Seite:Die Gartenlaube (1858) 194.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Front ist von eleganten Fuhrwerken belagert. Du betrittst die Treppe, sie ist von Marmor und doch mit Teppichen belegt; Du betrittst den Herrensalon, Du staunst ob der Pracht und Herrlichkeit; Du betrittst den Damensalon und Du bebst zurück vor dem Reichthum und Luxus; Du trittst auf nichts, als auf Sammet und Seide, Du siehst nichts, als Gold und Goldeswerth; Du nimmst ein Zimmer, schwellende Teppiche zieren den Boden, der Spiegel reicht von der Decke bis auf die Teppiche, die Möbel sind von Palisanderholz, das Bett ist blendend weiß überzogen, und auf solcher Matratze mit solchen Springfedern hast Du in Deinem Leben noch nicht geschlafen. Du gehst in den Speisesalon, das Frühstück besteht aus Thee oder Kaffee oder Chocolade und dazu hast Du Eier, Beefsteaks, Cotelettes, Schinken, Fische, Geflügel; ganz im Verhältniß fällt das Mittag’ und Abendessen aus; wolltest Du von Allem nur versuchen, Du müßtest einen herculischen Appetit haben. Du willst ein Bad, eine ganze Reihe Badezimmer steht parat und keine Secunde brauchst Du zu warten, bis das Bad fertig ist. Du willst Dich rasiren und frisiren lassen, Du darfst Dich nur ein paar Zimmer weiter bemühen, und der Barbier mit seinen Gehülfen nimmst Dich in Behandlung, denn ihm ist ein besonderes Local im Souterrain angewiesen, und eine solche Barbierstube findest Du in ganz Deutschland nicht. Die ganze Nacht schimmert das Hotel in einem Gasmeer, denn das Gas wird im Hotel selbst bereitet; es hat seinen eigenen Gasometer, seine eigene Gasfabrikation. Tausend Personen können alle Tage logirt werden, und vierhundert Dienstboten sind in den Zimmern und in Küche und Keller aufgestellt, um die Gäste zu bedienen. Fünfhundert Fremde müssen jeden Tag hier verkehren, wenn das Hotel nicht fallit gehen soll; so groß ist der tägliche Aufwand! Eine Person zahlt täglich von 3 1/2 bis 7 Dollars für Kost und Logis, je nachdem dieses Letztere feiner oder einfacher! Das ist das Sanct-Nicolashotel in Newyork, und kein Hotel in der Welt wird es an Größe und Luxus (möglicherweise aber an Geschmack und Bequemlichkeit) übertreffen.

Mitten inne zwischen dem European Hotel und dem Sanct-Nicolashotel liegen die übrigen Gasthöfe und nicht wenige nähern sich dem Nicolashotel, so das Metropolitanhotel, das Girardhouse, das Astorhouse, das Lafargehotel, das Delmonicohotel, das Howardhotel und wie sie Alle heißen.

Doch ein Hotel haben wir vergessen, ein Hotel, wie es kein zweites gibt auf Gottes weiter Erde, das berühmte Hotel Park.

Saubere und unsaubere, theuere und wohlfeile, großartige und winzige Gasthäuser findest Du in Leipzig wie in Paris, in Stuttgart wie in Katzenellenbogen, aber ein Hotel Park findest Du nur in Newyork. Nicht einmal Amerika hat ein zweites der Art aufzuweisen, nur die einzige Stadt Newyork besitzt es. Es ist das größte und besuchteste, das wohlfeilste und frequentirteste in der ganzen Welt, und so weit Du reisen magst, es findet nicht seines Gleichen.

