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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

damit schon ausgesprochen und warf seinen Purpur über die selig zusammenzuckenden Betheiligten.

O, die glücklichen Herzen, welchen diese Stunde Lebenswürze reichte!

Lina fühlte sich in diesem Kreise so heimisch, als habe sie ihm immer angehört, und ihre gewinnende Naivetät wurde nun mittheilsam. Da flog denn freilich mancher Wolkenschatten über ihre Züge. Sie erzählte vom Leid ihrer Jugend, von der Rohheit und Gemeinheit ihrer Umgebung, von dem widerwärtigen Andrängen ungebildeter Männer, ja, ihr Auge füllte sich mit Thränen, als sie berichtete, wie sie von ihrer Mutter gezwungen worden war, den Einladungen zu Tanz und Spiel zu folgen. Jedes ihrer Worte war ein stiller Ankläger dieser gemeinen, selbstsüchtigen Frau, und doch gefiel es den Zuhörern, daß sie dieselbe nicht laut anklagte. Aber es war zu errathen, was die Arme gelitten hatte.

„Deine Leidenszeit ist vorüber, armes Kind!“ tröstete Aurelie. „Du kehrst nicht mehr zu Deiner Mutter zurück.“

„Sie wird mich aber zurückverlangen.“

„Das wird sie nicht. Du würdest sie nicht mehr zu Hause finden. Sie hat sich bereits entfernt. Frage nicht, Du sollst später das Nöthige erfahren. Jetzt sollst Du Dich nur freuen, daß ein neues Leben für Dich begonnen hat, und kein Mißton soll Dir diese Freude stören.“




IX.
Unthat aus Rache und Eifersucht.

Wenn es in Kremnitz noch einen glücklicheren Mann als Eduard Kahlert hätte geben können, so wär’ es unstreitig der Oberbergmeister von Hammerstein gewesen. Der führte seine Freunde in die schönen Berg- und Waldpartien, bereitete ihnen Überraschungen und bewirthete sie mit der liebenswürdigsten Ubertät. Freilich führte er bei solchen Ausflügen Lieschen stets und wich nicht von ihrer Seite, freilich verrieth er, ohne es zu merken, daß er eigentlich Alles nur ihretwegen thue; er componirte Nachts sogar Gesangstücke, in welchen er Lieschen und sich die zärtlichsten Duette gab, und wenn sie draußen auf einem Felsenplateau oder im Walde ausgeführt wurden, sang er das zarte Kind mit einer Gluth und Leidenschaft an, daß es Allen sonnenklar wurde, selbst Eduard und Lina, die doch mit sich selbst genug zu thun hatten, daß er in die schlanke Sängerin sterblich verliebt sei und ihr Herzchen zu erobern sich bestrebe. Bei solchen Ausflügen, die sich schier täglich wiederholten, führte Eduard Lina und Liebheld seine Frau, und alle drei Paare hielten sich in so anständiger Entfernung von einander, daß keins vom andern und vom dritten gestört wurde.

Zu Hause arrangirte Hammerstein Concerte und Bälle und immer war er Lieschens Partner, wie Eduard der Lina’s. Natürlich verbreitete sich unter den Bergleuten, wie unter den übrigen Bewohnern der Bergstadt, welche sich durch die gefängliche Einziehung des Obersteigers Ambrunn, der Wittwe Schönebeck und des Griechen Theodoro bereits in sehr aufgeregtem Zustande befand, schnell das Gerücht, mit den räthselhaften Fremden, welche diese außerordentlichen Maßnahmen der Behörde veranlaßt, seien für den Oberbergmeister eine Braut und für Lina von Schönebeck ein Bräutigam gekommen, und der Proprietär Tomanek machte zu letzterer Kunde ein sehr albernes Gesicht. Vom Steiger Leberecht Ambrunn dagegen sah und hörte man nichts. Auch hatte seiner Niemand sonderlich Acht.

Der Oberbergmeister hatte es zu seinem Entzücken endlich aus Lieschens kindlichem Herzen herausgelockt, daß er ihr nichts weniger als gleichgültig sei. Nach einigen Tagen vertraute Herr von Hammerstein den Freunden Liebheld und Kahlert mit geheimnißvoller Wichtigkeit, daß er eine ganz besondere Festlichkeit vorhabe. Da Liebheld merkte, daß der Oberbergmeister gefragt und gedrängt sein wollte, so that er ihm diese Gefälligkeit und erfuhr nun, daß es das zwiefache Verlobungsfest Eduards mit Lina und seiner selbst mit Lieschen sein sollte, auf entsprechende charakteristische Weise in einem Goldschacht gefeiert, in welchem er einen Saal decoriren und illuminiren lassen werde. Dort sollte am Festtage gespeist, concertirt und getanzt werden. Er war eifrig mit der Composition der Musikstücke zu diesem Tage beschäftigt. Nun bat er die Freunde, ihn beim Arrangement mit Rath und That zu unterstützen, aber um des ewigen Heils willen Alles geheim zu halten, damit die Frauen nichts erführen und ihnen eine volle großartige Ueberraschung bereitet werden könnte. Zum Vormittag des folgenden Tages lud er denn die beiden Freunde ein, ihn in den Schacht zu begleiten, um das Local in Augenschein zu nehmen und die Festeinrichtung zu besprechen.

