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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 7. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der gefangene Dichter.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Das Mädchenantlitz, welches der junge Mann in diesem Augenblicke vor sich erscheinen sah, war kein anderes, als das Minettens. Minette erschien nämlich, nachdem sie das von ihrem Kammerfenster aus gepflogene Gespräch abgebrochen hatte, unten in der Hausflur; sie war im Begriff, in den Garten zu gehen, aber da sie den fremden jungen Mann sich nahen sah, wartete sie, bis er vorübergegangen.

Der Fremde ging aber nicht vorüber. Im Gegentheil, er kam geraden Weges auf das Gärtnerhaus zugeschritten, trat über die Schwelle in die offene Hausflur und überreichte Minetten sein Bouquet mit den Worten:

„Nehmen Sie diesen Strauß von mir an, schönes Kind – wollen Sie ihn nicht von mir, als einem Unbekannten, annehmen, nun, so denken Sie, der Garten sende Ihnen seine schönsten Blumen zum Morgengruß.“

„Mein Herr, ich weiß nicht …“ stotterte Minette, bis unter die Haarwurzeln erröthend, und streckte nur sehr zögernd die Hand nach dem Geschenke aus.

„Wollen Sie mich mit einem Korbe betrüben?“

„Sie sind sehr galant, mein Herr – – aber in der That, wenn der Vater die abgepflückten Blumen sieht …“

„So gibt es eine Untersuchung? O, seien Sie darüber ruhig. Es hat ihn keine unberufene Hand geraubt; der junge Gärtner selbst hat ihn geschnitten und so sinnig und hübsch geordnet.“

„Wer, der Wilhelm?“ entgegnete Minette und griff nun unbedenklich nach dem Strauße.

„Ja, der Wilhelm wird es gewesen sein,“ antwortete lächelnd der Fremde; „Sträuße, die der Wilhelm bindet, scheinen sich freundlicher Aufnahme bei Ihnen zu erfreuen, – ist’s nicht so?“

Minette erröthete auf’s Neue und, um es zu verbergen, neigte sie ihr hübsches Gesicht über die Blumen.

„Ich danke Ihnen, mein Herr!“ sagte sie dann, indem sie einen zierlichen Knix machte.

Der junge Mann blieb stehen, trotz dieser verständlichen Andeutung, daß man ihn verabschiede. Die seltene Anmuth des hübschen jungen Mädchens schien ihn zu fesseln.

„Wollen Sie mich so gehen lassen, Demoiselle,“ hub er an, „ohne mir Ihre allerliebsten Fingerspitzen zum Küssen zu reichen?“

Sie schüttelte kokett den Kopf.

„Ich muß nun an meine Arbeit, Herr,“ versetzte sie, sich von ihm abwendend.

D« Fremde ergriff sie am Arme.

„Der Wilhelm sieht’s nicht!“ sagte er in neckendem Tone.

Sie entzog sich ihm mit einer raschen gewandten Bewegung, nickte ihm lächelnd zu und wollte eben der Treppe im Hintergrunde der Hausflur zueilen, als sie plötzlich wie angewurzelt stehen blieb und erschrocken ausrief:

„O, mein Herr, gehen Sie doch! Gehen Sie!“

„Was ist Ihnen, weshalb wechseln Sie erschrocken die Farbe? Sehen Sie den Wilhelm drohend da hinten auftauchen?“

„Sie haben noch gut scherzen,“ rief sie halblaut aus, ängstliche Blicke zur offenen Thüre hinaus werfend, „machen Sie um Gotteswillen, daß Sie fortkommen; fort – nein, nicht in den Garten, das ist zu spät, man sieht Sie – rasch hierhin, die Treppe hinauf – warten Sie oben!“

Und damit schob das junge Mädchen den Fremden, der willenlos ihrer Hast nachgab und nicht begriff, was sie so mit Angst erfüllte, die Treppe hinauf.

„Warten Sie, bis ich Sie herunterhole,“ rief sie ihm noch einmal halblaut nach und dann hörte er sie unten eine Thüre öffnen und davon gehen.

Er sah sich oben in einem schmalen Corridor, auf den die Treppe führte. Am Ende dieses Corridors befand sich eine Thüre, welche halb geöffnet stand und den Einblick in eine Kammer freiließ; im Hintergrunde der Kammer war ein offenes Fenster. Der junge Mann schritt den kleinen Corridor hinab und blickte neugierig in die Thüre; es war ein freundliches, nett und zierlich gehaltenes Giebelzimmerchen; Minettens Bett, mit weißer Spreitdecke überzogen, stand zur Rechten, links ein Tisch mit ihrem kleinen, einfachen Toiletten-Apparat. Der Fremde sah sich lächelnd in dieser friedlichen jungfräulichen Umgebung um, dann ging er bis an das offene Fenster, um einen Blick hinauszuwerfen.

Als er nun sich durch das Fenster vorbog, begegnete er höchst unerwartet einem anderen Blicke, der verwundert ihm entgegenschaute.

Dieser verwunderte Blick schoß aus den, die höchste Ueberraschung ausdrückenden, weit aufgerissenen Augen Wilhelms, des Gärtnergehülfen, der gerade unter dem Fenster auf seiner Leiter stand, noch immer mit dem Abpflücken unnützer Rebenblätter beschäftigt.

„Ah! Er! Er da?!“ rief Wilhelm aus, und mit dem zitternden Tone höchsten Zornes setzte er hinzu: „Was zum Teufel hat Er da zu schaffen?“

Der Fremde wollte antworten, aber der Gärtnergehülfe hörte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_089.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)