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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 5. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der Kranken-Engel.
Novelle von Max Ring.
(Schluß.)


Als die Dorfuhr die zwölfte Stunde in der Nacht schlug, stieß Pawel zu den Bauern, welche ihn als ihren Führer begrüßten. Auch der Actuar hatte sich eingefunden, doch hielt er sich wohlweislich im Hintertreffen, um erst den Erfolg des Unternehmens abzuwarten. Leise und geräuschlos bewegte sich der Zug nach dem Vorwerk, um zuerst den allgemein verhaßten Verwalter zur Verantwortung zu ziehen. Das feste Thor wurde mit den mitgebrachten Aexten eingeschlagen. Bei dem Geräusch sprang Hartmuth unangekleidet aus dem Bette, von bangen Ahnungen erfaßt. Er wollte entfliehen, doch ehe er seinen Vorsatz ausführen konnte, wurde er ergriffen. Mit schlotternden Knieen fiel er zur Erde und streckte flehend seine Hände zu Pawel empor. Er bot sein Vermögen, das ganze Geld, welches er besaß, aber vergebens. Der Schmiedegesell kannte in diesem Augenblick nur das einzige Gefühl seiner Rache, welche beim Anblick seines Gegners mit neuer Gewalt auflebte. Doch wenn er selbst ihm hätte verzeihen und ihn schonen wollen, es stand nicht mehr in seiner Macht. Jeder der anwesenden Roboter hatte eine Beleidigung, einen Schimpf, an Hartmuth zu strafen. Die allgemeine Entrüstung machte sich in wildem Geschrei und drohenden Gebehrden Luft, denen die thätlichen Angriffe folgten. Bald sank der Verwalter unter den Schlägen und Stößen des rohen, empörten Haufens zusammen, als ein Opfer seiner unmenschlichen Strenge. Man ließ ihn für todt liegen. Der Actuar machte noch den Vorschlag, die Gebäude des Vorwerks in Brand zu stecken, und die Menge jauchzte ihm Beifall. Nur Pawel erklärte sich dagegen.

„Wir sind keine Mordbrenner,“ sagte er entschieden. „Das Feuer wird sich nicht auf das Vorwerk beschränken, sondern sich weiter verbreiten und unsere eigenen Wohnungen ergreifen.“

Dieser Grund leuchtete selbst den beschränkten Bauern ein und sie begnügten sich mit der Zerstörung der vorhandenen Vorräthe. Sie schütteten das Getreide und das Mehl auf die Erde, schnitten die Betten auf und ließen die Federn im Winde fliegen, auf diese Weise ihren Muthwillen kühlend und ihre Rache befriedigend, worauf sie den Weg nach dem Schlosse einschlugen, um ihr Werk zu beenden.




V.

Der Baron war nicht ungewarnt, denn der jüdische Wirth hatte, trotz aller Furcht vor den Bauern, ihm Alles mitgetheilt, was er wußte. Der Gutsherr besaß jedoch eine viel zu hohe Meinung von seiner Gewalt und eine viel zu geringe von dem Muthe seiner Unterthanen.

„Sie werden es nicht wagen,“ sagte er. „Die Hunde sind viel zu feig, und wenn sie kommen, so sollen sie mich gerüstet finden.“

Die einzige Vorsichtsmaßregel, die er traf, bestand darin, daß er seine sämmtlichen Gewehre lud und dem Hofwächter eine größere Wachsamkeit anbefahl. Als jedoch einige Nächte vergangen waren, ohne daß sich etwas Besonderes ereignete, spottete er über die Furchsamkeit des ängstlichen Juden. Der heranziehende Haufen drang daher ganz ungehindert vor das Schloß. Auch hier erwachte der Baron von den dröhnenden Hieben der Aexte, womit das feste Thor eingeschlagen wurde. Der Lärm weckte ihn, und da es ihm nicht an Muth fehlte, so sprang er aus dem Bette und griff nach seiner geladenen Büchse. Tante Kascha und Veronika waren ebenfalls aus dem Schlafe aufgestört und eilten erschrocken herbei. Er suchte sie zu beruhigen und befahl den herbeigestürzten Knechten, seinen Wagen anzuspannen, um die Frauen aus dem Bereiche der Gefahr zu bringen. Veronika erklärte jedoch mit Bestimmtheit, daß sie bei dem Vater bleiben wollte. Schüchtern und zaghaft im gewöhnlichen Leben, besaß sie jene Seelenstärke, welche oft die schwächsten Frauen im drohenden Augenblicke wider alle Erwartung zeigen.

„Ich bleibe bei Dir,“ sagte sie entschlossen, sich an den Vater schmiegend, während die Tante Kascha, trotz ihres männlichen Aussehens, zitterte und vor Schreck ihre Nachthaube verkehrt aufgesetzt hatte.

Schon stürmte der wilde Haufe die Treppe hinauf und drang mit Ungestüm in das Zimmer, ehe noch der Baron irgend eine Anstalt zur Gegenwehr treffen konnte.

„Was wollt Ihr?“ rief er ihnen entgegen.

„Unsere Freiheit, Aufhebung der Erbunterthänigkeit, keine Robot mehr, keine Abgaben!“ brüllte der Haufe verworren durcheinander.

„Den Ersten, der mir nahe kommt, schieße ich nieder,“ drohte der Baron, indem er die geladene Büchse anlegte.

Die Bauern wichen einen Augenblick zur Seite, aber im nächsten Moment hatte ihm Pawel das Gewehr entrissen. Der ihm zugedachte Schuß ging, ohne einen Menschen zu verletzen, in die Decke. Knirschend sah sich der Baron entwaffnet und von mehreren starken Armen festgehalten, so daß er sich nicht zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_057.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)