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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

tiefen, weichen Schnee stampfend, um sie zu erwärmen, hielt er unverrückt das Auge auf den Kommenden geheftet, während neben ihm auf dem niedergetretenen Schnee ein Dachshund halb kauernd und frierend saß und nicht minder aufmerksam, als sein Herr, mit emporgezogenem Behänge und schief gehaltenem lauschenden Kopfe den Nahenden beobachtete. Daß er nicht laut wurde, bewies, daß seine Nase ihn bereits einen Bekannten wittern ließ, und so war es auch. In Kurzem war der Andere da, der, ebenfalls ein Jäger, lautlos im Schnee dahergewandelt kam, daß bei jedem Schritt die flaumigen Focken vor ihm herflogen, um in die sich bildende Bahn getreten zu werden. Ein langer Streifen durch eine makellose weiße Decke bezeichnete des Kommenden Fährte, die hier und da von der Fährte mancherlei Gewilds durchkreuzt war. Diese beobachtete der Daherschreitende, ohne viel Notiz von Dem, der auf ihn wartete, zu nehmen, mit Aufmerksamkeit. Noch ehe er ganz heran war, bezeugte das freundliche, unruhige Hin- und Herrücken des Dachshundes, so wie ein gelindes Schwanzwedeln, womit er im Sitzen den Schnee wegfegte, daß ein seinem Herrn Befreundeter nahe. Mit einem „Waidmanns Heil!“ reichte jetzt der Hinzugekommene dem Andern bieder die Hand, was kräftig und treuherzig erwidert wurde. Liebkosend streichelte dann Jener dem Dachse den Kopf, der mit halbunterdrücktem Winseln seine Freude ausdrückte, theils über den Empfang, theils in der Hoffnung, daß es nun jedenfalls weiter gehen und für ihn Arbeit geben werde. Nachdem sein Herr ihn emporgenommen und sich auf die Schulter gesetzt hatte, um ihn durch’s Laufen im tiefen Schnee nicht zu ermüden, schritt er mit einem: „Nun rasch vorwärts!“ voran, und der Andere, eine schmächtige Figur mit blondem Haar, Schnurr- und Knebelbart und einem milden, aber doch lebendigen, männlichen Auge, folgte ihm, indem er fragte:

„Was hast Du denn eigentlich stecken,[1] daß Du mich mit Büchse und ohne Hund bestellt hast?“

„Die Sache ist die,“ antwortete jener, der Unterförster auf „Heiligen Seeer Revier“ auf dem „Klosterwalde“ bei † war und Horst Czesla hieß, „gestern Abend, als ich vom Reviere nach Hause ging, spürte ich, da es bereits einen gehörigen Schnee herausgeworfen hatte, hinten an der Hirschbacher Grenze, nagelneu das starke Schwein, dem ich und viele Andere, wie Du weißt, so manches liebe Mal zu Gefallen gegangen sind, ohne die Bestie je zu Schuß bekommen zu haben. Es war, wie gesagt, ganz frisch, hinunter nach dem Koberbrunner See, der jetzt fast ohne Wasser ist, aber doch warme offene Stellen hat und deshalb das Satansthier vielleicht einmal bestimmt haben mag, dort in den Kaupen sitzen zu bleiben. Da ist doch eher einmal Hoffnung, zu Schuß zu kommen; denn aus einem Dickicht ist’s ja gar nicht ’raus zu bringen, weder mit Treibern, noch mit Hunden, und sich auf der Fährte in ein solches Nest heranzupirschen, ist auch kaum möglich, da es in die dichtesten Stellen geht und man ihm also ganz nahe auf’s Leder rücken müßte. Da könnte man nicht einmal schießen und das wäre denn doch zu gefährlich. Siehst Du, Camerad, weil ich nun, wenn ich’s nicht schießen kann, es wenigstens keinem Andern gönne, als Dir, habe ich Dich in der Stille bestellt und, walt’s Gott! erwischen wir heute die Bestie! Nur das sage ich Dir: Einer steht für den Andern ein, denn zu spaßen ist mit dem Burschen nicht, und das ist der zweite Grund, weshalb ich Dich dazu genommen. Ich weiß, wo es gilt, bist Du der Mann!“

„Es gilt!“ antwortete der Andere, der Adjunct beim Oberförster von demselben Reviere war und Pirschmann hieß, mit leuchtendem Blick und sein ganzes Wesen wurde voll Feuer un Erwartung einer solchen Jagd, die für den deutschen Jäger, außer in Wildgärten, bereits zur Seltenheit gehört. Rüstig gingen nun die beiden Jäger weiter, dabei sich besprechend, wie das Unternehmen zu leiten sei. Sie beeilten sich, möglichst schnell an’s Ziel zu kommen, damit nicht etwa ein anderer von den Forstbeamten, der abspüren ging, auf die Fährte und ihnen zuvorkäme; denn es war hoher, ausdrücklicher Befehl an alle Forstbeamten ergangen: jedes Schwein todt zu schießen, da kein Wildschaden mehr bezahlt wurde und die Bauern deshalb unduldsam waren.

