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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

da „der Wolf“, der mit eisernen Zähnen die Wolle zerreißt und sie vorbereitet für die feineren Maschinen, durch die sie dann gehen muß, bis sie zum glatten, haltbaren Faden wird! Und die „Krempel-“, die „Locken-“, die „Spinn-“ und „Feinspinnmaschinen“, wie sie summen und surren, wie Tausende von Spindeln pfeifend sich drehen! Ist’s doch, als sitze an jeder einzelnen Maschine ein unsichtbarer Geist und hauche hinein mit seinem Athem in die blanken, eisernen Räder und Getriebe; ein Geist, allgewaltig, allumfassend, allgroß, und doch ist’s nur der Geist des kleinen Menschen, der das erdachte, erfand; des kleinen Menschen, der durch den Geist eben so groß da steht!

Und einen Blick weiter. In den andern Sälen stehen die Webstühle. Wie fliegt da der „Schütz“ durch die „Werfte“, wie läßt er die „Spule“ von einem Ende zum andern sausen, so daß Faden auf Faden sich legt und „Werfte“ und „Einschlag“ sich einen und binden zum Ganzen! Und unten in dem Raume, wo die „Walke“ sich befindet, dann daneben in dem Saale. wo die Maschinen für „Appretur“ stehen: welch’ ein Greifen und Eingreifen, welch’ ein Regen und Bewegen, daß die Tuche nun Glätte und Glanz und somit ein schönes Aeußere erhalten! Und diese kleine Welt, diese Tuchmacherwelt durchschreitet jetzt der alte Herr noch ein Mal, ehe es Feierabend wird. Das sämmtliche Arbeiterpersonal sieht den alten Herrn immer lieber kommen, als den jungen Herrn. Der Letztere ist einzig und allein nur bei der Sache, – er lobt oder tadelt. Der alte Herr hat nebenbei noch immer ein kleines Gespräch, wenigstens mit den Werkführern, ein scherzendes Wort auch für manchen einzelnen Arbeiter; sein Lob ist herzlicher, sein Tadel milder. Heute hat er den Werkführern das Gedicht von „Ernst Heiter“ vorgelesen.

Er war in allen Sälen, – sah, hörte, sprach. Jetzt zieht er aus den lärmvollen Räumen sich zurück. Er geht nach dem stillen Zimmer, welches sich am Ende des einen Gebäudes befindet. Nicht der Stille wegen sucht er es auf, an den Lärm in den Sälen, an die ganze Maschinenmusik ist sein Ohr ja längst gewöhnt, er hört sie gern, er hat sie lieb, – es ist die Niederlage für fertige Waaren, in welche er jetzt eintritt. Hier betrachtet er die Stöße der aufgespeicherten Tuche. Hier ist’s ihm wohl, recht wohl. Er zählt und mustert. Dann blickt er mit Behagen durch’s Fenster hinab auf das Färbehaus, aus dessen Luftzügen der Kesselrauch dampft, und spricht berechnend vor sich hin: „was heute gefärbt wird an Wolle, kann nach wenigen Tagen „gewolft“ werden; bei solcher Witterung geht’s schnell mit dem Trocknen; nach vierzehn Tagen muß die heute gefärbte Wolle als Waare fix und fertig in die Niederlage kommen.“

„Will’s Gott,“ setzte er nach einer Weile hinzu und schloß das Fenster.

Kaum hatte er den Wirbel gedreht, so begab er sich an ein anderes Fenster. Nicht hinaus auf den Hofraum führte die Aussicht, sondern hinein in die Packstube, welche an die Niederlage angrenzte und aus verschiedenen, durch Tapetenverschläge getrennten Abtheilungen bestand. In einer dieser Abtheilungen saß Mathilde. Sie stickte die Firma des Hauses und die fortlaufende Nummer in die Tuche, wie jedes Stück an der Ecke des Endes diese Marke tragen mußte. Solche und ähnliche Arbeiten waren jetzt Mathilden zugewiesen. Früher hatte sie einer Spinnmaschine vorgestanden, und hatte, wie viele Mädchen und Frauen, in einem der Säle gearbeitet. Dieser mißlichen Stellung wich sie aus und konnte ihr ausweichen, seit sie – es war ein Jahr her – von einer verstorbnen Tante fünftausend Thaler erbte. Da erklärte sie dem Hause oder vielmehr einem Werkführer desselben, daß sie dem Fabrikleben entsagen wolle, es sei denn, sie fände ihren Platz am Sticktische und in der Verpflegung des Gartens. Das wurde ihr gewährt, und so blieb sie. – War sie aber schon früher ein Liebling des Hauses geworden, so steigerte sich dies durch die neue Stellung, in welcher sie mit dem alten Herrn und dessen Sohn oft in geschäftliche Verbindung kam, gar sehr.

