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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


der Bediente bei sich. Andererseits waren die Domestiken fest überzeugt, daß sie nach meiner Entfernung die Thür verschlossen und daß keiner von ihnen die Wohnung verlassen hatte. Gleichwohl hatten sie das Zuschlagen der Thür zu deutlich gehört, als daß von einem Irrthum die Rede sein konnte. Sie eilten sofort nach der Thür. Sie fanden sie unverändert verschlossen.

„Der Bediente sprang die Treppe hinunter. Er sah Niemanden, er hörte nichts. Er begab sich auf die Straße. Es war schon lange dunkel, aber die Gaslaternen brannten; er sah indeß auch auf der Straße nichts, namentlich keinen sich entfernenden Menschen. Die Kammerjungfer war unterdeß in mein Wohnzimmer und in die dahinter gelegene Schlafstube geeilt, deren beide Thüren nicht verschlossen waren. Sie hatte darin nichts verändert, nichts Verdächtiges, keine Spur gefunden, daß Jemand dagewesen sei. Die gleichfalls noch an dem Flurgange befindliche Salonthüre war verschlossen. Beide Dienstboten waren durch den Vorfall um so mehr erschrocken, je unbegreiflicher er ihnen erscheinen mußte. Sie besprachen sich noch darüber, als ich, fast in demselben Augenblicke, zurückkehrte. Sie theilten ihn mir auf der Stelle bei meinem Eintritte in das Haus mit.

„Mein erster Gedanke war der eines Diebstahls. Ich eilte in meine Wohnstube. Auch ich fand hier keine Veränderung. Ebenso konnte ich mit den Augen nichts Verdächtiges in meiner Schlafstube wahrnehmen. Ich kehrte in mein Wohnzimmer zurück, und hier entdeckte ich denn bald, daß ich in der That bestohlen war. In dem Zimmer steht mein Schreibsecretair. Ich hatte ihn vor meinem Ausfahren verschlossen und den Schlüssel zu mir gesteckt. Ich fand ihn auch jetzt noch verschlossen. Aber als ich ihn öffnen wollte, konnte ich zuerst gar nicht und nach wiederholten Versuchen nur mit Mühe den Schlüssel umdrehen. Bisher hatte der Schlüssel immer mit Leichtigkeit geschlossen.

„Mir blieb fast kein Zweifel, daß hier ein Dieb mit Nachschlüsseln operirt habe. Dies bestätigte sich bald. Der Schreibsecretair hat in der Mitte ein Fach, das zwar wieder eine besondere, aber nicht verschlossene Thür hat. Zu dessen beiden Seiten befinden sich gleichfalls unverschlossene Schubfächer. Ich untersuchte zuerst diese letzteren. In einem derselben hatte ich das zu den laufenden Ausgaben bestimmte Geld liegen. Ich hatte am Morgen gerade dreißig Gulden hineingelegt. Sie waren fort. Ich war also bestohlen. Die dreißig Gulden waren nur eine Kleinigkeit; aber wie weit mehr konnte mir gestohlen sein!

„Ich öffnete rasch das mittlere Fach; dort lag der Schlüssel zu dem Wandspinde in meiner Schlafstube verwahrt. Ich hatte dieses kurz vor meinem Ausfahren verschlossen und den Schlüssel in das Fach gelegt. Und in dem Spinde hatte ich mein sämmtliches Silberzeug, meine Juwelen und ungefähr fünfhundert Gulden baares Geld. Der Schlüssel lag noch in dem Fache. Ich stürzte damit zu dem Spinde, und öffnete es. Es öffnete sich leicht, wie immer. Ich sah zuerst nach meinen Juwelen; sie waren in einer Chatoulle verwahrt. Die Chatoulle stand auf ihrem Platze. Sie war dem Anscheine nach unberührt. Ich öffnete sie, es fehlte nichts darin. Auch das Silberzeug war vollständig da, und an dem offen daliegenden Gelde fehlte ebenfalls nichts. Ich athmete leichter. Aber es wurde mir wieder schwerer, wenn ich daran dachte, wer der Dieb sein könne, wer es nach Allem sein müsse. Der Diebstahl konnte nur von Jemandem verübt sein, der genaue Kenntniß von der Einrichtung der Wohnung, von meinen Gewohnheiten und auch von meiner gestrigen Abwesenheit hatte, also fast nur von Jemandem, der zu meinen Hausbewohnern gehörte oder gehört hatte. Meine Domestiken waren mir immer treu gewesen; sie hatten mir zu keinem Verdachte Veranlassung gegeben. Wer anders mithin, als die Heisterberg, meine vormalige Gesellschafterin, konnte der Dieb sein?

„Sie kannte die Wohnung, meine Lebensweise, sie wußte, daß mein Geld für die gewöhnlichen Ausgaben in jenem Schubfache des Schreibsecretairs lag. Sie war bei meinem Ausfahren zugegen gewesen und wußte, daß ich vor Abends acht Uhr nicht zurückkehrte. Ich hatte sie schon wegen früherer Diebstähle dringend verdächtig halten müssen. Dazu kam die Mittheilung meiner Dienstboten über das Zuwerfen der Flurthür. Die Heisterberg hatte sich während meiner Abwesenheit in Louisenhof acht Tage lang allein im Besitze des Drückers zu der Thür befunden. Wie leicht war es ihr gewesen, sich einen zweiten machen zu lassen!

