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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

sonst dem oberschlesischen Volke mangelnde Energie drückte sich in seinen kühnen Zügen und in seiner festen Haltung aus. Das Geschrei der Frauen, die Verstörung der Männer und der Anblick des ohnmächtigen Weibes hatten seine Neugierde erregt.

„Was gibt es denn, was ist hier vorgefallen?“ fragte er die Zunächststehenden.

„Dort liegt Deine Schwester!“ antwortete ihm einer der Roboter.

„Meine Schwester!“ rief er erschrocken, indem er den Trupp durchbrach, der schon zur Seite wich. „Sie ist todt, gemordet! O! wer hat dies gethan?“

Keiner der Umstehenden wagte, den Verwalter laut zu beschuldigen. Nur ihre stummen Blicke und Winke klagten ihn als Thäter an. Ehe Hartmuth noch ein Wort zu seiner Rechtfertigung vorbringen konnte, hatte ihn der Schmiedegesell am Halse gefaßt und holte mit seinem Hammer zu einem furchtbaren Streiche aus. Er hätte ihn sicher getödtet, wenn nicht der Verwalter durch eine schnelle und geschickte Biegung dem Schlage ausgewichen wäre. Mit der ganzen Stärke, die er besaß, suchte er jetzt seinem Gegner die gefährliche Waffe zu entreißen. Beide waren einander an Kräften gleich und es entspann sich daher ein erbitterter Kampf, dessen Ausgang höchst zweifelhaft schien. Der junge Mann hatte den Hammer fallen lassen und rang mit dem Verwalter, den er um den Leib gefaßt hatte. Bald lag der Eine, bald der Andre auf dem Boden und schaute mit vernichtenden Blicken in das von Wuth verzerrte Gesicht seines Feindes. Die Roboter hatten einen Kreis um die Kämpfer geschlossen, ohne sich zu betheiligen, obgleich sie in ihrem Innern entschieden die Partei des Schmiedegesellen nahmen und ihm den Sieg wünschten. So groß aber war noch immer die Macht der Gewohnheit und ihr sclavischer Sinn, daß sie nicht einmal ein Zeichen der Aufmunterung zu geben wagten. Nur über ihre stumpfen Gesichter zuckte zuweilen ein Blitzen, wenn der Verwalter auf einen Augenblick unterlag; sonst verhielten sie sich stumm.

Es herrschte das tiefste Stillschweigen, von Zeit zu Zeit durch das Schnauben und Aechzen der beiden Kämpfer unterbrochen.

Endlich hatte Pawel, so hieß der Schmied, seinen Gegner, dem er an jugendlicher Geschwindigkeit überlegen war, vollkommen überwältigt. Er kniete auf der Brust des Verwalters und während er ihn mit der einen Hand am Halse würgend festhielt, streckte er den andern Arm von Neuem nach dem Hammer aus, um, wie er beabsichtigte, den entscheidenden Schlag zu thun. Hartmuth bemerkte die drohende Gefahr und stieß einen lauten Schrei um Hülfe aus. Der ihm ergebene Schaffner des Vorwerkes und einige Knechte hörten ihn und eilten herbei, doch die drohende Haltung des Bauern schreckte sie zurück.

Schon hob Pawel die furchtbare Waffe empor, um sie zerschmetternd auf das Haupt des Gegners niederfallen zu lassen, als ein schwacher Schrei in seiner Nähe ihn aufhielt. Es war die Stimme seiner armen Schwester, welche aus ihrer Ohnmacht erwacht war und die Augen aufschlug. Ihr erster Blick fiel auf den Bruder und ihren Peiniger, der dem Todesstreiche mit höchster Angst in dem verzerrten Antlitz entgegensah. Er war ganz braunroth im Gesicht; seine mit Blut unterlaufenen Augen und der schlaff herabhängende Unterkiefer verriethen die Furcht einer gemeinen Seele.

„Halt ein, morde ihn nicht!“ rief die Schwester, welche sich wieder erholt hatte und Alles sogleich begriff.

Sie war aufgesprungen und faßte nach dem Arme des Schmiedegesellen noch zur rechten Zeit, um die schreckliche That zu verhindern. Dabei sah sie ihn mit ihren sanften Augen so bittend an, daß er nicht zu widerstehen vermochte. Der Hammer entsank seiner Faust und, indem er seine Hand von dem Halse des Verwalters entfernte, benutzte dieser die unerwartete Gelegenheit, um sich vollends zu befreien. Sobald er sich der drohenden Gefahr entrückt glaubte, kehrte auch seine frühere Heftigkeit zurück. Pawel stand noch immer, seine wiedererstandene Schwester mit freudigem Erstaunen anblickend. Eben so schnell wie sein Zorn aufloderte, war auch derselbe wieder erloschen, als er die Todtgeglaubte noch am Leben fand. Nicht so Hartmuth, der kein anderes Gefühl als die Rache über den ihm angethanen Schimpf kannte.

„Greift den Mörder, bindet den Bösewicht!“ rief er dem Schaffner und den Knechten des Hofes zu.