Ein einfaches Mädchen der Fabrik, – und doch, welch’ ein Ausdruck in der vollen, schlanken Gestalt, welch’ ein Ebenmaß in den Gliedern, welch’ eine Seele in den Augen! Genug, Mathilde war schön, Mathilde war auch gut.

Am Fenster also stand der alte Herr, er blickte hinein in die Packstube.

„Karl hätte ja doch mit Dir sprechen können, armes Kind,“ sagte er vor sich hin, „und wie Du ihm nachsahst, als er fortritt! wer weiß, wer weiß, wie’s mit Deinem Herzen steht, – darum – gesprochen muß doch werden, es stehe so oder so.“

Er griff an die Klinke der Thür, welche in die Packstube führte. Er sann und sann, – er zog die Hand von der Klinke zurück, – er trat wieder an das Fenster, und auch hier stand er noch unentschlossen oder überlegend.

Endlich klopfte er mit dem Finger an die Scheibe, – er winkte, durch die Thür trat Mathilde.

Die Frühlingsabendsonne warf ihren Schein in das Zimmer, der alte Herr und das frischblühende Mädchen standen theilweise in lichter Vergoldung, als habe der Himmel an Beiden seine Freude.

„Sie haben befohlen, – Sie wollten über das Blumenbeet sprechen? – fast kann ich mir denken, was Sie meinen,“ sagte unbefangen und mit sanfter Stimme Mathilde.

„So, so, und was mag ich da wohl meinen?“ fragte lächelnd der alte Herr.

„Sie wünschen, daß das Beet, welches sich links am Eingange befindet, mehr mit Sommerblumen bepflanzt wird, als dasjenige, welches rechter Hand liegt.“

Der alte Herr zog seine Hände auf den Rücken, ging unruhig hin und her und sagte etwas verworren:

„Nun ja, – aber eigentlich doch nein, – nein, nein, Mathilde, bepflanze das Beet, wie Du willst, – Lüge und Schwindel stehen auf einer Linie, – nichts da! Höre mich, liebes Kind, ich wollte Dich eigentlich fragen, – ich wollte Dich wirklich fragen nach Deinem Herzen, nach diesem Blumenbeete, – aber eigentlich auch das nicht, – ich wollte Dich fragen über Karl, – oder nicht fragen, gar nicht fragen, – ich wollte Dir sagen, daß Karl –“

Er hielt inne, er blieb stehen, – er blickte hinab nach dem Hofraume, – er sah es nicht, wie über Mathildens Gesicht ein dunkles Roth sich ergoß.

(Fortsetzung folgt.)




Wild-, Wald- und Waidmanns-Bilder.
Von Guido Hammer.
3. Aus dem Fuchsleben.

Hassen sollte man den Liebenswürdigen – und lieben muß man Dich, Du Hassenswerther!

Dich meine ich, Du schlauester, ränkevollster Gauner der Thierwelt, der bald als Cavalier, bald als gemeiner Lump, dann wieder als ehrsamer Biedermann oder als frecher Räuber auftritt, gerade, wie sich’s eben paßt. Schlau jeder Gefahr ausweichend, unbekümmert, wie es scheint, ob sein Ruf darunter leidet und er als Feigling gilt, ist er, wenn es zum Treffen kommt, ein tapferer Kämpfer, und wahrlich nicht leicht macht er seinem Erzfeind, dem todesmuthigen Dachshund, den Sieg, der wohl oft zweifelhaft bliebe, stände letzterem nicht der überlegene Mensch zur Seite. Ja, noch mehr Muth, als im offenem Kampfe mit Feinden, beweist er im Kampfe gegen sich selbst; denn nicht zu selten kommt es vor, daß ein Fuchs eher Hungers stirbt, als einen Brocken anrührte, den er von Menschen als Lockspeise für ihn hingelegt glaubt. Oder auch: wenn er sich hat überlisten und fangen lassen, so ist er, wie die Erfahrung immer auf’s Neue lehrt, im Stande, sich selbst zu amputiren, um so mit Verlust eines Lauftes dem verderblichen Eisen zu entgehen. Außer dieser heroischen Tugend hat er noch manche andere, besonders die, ein treuliebender Gatte und ein sorgliches Familienhaupt zu sein. Freilich macht er in diesem Falle den jesuitischen Grundsatz: „der Zweck heiligt das Mittel,“ nur allzusehr geltend; denn gerade um deswillen wird er in der Zeit der ehelichen und väterlichen Pflichttreue der Schrecken seiner Mitgeschöpfe, der sich bis auf die harmlosesten „Springinsfeld,“ die zirpenden Grashüpfer oder einen summenden

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