„Ich hatte nur noch einen einzigen Zweifel. Die Heisterberg, mochte sie den früheren Diebstahl verübt haben oder nicht, wußte, daß in dem Wandspinde mein übriges Geld, mein Silber und mein Schmuck sich befand. Sie wußte, daß der Schlüssel zu dem Spinde in dem Fache des Schreibsecretairs lag. War sie nun die Diebin, warum hatte sie sich mit jenen dreißig Gulden begnügt, da sie doch ohne alle Mühe auch zu dem Andern gelangen konnte?

„Allein gerade dieser Umstand mußte bei näherem Nachdenken meinen Verdacht wieder bestärken. Ein gewöhnlicher Dieb, namentlich ein frecher und gewandter, und nur ein solcher konnte, wenn ein Fremder den Diebstahl begangen hatte, diesen verübt haben, ein anderer Dieb hätte unstreitig mit dem in dem Secretair gefundenen Schlüssel weitere Versuche gemacht und namentlich auch an dem Spinde in der nebenan befindlichen unverschlossenen Schlafstube. Die Heisterberg dagegen konnte eben nur in einer augenblicklichen Geldverlegenheit, über den Betrag der entwendeten unbedeutenden Summe nicht hinaus, sich befunden haben.

„Endlich, wie oft hatten die geheimnißvollen Erzählungen der Person in mir den Verdacht erwecken müssen, daß sie eine Abenteurerin sei?

„Ich faßte einen raschen Entschluß. Ich mußte mit einem Male darüber in’s Klare kommen, ob die Person die Diebin war oder nicht; dies konnte ich nur durch Ueberraschung.

„Mein Wagen stand noch angespannt; ich stieg sofort wieder hinein, um zu der Wohnung der Heisterberg zu fahren.

„Ich fuhr zuerst bei dem Polizeicommissarius vor, der auf mein Ersuchen mit mir fuhr. Ich theilte ihm unterwegs die Diebstähle und meinen Verdacht mit. Er fand diesen nicht hinreichend zu einem sofortigen polizeilichen Einschreiten gegen die Heisterberg, er wollte sich nur dazu verstehen, in ihrer Wohnung Erkundigungen über ihr Leben überhaupt und besonders darüber einzuziehen, wo sie den Abend zugebracht habe; ich mußte mich damit begnügen. Ich ließ ihn unten in der Wohnung der Generalin, bei der die Heisterberg wohnte, und begab mich allein in ihr Zimmer.

„Sie war zu Hause.

„Sie empfing mich überrascht, aber, ich muß es gestehen, nicht verwirrt, ganz natürlich überrascht, wie sie über den völlig unerwarteten Besuch einer bekannten Dame sein konnte. Sie war entweder unschuldig oder eine vollendete Schauspielerin und dann auch Verbrecherin. Ihre Unbefangenheit brachte mich ein wenig außer Fassung. Wäre sie verlegen, verwirrt gewesen, so hätte ich ihr den Diebstahl auf den Kopf zugesagt und sie, wenn sie leugnete, aufgefordert, mir, um sich von dem Verdachte zu reinigen, alle ihre Behältnisse zu öffnen und vorzuzeigen. Konnte ich das jetzt?“

(Fortsetzung folgt.)

Bei Ernst Keil in Leipzig ist erschienen:

Goethe und die lustige Zeit in Weimar.
Von

August Diezmann.
Mit einem Plane vom damaligen Weimar und mit einer bisher noch ungedruckten Abhandlung von Goethe.

19 Bogen. eleg. broch. 11/3 Thaler.

Der Verfasser hat es versucht, Goethe’s und seines fürstlichen Freundes Karl August stürmische Jugend ausführlich zu schildern, und legt nun, da beiden in Weimar, an der Stätte ihrer Wirksamkeit, eherne Denkmale errichtet werden, die Frucht seiner Studien nebst Mittheilungen von Zeitgenossen und bisher unbekannten Documenten vor, die Mancherlei aufklären werden. – Es zerfällt diese Schrift in sieben Capitel:0 1. Goethes Reise von Frankfurt nach Weimar; 2. Weimar zur Zeit seiner Ankunft daselbst; 3. Der Kreis, in den er eintrat, nebst Schilderungen von Karl August, den Herzoginnen Louise und Amalie, der Sängerin Corona Schröter etc.; 4. Das heitere Leben am Hofe und Goethe’s Betheiligung daran: 5. das fürstliche Privattheater und Goethe’s Thätigkeit für und auf dieser merkwürdigen Bühne; 6. Goethe’s Liebe zu der Frau von Stein; 7. Seine amtliche Thätigkeit in seiner Stellung als Minister Karl August’s bis zu seiner Reise nach Italien.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_100.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)