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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Halten wir eine flüchtige Musterung und heben nur einige zur näheren Betrachtung besonders hervor.

Hier ein Kindergrab mit einem Blumenrasen bedeckt, wo zwischen Gras und Blumen eine ganze kleine Heerde weidet, schneeweiße Lämmlein, von knieenden, sitzenden oder stehenden Engeln und Genien bewacht, die blendendweiß aus den flüsternden Gräsern und den nickenden Blumen ragen, von goldenen Bienen umschwärmt, von farbigen Schmetterlingen umgaukelt. Es sind Figürchen aus Gyps, wie wir sie oft bei hausirenden Italienern sehen, nicht selten wirkliche Kunstwerke der edelsten Formen und Stellungen und nehmen sich im dunkeln Grün und Blumenlicht allerliebst als Grabfiguren aus, die entweder betend die schön gebildeten Händchen falten oder Hirtenstäbe, verschiedene Attribute und Symbole tragen. Hier ein die Fackel senkender Genius, dort ein Engel, der ein Täubchen an’s Herz drückt; ein anderer, der eine Weiheschale ausgießt; dieser einen Kranz oder eine Krone niederlegend, jener ein ganzes Nest voll zappliger Vögelchen mit dem niedlichen Fingerlein ätzend oder mit Seifenblasen spielend. Nebenan eine für jedes zarte Menschenherz fast hörbare Himmelsmusik auf dem Blumengrab: Harfen und Flöten spielende Engel, während ein holdes Kinderpärchen sich küssend einander in den schön gerundeten Armen liegt. – Wie sinnvoll Alles, nicht auszusprechen auf so mildschöne und dennoch so tief eindringliche Weise durch die kostbarsten Mausoleen und Goldschriften!

Dort ein anderes Grab. Das bunte Spielzeug des Kindes, womit es in den kurzen Rosentagen seines Lebens sowohl sich selber, als das Auge der zartliebenden Mutter, des treusorglichen Vaters, der theilnehmenden Verwandten und Bekannten spielend erquickte, ist rings auf dem grünsammetnen und blumengestickten Hügelchen zerstreut. Fast will es unser Herz gemahnen, als ob das kein Grab, sondern der frühlingshelle Spielplatz des Kindes sei, das eben kurz vorher denselben heiter verlassen hätte, um in Bälde und noch heiterer wiederzukehren zur Fortsetzung seiner unendlichen Freuden im engsten und doch so himmelweiten Räume der Kinderstube, worin die Mutterliebe die erste Gottheit und der schönste Engel in tausend Verwandlungen ist, unter immer neuen Hüllen immer himmlischer strahlend. Die Art der Spielsachen verräth es sogleich, daß der kleine Todte ein Knäblein gewesen. Die kleine Trommel, roth und weiß im Zickzack bemalt, die winzigen, in zierlicher Rundung gedrechselten Schlägelchen daneben gestreut. Wem schweben dabei nicht augenblicklich auch die noch zierlicher gerundeten Aermchen und Händchen des Mutter- und Vaterlieblings vor den Augen, der einst mit diesen Schlägelchen die Trommel gerührt und das einsame Stubenleben der Mutter mit einem lebendigen Wiederhall des Markt- und Straßenlebens unterbrochen, und es manchmal vielleicht nur zu lebendig betrieben hat? Das feuerfarbene Uhlanenmützchen mit dem blutrothen Lanzenfähnlein, ein gelbglänzendes Waldhörnchen und eine mit baumelnden Quasten verzierte Kriegstrompete liegen durch- und übereinander gewürfelt, während etliche Miniaturen von Sternenbannern in aufrechter Stellung eine Art Fahnenwache halten. Das braunröthliche Flintchen mit weißem Blechrohr, das Säbelchen in der Messingscheide sind an den Sattelknopf des federbuschigen Schaukelpferdchens gehängt, dessen niedliches silberhelles Halsgeschell man mitten aus dem Freudenlärm heraus noch zu hören glaubt, als der kleine Republikaner sein wildes Schlachtroß in der Parade getummelt vor den Augen seiner Lieben und Mitgespielen. Die gelben Steigbügelchen an rothen Lederriemen hängen noch immer blank herab, in gespannter Erwartung, dem muthigen Reiter zu einem neuen Ritte in’s Paradies der Kindheit zu dienen.