Diese zögerten anfänglich, seinen Befehl auszuführen, da sie den Muth des kräftigen Schmiedegesellen und die Uebermacht der Bauern fürchteten, welche diesen zu beschützen Miene machten. Aber die Drohungen des gefürchteten Verwalters und seine wiederholten Mahnungen brachten sie bald zu dem alten Gehorsam zurück. Zwei Männer näherten sich Pawel, um ihn fest zu nehmen.

„Flieh, flieh!“ rieth ihm die besorgte Schwester. Einen Augenblick schien er unentschlossen, aber die Roboter wiederholten denselben Rath. Er hatte von ihnen erwartet, daß sie sich für ihn erheben würden, doch der oberschlesische Bauer kennt nur den passiven Widerstand; er ist durch langjährige Knechtschaft feig und muthlos geworden. Nur von Zeit zu Zeit bricht sein verhaltener Groll plötzlich und unvermuthet, wie die zerstörende Windsbraut, hervor. Noch war dieser Augenblick nicht gekommen und Pawel fand sich in der Noth von seinen Freunden verlassen. Der Instinct der Selbsterhaltung trieb ihn zur Flucht. Sobald seine Verfolger sich ihm näherten, sprang er auf wie ein gehetztes Wild und eilte davon.

„Schließt die Thore, laßt die Hunde los!“ schrie der Verwalter seinen Leuten zu.

Dieser Befehl wurde augenblicklich befolgt. Krachend fielen die schweren Thorflügel zusammen und sperrten ihm den Ausweg, während die von ihren Ketten befreiten Hofhunde, von Hartmuth gehetzt, heulend und zähnefletschend hinter dem Verfolgten herjagten. Der geräumige Hof war von einer hohen, unübersteiglichen Mauer umgeben, an die sich die verschiedenen Wirthschaftsgebäude anlehnten. Außer dem Thorwege gab es nur noch eine kleine Pforte, die in’s Freie und auf die angrenzenden Felder führte. Diesen Ausgang suchte Pawel zu gewinnen. Mit der höchsten Anstrengung seiner Kräfte lief er nach diesem Ziele. Trotz des vorangegangenen Kampfes war er noch keineswegs ermüdet, und die Angst vor der drohenden Gefahr verlieh seinen Gliedern neue Spannkraft. Nur noch wenige Schritte und er war wenigstens für den Augenblick gerettet. Mit banger Erwartung sahen die Bauern dieser seltsamen Jagd zu, während die Schwester mit gefalteten Händen der Gottesmutter von Czenstochau, der allgemein in Oberschlesien verehrten Heiligen, eine Wallfahrt gelobte, wenn diese den armen Pawel beschützte.

Aber die Hunde folgten ihm auf den Fersen und in demselben Moment, wo er bei der Thür anlangte, stürmten auch sie von allen Seiten auf ihn ein. Die wüthende Meute sprang auf ihn, packte ihn, riß ihn nieder und faßte ihn mit den scharfen Zähnen. Vergebens versuchte er, sie von sich abzuwehren, sie klammerte sich fest an ihn an und ließ ihn nicht mehr los, bis der Verwalter mit den Knechten herankam und ihm mit schnell herbeigeholten Stricken die Hände auf den Rücken zusammenschnürte. Widerstandslos mußte sich Pawel die empörendsten Mißhandlungen gefallen lassen. Hartmuth schlug mit seinen Fäusten ihm in’s Gesicht und überhäufte den Unglücklichen mit den gröbsten Schmähungen.

„Ich will Dich lehren,“ schrie er laut, „gegen Deine Vorgesetzten, gegen Deine Obrigkeit Dich aufzulehnen. Und Ihr Uebrigen sollt Euch ein Beispiel daran nehmen. Wehe demjenigen, der nur einen Laut von sich gibt! Ihr sollt mich noch kennen lernen. O! ich weiß, was in Euren Köpfen spukt; aber ich werde Euch den Freiheitsschwindel schon austreiben. Darauf könnt Ihr Euch verlassen.“

Mit gesenkten Häuptern hörten die Roboter seine Worte an. Keiner wagte Etwas zu erwidern oder dem Gefangenen nur durch einen Blick seine Theilnahme erkennen zu lassen; obgleich sie in ihren Herzen den Verwalter verwünschten. Nur die Schwester näherte sich dem armen Pawel weinend.

„Und das Alles,“ sagte sie schluchzend, „mußt Du um meinetwillen dulden.“

„Weine nicht, Jadwiga!“ tröstete er sie. „Grüße Deinen Mann und Deine Kinder. Mir wird Gott helfen, denn die Menschen sind Alle schwach und schlecht.“

Dabei warf er einen halb verächtlichen, halb schmerzlichen Blick auf die Bauern, welche regungslos daneben standen.

Mit boshaftem Lächeln weidete sich Hartmuth an den Leiden des Schmiedegesellen, darauf befahl er, ihn vorläufig in einen Keller zu sperren, um später erst seine Rache an ihm vollends zu befriedigen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_034.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)