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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Ich denke, die Frau von Waldheim hatte beide Schlüssel mit nach Louisenhof genommen.“

„Wo pflegten sie zu sein, wenn die Majorin zu Hause war?“

„Den Schlüssel zum Secretair trug die Frau von Waldheim immer bei sich; den zum Spinde legte sie gewöhnlich in das mittlere Fach des Secretairs.“

„Sollte dies nicht auch bei ihrer Abreise nach Louisenhof geschehen sein?“

„Ich weiß es nicht; ich habe mich nicht darum bekümmert. Ich meinte, sie habe auch ihn mitgenommen.“

„Ist Ihnen die innere Einrichtung des Secretairs bekannt?“

„Sehr genau, da ich der Majorin oft Geld und Anderes herausholen mußte. Er hat zwei Reihen Schubfächer und in der Mitte jenes Fach mit einem unverschließbaren Thürchen.“

„Kennen Sie auch die Einrichtung des Wandspindes?“

„Ich habe es im Auftrage der Majorin gleichfalls häufig öffnen müssen; es hatte mehrere offene Fächer über einander.“

„War nicht eins dieser Fächer defect?“

„Ich weiß es nicht.“

„Hatte die Frau von Waldheim bei ihrer Abreise nach Louisenhof Geld zurückgelassen?“

„Ich weiß das nicht. Sie hatte mir wenigstens nichts davon gesagt.“

„Sie hatte Geld zurückgelassen.“

„Es kann sein.“

„Etwa zweihundert Gulden.“

„Es ist möglich, sie behauptet es; sie hat gestern Abend sogar behauptet, und sie wird dies auch heute vor Ihnen wiederholt haben, daß ich ihr, während ihrer Anwesenheit in Louisenhof, das Geld entwendet hätte.“

„Sie hat dies in der That wiederholt.“

„Wie gesagt, ich bezweifle es nicht.“

„Und Sie haben den Diebstahl nicht begangen?“

„Nein, mein Herr!“

Alle ihre Antworten waren klar, bestimmt, offen, ohne alles Zögern, ohne irgend ein Zeichen von Verwirrung oder Verlegenheit gegeben. Sie hatte mich klar dabei angesehen.

Bei ihren letzten Worten sah sie mich zugleich stolz an; sie erhob ihre Gestalt; ihr ganzes Wesen drückte die Aufforderung, die Herausforderung aus: „Sieh mich an, ob Du einen einzigen Zug einer Diebin in mir entdecken kannst!“ Und in dem Allen lag eine so einfache, natürliche Wahrheit.

Ich mußte kalt und ruhig mein Verhör fortsetzen.

„Glauben Sie, daß die Frau von Waldheim gar nicht bestohlen sei?“

„Im Gegentheil, ich bezweifle den Diebstahl selbst nicht.“

„Haben Sie einen Andern wegen desselben in Verdacht?“

„Ich habe auf Niemanden einen Verdacht.“

„Wie erklären Sie sich dessen Verübung denn?“

„In der Residenz wird viel gestohlen, mit großer Frechheit, auch mit großer Schlauheit. Ich war nicht immer zu Hause; auch die Köchin nicht. Wie leicht kann während unserer Abwesenheit ein Dieb mit Nachschlüsseln eingedrungen sein!“

„Der Diebstahl setzte eine genaue Kenntniß der Einrichtung des Hauses und der Gewohnheiten der Frau von Waldheim voraus.“

Sie sah mich wieder mit einigem Spotte an.

„Das sagen auch Sie den Anderen nach? Und doch werden sicher Hunderte Ihrer Actenstücke ähnliche Diebstähle aufweisen, in ganz gleicher Art von Menschen verübt, die nie an dem Orte des Diebstahls gewesen waren und keinen einzigen Bewohner desselben kannten.“

Sie hatte nicht Unrecht. Ich war, mit der Bestohlenen, befangen gewesen, als ich annahm, der Dieb sei nur unter den Hausgenossen zu suchen. Ich hatte mich übereilt, als ich ihr dies vorhielt; ich konnte ihr auch nicht die besondere defecte Beschaffenheit des Spindes entgegenhalten; denn die Majorin hatte nur gerade darum, weil diese ihr allein bekannt war, das Geld auf dem untersten Boden des Spindes verborgen.

Die Angeschuldigte fuhr von selbst fort:

„Sollte aber auch jene besondere, genaue Kenntniß zur Begehung des Diebstahls erforderlich gewesen sein, warum muß denn gerade ich allein diese besitzen? Die Frau von Waldheim sieht viele Menschen, hat auch unzweifelhaft vor mir viele Leute in ihrem Hause gehabt; sie hat deren noch –“

Ich unterbrach sie.