Neben diesem, in ein eigenes Rosen- und Liliengärtchen mit silberweißen Stacketen eingeschlossen, hebt sich ein anderes Grabhügelchen, auf dem uns das umhergestreute Spielzeug sogleich beim ersten Anblick das Bild eines etwa dreijährigen Mädchens vor die Seele zaubert. Auf einem Spieltischchen ist das Nürnberger Küchengeräth in allerliebster Unordnung zur Schau gestellt: ganze und zerbrochene Porzellantellerchen und Täßlein, mit Blumen und Goldrändern verziert; buntfarbige Schälchen und Schüsselchen, ein blaukrystallenes, gold- und rosengeschmücktes Trinkgläschen, in dessen Mitte ein geflügeltes Engelsköpfchen schwebt, aus strahlendem Lichtgewölk selig lächelnd. – Auf einem winzigen Küchenkästchen in Reihe und Glied gestellt paradiren Zuckerhütchen, aus ihren blauen Packpapieren wie halbvermummte silberhaarige Zwerglein aus blauen Mäntelchen lugend oder als fernblaue Miniaturalpen mit beschneiten Gipfeln. – Die hübsche Puppe, mit einem schimmernden Brautkränzchen geschmückt, als wäre sie des Hochzeitsfestes eben gewärtig oder mitten darin unterbrochen worden, ruht einsam und traurig in der Ecke ihres rothsammetnen Sopha’s. Ersehnt sie vielleicht mit Ungeduld den Anfang oder die Fortsetzung der Feier, die holde Rückkehr der Brautmutter erwartend, ihre Gespielin und Herrin, Mütterlein und Mitpuppe in einer Person? – Zu ihren Füßen sammelt eine Gluckhenne mit rundgebauschten Flügeln ihre trippelnden Hühnchen um ein niedliches Porzellanfigürchen, ein allerliebstes, rundgegliedertes Kind im kurzem Silberhemdchen, mit einem Händchen lockend, mit dem anderen Futter streuend.

Ueber ein himmelblaugepolstertes Tabouretstühlchen ist ein Rosakleidchen geworfen, ein Paar schneeweiße Strümpflein darüber gestreut und daneben am Boden stehen zwei rothsaffianene Schühlein, als wären sie so eben durch Mutterhand vom runden Kinderfüßlein abgelöst und zur Seite gestellt, bis auf morgen, wenn der Liebling, den sie so eben mit Muttersegen in’s Wiegenbettchen gelegt, an ihrem Herzen wieder auf’s Neue zum Licht erwacht. – Auf einem zweiten Tischchen neben einer Kinderhaube mit Rosaband liegt eine lange, reiche Locke goldenen Haares, eine Naturblüthe des Kinderhauptes.

Und blicken wir länger und länger in brütenden Gedanken auf diese Denkzeichen der Kinderwelt, so füllt sich das leere Röcklein und sichtbar wächst die ganze liebliche Kindesgestalt, wie sie leibte und lebte, aus den rothen Saffianschühlein bis zum blühenden Lockenhaupt vor unseren Augen empor.

Ich sah eine Mutter an dem Grabe ihres Kindes knieen, sie hatte die Puppe ihres unter dem Rasen ruhenden Lieblings in der Hand, und legte ihr unter zahllosen Thränen ein neues Kleidchen und neue Strümpfe an, als könnte in der nächsten Minute der blonde Lockenkopf ihr entgegenspringen, und beim Anblick der neugeputzten Puppe das so oft gehörte liebe Wort flüstern: „Danke Mama – meine gute liebe Mama!“

Diese eben geschilderten Reliquien ruhen unter Schutzdächern von Glas, in Form von etwa drei bis vier Fuß hohen Zelthütten. Manche – augenscheinlich die Kindheitsschätze der Aermeren – liegen völlig frei, der Unbill jeder Witterung ausgesetzt, und bieten natürlich nach einiger Zeit einen traurigen Anblick: Tod unter dem Hügel und auch Tod über demselben im Erbleichen und Verwittern all’ der Symbole und Zeichen, die an ein Liebes und Theures auf freundschaftliche Weise noch für längere Zeit erinnern sollten. Die von Gypsfigürchen belebten Gräber können gar leicht von Zeit zu Zeit wieder auf’s Neue bevölkert werden, so lange noch ein lebendiges Herz daran hängt, sie geschmückt zu sehen. Andere sind wieder, statt durch geschlossene Glashüllen, blos durch offene Schirmdächer geschützt, aus Holz oder Blech verfertigt, mit dunkler oder lichter Farbe bemalt.

So in der größten Mannichfaltigkeit geziert, reihen sich zu Tausenden die Kindergräber, manche mit geschmackvollen Holz- und Eisengittern eingefaßt oder ganz frei zwischen Blumen- und Grasrabatten ruhend; in Rahmen von Wintergrün, Rosen- oder Hollunderhecken, von Trauerweiden, Cypressen u. s. w. beschattet. Einige haben neben der Reliquienzier auch noch andere Denkzeichen, meist aus blendend weißem Marmorstein gebildet, in Kreuz-, Pyramiden-, Säulenform u. s. w. mit kurzen und langen Inschriften. Jene Gräber mit Glasgehäusen, denen weitere Denkmäler fehlen, haben mitunter innen an den Glaswänden auf lange und breite Papierstreifen Sprüche oder Nachrichten aufgeschrieben, die mehr oder weniger interessiren.

Bei einigen zeigt der Spielmarkt neben Katze und Pudelhündchen sehr niedliche und künstlich gearbeitete Eisenbahn- und Dampfschiffmodelle; dort ein schnäbelndes Taubenpaar, hier ein volles Lerchennest und die sorgliche Lerchenmutter eben bemüht, die kleinen Schreihälse mit Leckerbissen zu stillen. In dem einen und andern der Glaskästen waren sogar die Lichtbilder der Verblichenen aufbewahrt: also die ganze Kinderseele im offenen Angesicht. Ein Blick in ein liebes Menschenantlitz, überhaupt das Bild eines Geliebten: gewiß das schönste und umfassendste Denkmal, das in: Reiche der Erinnerung ein liebender Mensch dem andern, sogar der Todte noch bieten kann!



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