Der Morgen war ungemein schön und zu Ausflügen in den grünen Bergwald verlockend. Als daher der Oberbergmeister kam, die beiden Freunde abzuholen, bestanden die Frauen darauf, sie bis zum Mundloch des Schachtes zu begleiten und dann, während die Herren im Berge wären, auf demselben sich zu ergehen. Dieses Verlangen wurde mit Freuden zugestanden, selbstverständlich ohne ihnen etwas von der eigentlichen Absicht des Besuchs im Bergwerk ahnen zu lassen. Heiter kosend gingen die drei Paare Arm in Arm die buschigen Pfade dem Eingange des großen Schachtes zu. Der Oberbergmeister hatte die Einfahrt schon vorbereitet und die dazu bestimmten Knappen warteten unter dem das Mundloch schützenden Dache. Die kleine fröhliche Gesellschaft war bereits in der Nähe desselben, als Caroline den Steiger Leberecht Ambrunn vorüberlaufen sah, einer Gegend zu, wo sich ein zweiter, aber weniger benutzter Eingang in die Grube befand. Der Mensch sah zum Erschrecken bleich und verwirrt aus und warf ihr einen scheuen Blick zu, der sie im Innersten der Seele erbeben machte, so daß sie sich unwillkürlich fester an Eduard Kahlert, gleichsam ihren natürlichen Beschützer, anschmiegte. Ehe der unheimliche Bergmann hinter der Waldecke verschwand, begegnete ihr geängstigtes Auge einem zweiten Blicke aus dem seinigen, welcher, Liebesraserei und Verzweiflung ausdrückend, ihr den letzten Rest von Heiterkeit raubte. Es war ihr, als wäre ein eisiger Hauch über ihr warmes Herz hingestreift und habe die jungen Triebe darin gemordet. Eduard befragte sie zärtlich über ihr plötzliches Verstummen. Zusammenschauernd versetzte sie:

„Es läuft mir wie eine bange Ahnung kalt durch die Seele. Wenn Ihnen im Berge nur kein Unglück zustößt.“

Eduard lachte.

„Nicht doch, süßes Kind! Die Sache ist gar nicht zum Unglück angethan. Aber Ihr Zagen entzückt mich.“

Er küßte sie begeistert auf die hohe, reine Stirn, denn sie waren beim Eingange und man schied mit der Verabredung, daß die Damen in einer Stunde wieder zur Stelle sein sollten, die zuerst angekommene Partei sollte auf die andere warten. Die Herren fuhren ein, die Damen erklimmten langsam und sich oft rückwärts der Aussicht auf das Thal zuwendend, den Bergpfad. Lina wurde immer stiller, aber auch Aurelie und Lieschen wurden von einer ernsten Stimmung befallen, gleichsam als wären sie von der Schwester angesteckt. Zuletzt gingen sie nicht mehr von der Stelle, und es kam zu Erklärungen.

„Mich überwältigt eine Angst,“ sagte Lina, „die ich Euch nicht mit Worten beschreiben kann. Sie schnürt mir die Brust zusammen und erschwert mir das Athmen, so daß ich nicht im Stande bin, den Berg weiter zu ersteigen. Mir ist, als müßte den Männern ein Unglück begegnen. Dieser Steiger Ambrunn ist ein böser Mensch.“ Die letztern Worte sagte sie leise in sich hinein.

„Seltsam!“ nahm Lieschen das Wort. „Du beschreibst meinen eigenen Zustand. Seit wir die Herren im Schacht haben verschwinden sehen, hat auch meine Seele eine sich steigernde Angst ergriffen. Das hat etwas Schlimmes zu bedeuten.“

„Ich will es Euch nicht verhehlen, Kinder,“ sprach Aurelie, „mir ist ganz ähnlich zu Muthe. Aber was können wir thun? Unter einer Stunde kommen die Herren nicht wieder zu Tag. Wir müssen eben warten und wollen uns niedersetzen. Vielleicht wird uns eine freundlichere Stimmung.“

Sie setzten sich an einem Raine, aber die Unterhaltung wollte nicht, wie früher, in Fluß kommen. Lina mußte immer an den düstern Steiger denken und erzählte einiges von den höchst leidenschaftlichen Bewerbungen dieses verschlossenen Menschen um sie. Oft schon hatte sie vor ihm geschaudert, nie aber noch so wie vorhin, als er mit dem eigenthümlich wilden und scheuen Blick an ihr vorübergeglitten war. Plötzlich stockte sie mitten in der Rede und fuhr schreiend empor; die beiden Andern folgten eben so rasch ihrem Beispiele. Der Boden zitterte unter ihnen, wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_170.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)