„Sie erklärten so eben noch, daß Sie gegen Niemanden einen Verdacht hätten!“

„Und dennoch wollte ich jetzt die Leute der Majorin verdächtigen! Das wollten Sie mir ja wohl vorwerfen?“

„Ihre Worte deuteten es an.“

„Konnte ich sie nicht auch anders meinen? Die Leute der Frau von Waldheim können Bekannte haben. Wie oft werden durch einen Liebhaber, Bruder oder andern Verwandten der Köchinnen oder Hausmädchen Diebstähle verübt!“

Auch darin konnte ich ihr nicht Unrecht geben. Sie war eifrig geworden, und in diesem Eifer fuhr sie lebhaft fort:

„Und sodann, die Frau von Waldheim hatte zwar ihre Domestiken, mit Ausnahme der Köchin, mit sich nach Louisenhof genommen; aber Louisenhof ist nicht weit von hier; wie leicht kann der Eine oder der Andere von ihnen hier gewesen sein! – Und Einer war hier!“ setzte sie auf einmal mit großer Heftigkeit hinzu.

„Wer?“ fragte ich rasch.

Sie gab mir keine Antwort und blickte unruhig vor sich hin, in sich hinein.

„Wer? Wer war hier?“ wiederholte ich.

Sie sah mich an, als wenn sie, mit ganz anderen Gedanken beschäftigt, die Frage nicht verstanden habe. Ich wiederholte:

„Mein Fräulein, Sie sagten geradezu, während der Abwesenheit der Frau von Waldheim in Louisenhof sei einer von ihren Domestiken hier in der Stadt gewesen. Wer war dieser Eine?“

„Ich weiß es nicht, mein Herr,“ antwortete sie mir kurz und auf einmal wieder völlig ruhig und kalt.

Es mußte hier ein Geheimniß vorliegen; aber ich konnte in diesem Augenblicke nicht darauf rechnen, es zu ergründen. Ich ging zu dem gestrigen Diebstahle über.

„Fräulein, sind Sie noch im Besitz von Schlüsseln zu der Wohnung der Frau von Waldheim?“

„Nein, mein Herr.“

„Wo haben Sie den gestrigen Abend zugebracht?“

Auf einmal wurde sie roth, verwirrt, gerade wie vorhin, als ich sie nach ihren Abendausgängen gefragt hatte. Eine große Unruhe hatte sie wieder ergriffen.

Ich hatte allerdings die Frage plötzlich, unerwartet an sie gestellt; allein dies konnte nicht der Grund ihrer Verwirrung und Unruhe sein; denn das geringste Nachdenken hatte ihr seit dem Augenblicke ihrer Verhaftung sagen müssen, daß jene Frage unausbleiblich vor Gericht an sie werde gerichtet werden und sie mußte deshalb auch vollständig auf eine Antwort vorbereitet sein.

Gleichwohl diese Verwirrung! Sie war von ihrem Stuhle aufgesprungen, ging mit großen Schritten in der Stube umher, sah bald nieder, bald empor zur Decke, bald auf mich und kämpfte heftig mit sich, was sie mir antworten solle. Ich wartete ruhig das Ende ihres Kampfes ab.

Auf einmal trat sie rasch vor mich. Sie hatte einen Entschluß gefaßt. Sie warf nur noch einen unschlüssigen Blick auf meinen Protokollführer.

„Ich hätte Ihnen eine Mittheilung zu machen,“ sagte sie, „aber nur Ihnen allein. Nach den Gesetzen muß Ihr Herr Protokollführer bei dem ganzen Verhöre zugegen sein. Gestatten Ihnen Ihre Gesetze, für einzelne Fälle eine Ausnahme zu machen?“

Ich antwortete ihr offen:

„Sie gestatten mir das allerdings. Sie fordern aber zugleich, jede Erklärung, die Sie mir allein gemacht haben, insofern sie für die Untersuchung von Wichtigkeit ist, mir in Gegenwart des Protokollführers von Ihnen wiederholen zu lassen.“

Sie kämpfte wieder mit sich, zwar nur noch kurze Zeit; dann hatte sie wieder einen Entschluß gefaßt, aber ich sah ihr leicht an, daß dieser nicht ganz der vorhin gefaßte war.

„Mein Herr,“ sagte sie, „ich hatte am gestrigen Abende auf beinahe zwei Stunden meine Wohnung verlassen. Ich war erst wenige Minuten vor dem Eindringen der Frau von Waldheim bei mir zurückgekehrt. Das Dienstmädchen der Frau Generalin hat vollkommen die Wahrheit gesagt.“

„Und wo waren Sie gewesen, Fräulein?“

„Herr Criminalrath, das ist es, was ich Ihnen hier nicht sagen kann, auch nicht mehr Ihnen allein, seitdem ich weiß, daß Sie es zu Protokoll nehmen müssen. Und das müßten Sie, ich sehe es jetzt ein. Es würde Personen compromittiren, die ich unter keinen

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