursache von Unterleibsleiden, vorzüglich beim weiblichen Geschlechte. Und wie viele kleine Kinder starben nicht schon am Brechdurchfalle, welcher durch Erkältung des warmen Bauches hervorgerufen wurde. Von den vielen Katarrhen nach kalten nassen Füßen will ich gar nicht sprechen. Deshalb lobe und preise ich aber auch die wollenen Strümpfe und das Jäckchen auf dem bloßen Körper, und lache über die Abhärtungsfanatiker mit ihren öfteren Katarrhen und Rheumatismen. Doch soll damit ja nicht etwa gesagt sein, daß die Jugend schon verzärtelt werden und daß man seine Haut nicht allmählich gegen äußere Kälte unempfindlicher machen solle.

Die Erfahrung hat nun gelehrt, daß nicht nur verschiedene Personen eine sehr verschiedene Empfänglichkeit für Erkältungskrankheiten besitzen, sondern daß auch ein und dieselbe Person zu verschiedenen Zeiten oder unter sonst verschiedenen Verhältnissen in nicht minder verschiedener Weise, bald mehr bald weniger den nachteiligen Folgen der Erkältung ausgesetzt ist. Die Erfahrung lehrt aber auch ferner, daß es in verschiedenen Personen bald das eine bald das andere Organ ist, das durch eine und dieselbe Erkältungsursache krankhaft ergriffen wird, daß bei dem Einen Schnupfen, böser Hals, Lungenkatarrh (Husten) u. s. f. entsteht, während der Andere vom Durchfall und andern Verdauungsstörungen befallen wird. Alle diese Verschiedenheiten, welche die Erkältungskrankheiten in ihrer Entstehung wie in ihren Folgen darbieten, lassen sich zur Zeit nicht genau erklären.

Eine Anlage zur Erkältung dürfte wohl nicht wegzuleugnen sein, da dieselben schädlichen Einwirkungen bei manchen Menschen Erkältungskrankheiten hervorbringen, bei vielen andern dagegen nicht, und da Manche sehr oft und bei den geringsten Veranlassungen oder Witterungswechseln in Krankheit verfallen, während Andere fast immer davon frei sind. Diese Anlage ist wohl in einer entweder sehr zarten oder sonst für äußere Einflüsse krankhaft übermäßig empfindlichen Haut begründet. Sie kann vielleicht angeboren sein, häufiger ist sie aber wohl erworben: durch Hautkrankheiten, Verzärtelung, allzuwarme oder die Haut reizende Bekleidung, durch Mißbrauch warmer und heißer Bäder oder schweißtreibender Mittel,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_022.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)