Kein Lichtstrahl drang durch den dichten Schneehimmel, obgleich es Tag geworden war; freilich einer der trübsten, die im Jahre vorkommen, Dennoch war der Wald in diesem tristen Ton nicht ohne Schönheit; denn wie der mehrere Fuß hoch gefallene Schnee den Boden bedeckte, so lag er auch auf Aesten und Zweigen, die sich schwer herabneigten, fast unter der Last brechend. Die schlanken Birken hatte der Schneefall kreuzweise ineinander gebogen, daß sie den herrlichsten gothischen Bauwerken glichen und gleichsam Ehrenpforten für die darunter Hinstreifenden bildeten. Jedes schlanke Reiß trug tief gebückt seine Bürde eben so, wie die mächtige Eiche, die ungebeugt und starr auf ihren Schlangenarmen den vom Himmel empfangenen Schmuck zum Himmel streckte, während nicht minder ehrwürdige Fichten ihre Zweige, deren untere in ihrer weißen Bekleidung den Boden berührten, herniedersenkten, ein Bild der Demuth und – deshalb um so wunderbarer und rührender das Auge fesselnd. Kein Laut, kein Ton rings umher, denn selbst die Schritte der Jäger waren unhörbar; kein Hauch rührte Nadel und Zweig, kein Vogel ließ sich vernehmen – die Natur schlief gleichsam mit offenen Augen unter dem Zauber der winterlichen Hülle und der schweren bleiernen Luft. Auch auf unsere Jäger schien der schneebedeckte Himmel verstummend einzuwirken. Wenn auch der Blonde zuweilen einen stummen Blick auf die phantastischen Schneegebilde der belasteten Bäume streifen ließ und seinen Cameraden auf ihren Reiz aufmerksam machte, so kam es doch nicht zu einem munteren und heiteren Gespräch. Immer vorwärts treibend hatte der Andere nur Sinn für die Fährten, die seine Bahn kreuzten; aber auch sie interessirten ihn heute nur in so weit, als er die Fährte des starken Schweines etwa zu finden glaubte. So eilten sie, so schnell es der tiefe Schnee zuließ, weiter auf schmalen Pirschgängen durch hohes Holz, so wie durch Stangenholz und Dickicht dahin, in welchem sie den Schnee von dem jungen Wald in Massen abstreiften, so daß die beschneiten Zweige in die Höhe schnellten und auch die über ihnen hängenden Aeste entlasteten. Weite Blößen lagen jetzt vor ihnen und den Horizont begrenzten die Holzbestände, welche den ersehnten Koberbrunner See einschlossen. Mit verdoppelter Eile überschritten sie die öd’ sich vor ihnen ausbreitenden todten Gehaue. Trotz des kalten Morgens rannen unsern Waldmännern die Schweißtropfen von der Stirn, so hastig strebten sie vorwärts, da bereits wieder einige Flocken fielen und sie befürchten mußten, daß, wenn es ärger käme, die etwaigen Fährten verschneit würden. Endlich standen sie am Rande des See’s und tief aufathmend rasteten sie einige Augenblicke.

Nach Ueberlieferungen wußte man, daß der See Menschenalter lang ungeschmälert Wasser gehabt und daß sich damals Tausende von allerhand Wasservögeln aufgehalten. Plötzlich hatte er sodann angefangen, an Wasser arm zu werden, bis er völlig ausgetrocknet, ebenso lange als wildes Land dagelegen und sich dann zu füllen begonnen, und so abwechselnd fort. Jetzt glich der halb ausgetrocknete See einem mächtigen Kirchhofe, denn die ihn über und über bedeckenden Schilfkaupen in ihren beschneiten Formen sahen aus wie eben so viele schneebedeckte Grabeshügel, über die das Auge, ohne einen anderen Halt zu haben, bis an die undeutlichen Umrisse der das andere Ufer begrenzenden Waldung hinschweifte.

Nachdem ein Schluck aus der Flasche die Jäger erlabt hatte, gingen sie auseinander, um jeder eine Seite des See’s abzuspüren und sich auf der entgegengesetzten Seite zu treffen. Nach einer kleinen halben Stunde waren sie wieder beisammen und Pirschmann hatte wohl manche andere Fährte, aber keine des Keilers entdeckt; ebenso hatte Czesla außer der vom vorigen Abend, die jetzt verschneit und kaum noch bemerkbar war, keine frische gefunden. Mithin mußte das Schwein in den Kaupen sitzen. Sofort ging’s an die alte Fährte zurück und ohne Umstände wurde nun der Dachshund auf die Fährte gesetzt. In kurzen Bogensprüngen sah man das Dächsel im Schilf und Schnee verschwinden und zur höchsten Freude der Jäger wurde es auch sehr bald laut, und zwar so, daß man hörte: er stelle das Schwein.[2] Mit einem: „Jetzt ist uns geholfen!“ ging’s nun darauf zu. Aber das war keine leichte Arbeit, sich durch das dichte Schilf zu winden, das raschelnd von ihren Füßen zu Boden getreten wurde. Oder sie kamen durch offene Stellen bis an die Kniee in Schlamm und Wasser; dann wieder auf glatt gefrorenen Grund, der sie oftmals zum Fallen brachte, wobei sie für ihre Gewehre besorgt sein mußten. Jeder wollte der Erste sein, um möglichst auch zuerst zu Schuß zu kommen; doch schon waren sie ganz nahe heran, ohne daß sie das

  1. stecken: wenn man im Winter durch Abspüren sich überzeugt hat, daß irgend ein Wild in einem Dickicht oder sonstigen Schlupfwinkel sich verborgen hält.
  2. Stellen: wenn der Hund das betreffende Wild veranlaßt, ihm Stand zu halten, was er durch unaufhörliches Bellen zu erkennen gibt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_078.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)