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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

hervor, um die vollen Orangenbäume zu besuchen, und ihre ausgestellten Wachen verkünden mit lautem, zänkischem Geschrei die Annäherung des Menschen. Die einsam auf Insecten lauernden Fliegenschnäpper schwingen sich von Bäumen und Stauden und erhaschen raschen Fluges den dahin wogenden Menelaus oder die vorübersummenden glänzenden Fliegen.

Im Gesträuche verborgen thut indessen die verliebte Drossel die Freude ihres Lebens in schönen Melodien kund; die geschwätzigen Pipren belustigen sich, aus dichtem Gebüsche bald hier, bald dort in vollen Nachtigalltönen lockend, den Jäger irre zu führen, und der Specht läßt, indem er die Rinde der Stämme aufpickt, sein weitschallendes Klopfen ertönen. Lauter als alle diese wunderbaren Stimmen erschallen von der Spitze der höchsten Bäume die metallischen Töne der Uraponga, welche, den Klängen der Hammerschläge auf dem Amboße ähnlich, nach der Wendung des Sängers bald näher, bald ferner, den Wanderer in Erstaunen setzen. Während so jedes lebende Wesen in Bewegung und Tönen die Schönheit des Tages feiert, umschwirren die zarten Colibri’s, an Pracht und Glanz mit Diamanten, Smaragden und Saphiren wetteifernd, die prunkvollsten Blumen. Mit dem Untergang der Sonne kehren die meisten Thiere zur Ruhe; nur das schlanke Reh, das scheue Pecari, die furchtsame Agouti und der rüsselige Tapir weiden noch umher; die Nasen- und Beutelthiere, die hinterlistigen Katzenarten schleichen, nach Raub spähend, durch die Dunkelheit des Waldes, bis endlich die brüllenden Heulaffen, das gleichsam um Hülfe rufende Faulthier, die trommelnden Frösche und die schnarrenden Cicaden mit ihrem traurigen Liede den Tag beschließen, der Ruf des Macun, der Capueira, des Ziegenmelkers und die Baßtöne des Ochsenfrosches den Eintritt der Nacht verkünden. Myriaden leuchtender Käfer beginnen nun gleich Irrlichtern umherzuschwärmen und gespensterartig flattern die blutsaugenden Fledermäuse durch das tiefe Dunkel der Tropennacht.[1]





Ein unaufgelöstes Räthsel.
(Schluß.)


Das sind die Betrachtungen, die wir an die Waldwohnung zu knüpfen haben. Die Unwahrscheinlichkeiten, welche in Carolinens Erzählung dieser Phase ihres Lebens zu liegen scheinen, werden durch sie den Charakter von Verdachtsgründen verloren haben. Daß Caroline diese düstere Wohnung freudig verließ, als man sie zu ihrer Mutter zu führen versprach, liegt in der Natur der Sache. Ihre Reise soll dreizehn Tage und zwölf Nächte gedauert haben, „mit den nämlichen Pferden“, wie sie sagt. Diese Aeußerung darf man nicht streng nehmen; wie soll sie auf das Vorlegen anderer Pferde geachtet haben, sie, welche diese Thiere nur als kleines Kind gekannt hatte und mit ganz anderen Gedanken beschäftigt war. Wenn die Reise genau so erfolgte, wie sie erzählt, mußte sie dann nicht ein Aufsehen erregen, das zur Entdeckung hätte führen müssen? Gewiß nicht. Wagen mit geschlossenen Fenstern fahren tagtäglich auf den Heerstraßen, besonders in den letzten October- und in den ersten Novembertagen, und auch Damen, die im Wagen sitzen bleiben und sich dorthin kalte Küche bringen lassen, gehören keineswegs zu den Seltenheiten. Aufsehen erregt ein Gebahren, wie Caroline es beschreibt, am allerwenigsten; man denkt dabei nicht an ein Geheimniß, sondern an aristokratische Gewohnheiten. Pässe, die scheinbar in Ordnung waren, haben die Reisenden ohne Zweifel gehabt. Wurde der Wagen irgend wo für auffallend gehalten, so war dieser Eindruck längst verwischt, als die öffentliche Bekanntmachung und Aufforderung des Kreisamtes zu Offenbach erschien. Am 14. November 1853 wurde, Caroline in Offenbach verhaftet und am 22. März 1854 erging jene amtliche Aufforderung. Zwischen ihr und der Fahrt Carolinens liegen mithin mehr als vier Monate, und in einer solchen Zeit vergißt sich viel. Bis zu seinem öffentlichen Auftreten scheint das Gericht nichts Nennenswerthes gethan zu haben. So lange Caroline für eine verschmitzte Betrügerin galt, beschäftigte man sich mit ihr allein, und als man endlich – sie war inzwischen einige Wochen krank gewesen – zu einer bessern Ueberzeugung gelangte, verfolgte man einseitig die Vermuthung, „daß gedachte Person mit einem k. k. Militairtransporte in hiesige Gegend gelangt sei“, und stellte in dieser Richtung, die eine falsche war, Ermittelungen an.

