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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Fähnrich sicher beneiden durfte. Sie hatte mit ihrem Bruder die größte Ähnlichkeit. Dasselbe apoplektische, roth gedunsene Gesicht, dasselbe Doppelkinn, dieselbe starkknochige Figur. Sie brauchte nur ihr schreiend bunt carrirtes Kleid mit seinem grünen, mit Schnüren besetzten Rocke zu vertauschen, um ihm vollends zu gleichen. Im Hause trug sie heruntergetretene Pantoffeln von einem merkwürdigen Umfange; wenn sie bei schlechtem Wetter über den Hof ging, pflegte sie die Wasserstiefel des Barons anzuziehen, die ihr bis über die Schenkel reichten. Knechte und Mägde zitterten vor ihrer barschen Stimme und noch mehr vor ihrer gewichtigen Hand.

Neben dieser männlich starken Tante bildete die weiblich zarte Nichte den größten Gegensatz, welchen man sich denken kann. Veronika trug die sanften Züge ihrer verstorbenen Mutter, einer trefflichen Frau, die mit hingebender Geduld die Rohheit des Barons erduldete. Die Tochter hatte ihr blaues, frommes Auge, ihre milden Züge und ein Herz voll aufopfernder Liebe geerbt. Der Baron, der sich einen Sohn gewünscht, konnte es daher seiner Gattin nie verzeihen, daß sie seine Hoffnungen getäuscht. Jahre vergingen, ehe er sich mit der Geburt der Tochter ausgesöhnt hatte. Sie war erst seit einigen Monaten in das elterliche Haus zurückgekehrt aus dem Kloster der Ursulinerinnen in Breslau, denen sie zur Erziehung übergeben war. Die frommen Schwestern, welche sich mit dem Unterricht des weiblichen Geschlechts beschäftigen, hatten nur die angeborenen Tugenden des Mädchens entwickelt, und ihrem Geiste eine zwar einseitige, aber durchaus weibliche Richtung gegeben. Herzensgüte und Sanftmuth waren die hervorstechenden Eigenschaften ihres Wesens, das sich in ihren freundlichen Mienen und Blicken kund gab.

Auch an diesem Abend leistete wie gewöhnlich der Pfarrer, ein wohlbeleibter Herr mit salbungsreichen Gebehrden, und der Justitiar, ein kleiner, pfiffig darein blickender Mann, dem Baron bei Tische Gesellschaft. Auf der reich besetzten Tafel standen mehrere Flaschen mit schwerem, feurigen Ungarwein, dem, nach den gerötheten Gesichtern zu urtheilen, fleißig zugesprochen wurde. Das Gespräch drehete sich um die Aufhebung der Erbunterthänigkeit, Trotzdem der Baron den königlichen Erlaß bereits in dem Amtsblatte, der einzigen von ihm gelesenen Druckschrift, gesehen hatte, konnte er sich doch nicht entschließen, die Möglichkeit einer solchen Maßregel zu glauben. So sehr war er in seinen Vorurtheilen befangen, daß er die Nachricht für eine unverschämte Lüge hielt, und den schüchternen Einwand des Justitiars nicht beachtete.

„Wird sich viel gedruckt,“ sagte er in seinem gebrochenen Deutsch, „was nicht wahr ist. Kann Regierung, kann König nehmen, was mein ist? Bauer ist mein Eigenthum, Hab ich von meinem Vater, und kann machen damit, was ich will.“

„Aber die Cabinetsordre mit der königlichen Unterschrift –“ warf der Justitiar dazwischen ein; hielt jedoch wieder inne, als der Baron mit der geballten Faust auf den Tisch schlug, daß die Gläser klirrten und der Wein überfloß.

„Hol der Teufel Cabinetsordre. Ganze Geschichte ist nur von dem verfluchten Schreibervolk gemacht. Die wollen sehen, was wir Edelleute uns gefallen lassen. Aber haben Rechnung ohne Wirth gemacht. Ist nicht wahr, lieber Pfarrer?“

Dieser nickte beistimmend, indem er behaglich aus seinem Glase den Wein schlürfte.

„Die Bauern,“ fügte er nachdenklich hinzu, „werden nun leider durch derartige verfrühte Mittheilungen schwierig gemacht. Der Respect vor der von Gott eingesetzten Obrigkeit geht verloren.“

„Richtig!“ schrie der Baron. „Mein Verwalter hat heute Geschichte erlebt, wie noch nicht vorgekommen. Hat ein gewisser Pawel ihn mit Hammer todt schlagen wollen. Justitiarius! Der Kerl muß exemplarisch gestraft werden.“

„Versteht sich,“ pflichtete dieser bei. „Die ganze Strenge des Gesetzes soll in Anwendung kommen. Verlassen Sie sich auf mich, Herr Baron!“

In diesem Augenblick erschien Veronika in dem Zimmer.

„Was gibt’s?“ fragte der Baron seine Tochter.

„Draußen,“ antwortete sie verlegen erröthend, „steht eine arme Frau, die Dich sprechen will.“

„Wer ist sie und was will sie?“

„Unsere frühere Magd, die gute Jadwiga. Sie kommt wegen ihres gefangenen Bruders.“

„Was untersteht sich die Hexe? Sie soll mich ungeschoren lassen! Warum hast Du sie vorgelassen?“ brummte der Baron.

Veronika hob ihre frommen Augen bittend zu dem Vater empor, der trotz seiner Rohheit ihrem sanften Flehen nicht zu widerstehen vermochte.

„So laß sie in drei Teufelsnamen eintreten!“ rief er ärgerlich.

An allen Gliedern zitternd nahete die Bäuerin, sich in der Thüre angstvoll haltend.

„Tritt näher!“ herrschte der Baron.

Sie gehorchte und küßte, ehe sie ihr Anliegen vorbrachte, den anwesenden Herren nach der Reihe die Hände; die größte Ehrfurcht jedoch erwies sie dem Pfarrer, in dem sie ihren geistlichen Seelsorger, den Stellvertreter Gottes auf Erden sah.

„Rede getrost, meine Tochter!“ sagte dieser in salbungsvollem Tone.

Seine Worte gaben ihr den nöthigen Muth, um den Vorfall treu und wahr zu berichten. Ihre Erzählung wurde häufig von heißen Thränen und lautem Schluchzen unterbrochen. Voll Theilnahme hörte Veronika zu, während der Baron seine Ungeduld und Entrüstung deutlich dadurch zu erkennen gab, daß er bald mit dem einen, bald mit dem andern Fuß auf den Boden stampfte.

„Dein Bruder ist Bösewicht, der eigentlich hängen muß,“ polterte er. „Nicht wahr, lieber Justitiar?“

„Allerdings!“ erwiderte dieser beistimmend. „Das Gesetz für einen derartigen Fall ist noch immer nicht streng genug.“

„Und die heilige Schrift,“ setzte der Pfarrrer hinzu, „sagt: du sollst unterthan sein deiner Obrigkeit.“

Die arme Jadwiga ließ sich indeß nicht abschrecken, und bat immer von Neuem um Gnade für den Schuldigen.

„Ich kann Dir nicht helfen,“ sagte der Baron, indem er ihr den Rücken zukehrte.

„O mein Gott!“ seufzte sie. „Er hat mich für todt gehalten, und darum übermannte ihn der Zorn. Verzeihen Sie ihm nur dieses einzige Mal noch, und ich will, so lang ich lebe, für Sie beten.“

„Zum Teufel, halte mich nicht länger auf, sonst laß ich Dich von meinen Leuten hinauswerfen. Ich habe weder Zeit noch Lust, Dein Geheule länger anzuhören.“

Erst von dieser Drohung eingeschüchtert, schwankte das unglückliche Weib zur Thüre hinaus, worauf der Baron die Karten bringen ließ, um seine gewöhnliche Solopartie mit den Herren zu spielen.

„Man muß ein Exempel statuiren,“ bemerkte er gleichsam zu seiner eigenen Beschwichtigung. „Jadwiga thut mir leid, aber der Bursche verdient seine Strafe, damit anderes Volk nicht Respect verliert.“

Draußen in der Halle brach die Elende unter der Last ihres Kummers zusammen. Die Füße wollten sie nicht mehr tragen; sie mußte sich an die Wand stützen. So wurde sie von Veronika gefunden, welche ihr nachgeeilt war, um die Härte ihres Vaters durch ein freundliches Wort wieder gut zu machen.

„Da, nimm!“ sagte das gute Mädchen, indem sie ihr verstohlen ein Geldstück in die Hand drückte.

„Gott lohne es, mein gnädiges Fräulein! Ich wollte nicht Geld, sondern die Loslassung meines Bruders.“

„Behalte nur die Kleinigkeit, und kaufe für Deinen kranken Mann eine Stärkung. Ich selber will mich für Pawel verwenden, wenn der Vater allein ist.“

„Sie kennen ihn ja, Paninka![1] Er ist ein guter Junge, der keinem Kinde etwas zu Leide thut; aber als er mich blutend liegen sah, da wußte er nicht, was er machte.“

„Sei ruhig! Es soll ihm nichts geschehen. Ich stehe Dir dafür.“

„Tausend Segen über Ihr gutes Herz.“

(Fortsetzung folgt.)



  1. polnisch: junge Herrin.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_036.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)