Die objective Seite der Sache ist nun bis auf die Geschichte des fremden Mädchens und der Frau, die Carolinen ihrer Sachen beraubt haben, erledigt. Was die Unglückliche in dieser Beziehung erzählt, tragt den Stempel innerer Wahrheit an sich und stimmt mit dem Verfahren der Menschenrasse, in deren Hände sie am Schlusse ihrer Wanderschaft gelangt war, ganz überein. Eine Landstreicherin findet in einsamer Gegend ein Mädchen, das der Landessprache nicht mächtig und arglos und unerfahren wie ein Kind ist. Sie nimmt dieses Mädchen mit sich und führt sie am Abend zu einer älteren Vertrauten, um sie dort im Schlafe zu bestehlen. Sie entfernt sich nach dem Diebstahl und die Vertraute spielt gegen die Bestohlene die Rolle der Wohlthäterin, gibt ihr einige schlechte Kleidungsstücke und entläßt sie darauf. Aehnliches ist hundert Mal dagewesen. Ein äußerer Umstand dient zur Bekräftigung der Wahrheit von Carolinens Aussage: man hat sie mit Kleidern angethan gefunden, die ihr nicht gehörten, wie ihre zu große Weite bewiesen. Noch einen Umstand übersehe man nicht. Ein Mädchen, das so erzogen worden war, wie Caroline, und zuletzt solche Schicksale erlebt hatte, mußte so angegriffen sein, daß am ersten Ruheorte eine Krankheit ausbrach. Caroline ist in der That während der ersten Zeit ihres Offenbacher Aufenthaltes krank gewesen.

Läßt sich ihre Erzählung an sich nicht verwerfen und werden die in ihr enthaltenen Unwahrscheinlichkeiten bei näherer Betrachtung ihre Bedeutung verloren haben, so kommt doch Alles darauf an, ob Carolinens Persönlichkeit in subjectiver Beziehung ihrer Erzählung zur Stütze dient. Eine geschickte und erfahrene Lügnerin ist Wohl im Stande, eine romanhafte Geschichte mit glaubwürdigen Einzelnheiten aufzustutzen. Ehe wir an diese subjective Seite, den eigentlichen Cardinalpunkt, näher herantreten, müssen wir vorausschicken, daß Caroline sowohl in juristischer als in psychologischer Hinsicht geprüft worden ist. Man hat sie für eine Lügnerin gehalten und darauf hin inquirirt, man hat sie drei Jahre lang unausgesetzt beobachtet, auf die Probe gestellt, und sie ist in keiner Verwickelung in ihren so weitläufigen, bis in’s kleinste Detail gehenden Aussagen, auf keinem Widerspruche, auf keinem Verstoße gegen psychologische Gesetze ertappt worden. Man denke sich die abgefeimteste Lügnerin, die mit kaltblütiger Berechnung stets auf ihrer Hut ist, man lasse sie ihr künstliches Lügengebäude bis zur Giebelspitze fertig bringen, und sie wird in irgend einem Augenblicke ihrer Erzählung untreu werden, der ersten Unwahrheit überführt durch ihr Bemühen, das Vertrauen wieder zu gewinnen, sich immer tiefer verwickeln und bald entlarvt sein. Eine solche Lügnerin wird gerade die Unwahrscheinlichkeiten, welche in Carolinens Erzählung vorkommen, am sorgsamsten vermeiden. Hat der Leser unserer Erzählung seine Aufmerksamkeit geschenkt, so wird er mehrerer Punkte sich erinnern, die seinen Argwohn erregten und von denen er sich gleichwohl nicht sagen konnte, weshalb Caroline sie, wenn sie Alles erlogen, in ihr Gewebe

  1. Wir entnehmen, mit Autorisation der Verlagshandlung, Schilderung und Abbildung dem so eben bei J. J. Weber complet erschienenen: Hausschatz der Länder- und Völkerkunde von Al. Schöppner, ein mit 24 Ansichten in Tondruck verziertes Buch, das wir allen unsern Lesern empfehlen. Der Herausgeber eifert mit Recht gegen die Unzweckmäßigkeit und Langweiligkeit unserer geographischen Lehr- und Handbücher, welche die Jugend und den Mann des Volkes von dem Studium der Geographie im Allgemeinen abhalten, und glaubt, diesem Uebelstande am besten durch eine wissenschaftlich geordnete Zusammenstellung von Charakterbildern aus dem Bereiche der Länder- und Völkerkunde, den anerkannt besten Reisewerken der Neuzeit entnommen, entgegenzuarbeiten. Das 102 Bogen starke Buch macht einen so belehrenden wie unterhaltenden Eindruck.
    Die Redaction.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_050.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)