Vor dem großen Marmorrathhause in Newyork, der Cityhall, dehnt sich ein ziemlich weitläufiger Park aus mit grünen Wiesen und schattigen Bäumen. Er mag wohl zehn Acker groß sein, dieser Park, und im Sommer, wenn die Sonnenstrahlen glühend herabfallen, ergehen sich täglich Zehntausende in demselben. Es ist eine grüne Oase mitten in dem ungeheuren Häusermeere. Hier säuseln Dir die hohen Bäume frische Luft entgegen und die Wasserwerke inmitten der grünen Umgebung erfrischen Deinen lechzenden Mund. Breite Marmorstufen führen zu der Cityhall hinauf, dorische Säulen schmücken den Eingang. Herrliche Fußwege, von grünem Rasen eingefaßt, führen im Zickzack um das weißglänzende Rathhaus herum. Du bist im Freien, bist in Gottes Natur, mitten in der geschäftsdurchwühlten, von Luxus und Elend gepeitschten Stadt. Und wenn die Sonne längst hinunter im fernen Westen, wenn das Regiment des Mondes und der Sterne begonnen, wenn das Gewühl in den Straßen sich gelegt und die Spaziergänger alle in ihren Wohnungen der Ruhe genießen, wenn man nichts mehr hört, als die fernen Carossen, die die Reichen vom Theater und Concert heimführen, oder den Tritt der leichtfüßigen Nymphe, die dem Blick des wachhabenden Sicherheitswächters zu entgehen sucht, wenn man nichts mehr sieht, als den lauernden Dieb, der an einer Straßenecke sich niederduckt, oder den faulen Polizeischutzmann, der das Auge kaum offen zu halten vermag, dann sammelt sich’s wieder an im Park von Cityhall. Von allen Seiten kommen sie herbei, leise und unsichern Trittes, denn das Elend tritt kraftlos auf. Vom Broadway und der Chathamsstreet, von der Centrestreet und von der Williamsstreet, von überall her nahen sie sich und lassen sich im Parke nieder. Lautlos, ohne ein Wort zu sprechen, schleichen sie sich heran, und der Eine setzt sich auf die breiten Marmorstufen, die zum Rathhaus hinaufführen, der Andere lehnt sich an die dorischen Säulen, der Dritte macht sich’s in einer Ecke bequem und der Vierte streckt sich unter einen Baum. Wohl denen, die einen bevorzugten Platz bekommen haben! Viele müssen sich damit begnügen, auf dem Grasboden oder den Steinplatten zu liegen, wenn die andern Plätze schon alle besetzt sind. Ein Stein ist das Kopfkissen, auf welches das müde Haupt niedersinkt, der nackte Erdboden ist die Matratze, auf welcher sich der Leib dehnt, der abgeschabte Rock ist die Bettdecke, mit der sie sich vor Sturm und Regen schützen.

Und nicht Einzelne sind’s, die sich allda ihr Nachtquartier suchen; auch nicht Dutzende sind es, sondern nach Hunderten kannst Du sie zählen. Freilich im Winter geht ihre Zahl etwas zusammen. Die meisten suchen eine Unterkunft in den Stationshäusern. Denn die Polizei in Newyork hat in jedem District vier oder fünf Stationshäuser und in jedem dieser Häuser, das gewissermaßen als Hauptquartier für diesen Unterdistrict gelten mag, befindet sich ein großes geheiztes Zimmer für die „Mühseligen und Beladenen“, die kein Nachtquartier fanden. Aber oft sind deren über Fünfhundert, und die Stationshäuser können sie nicht alle fassen! Oft werden so viel Vagabunden, Betrunkene und Diebe eingefangen, daß die „Andern“, die „Armen“, die „Mühseligen und Beladenen“ keinen Raum mehr haben. Wo sollen sich nun diese hinwenden? Wohin anders, als in ihr altes Quartier, den Park von Cityhall! Haben sie eine Stunde da geschlafen, so weckt sie der Hunger; dann richten sie sich auf, und recken die erfrornen Glieder und rennen durch ein paar Straßen, bis sie warm sind, und dann treffen sie sich wieder auf den harten Marmorstufen von Cityhall. Der Hunger allein rettet sie vor dem Erfrieren! Und doch sind deren nicht wenige, die man allmorgentlich im Winter halb erfroren findet und die dann das Spital von ihren Leiden erlöst, denn nur Wenige kehren vom Spitale in’s Leben zurück!

Das ist das berühmte Hotel Park, der besuchteste Gasthof in ganz Newyork!

„Und wer sind nun diese Unglücklichen, die allda ihr Nachtquartier suchen? Sind’s Bettler und Vagabunden, oder Diebe und Räuber?“

O nein, es sind keine Bettler und Vagabunden, keine Diebe und Räuber! Der Bettler in Newyork ist nicht schlecht daran. Gibt man ihm nicht gern, so gibt man ihm doch ungern, nur um den Zudringlichen los zu werden. Er hat seine Heimath, seine Familie und lebt nicht selten in Saus und Braus, wenn er ein gutes Tagewerk gehabt hat. Noch besser ist der Dieb in Newyork daran. Ihm darf es nicht bange sein, etwas „Stehlbares“ zu finden und an Absatzwegen für’s Gestohlene fehlt’s noch weniger. Der Schlechte, der Nichtsnutzige, der, dem alle Mittel recht sind, kommt durch in Newyork, er hat sogar ein gutes Leben. Ihm braucht nicht bange zu sein, einmal die Marmorstufen von Cityhall benutzen zu müssen. Die, welche hierzu genöthigt sind, sind ehrliche Leute, aber Leute, die keine Arbeit finden; es sind Leute, die zu viel Schamgefühl haben, um eine milde Gabe zu erflehen, zu viel Rechtlichkeitsgefühl, um sich etwas „Fremdes“ als Eigenthum anzueignen; es sind Leute, die den ganzen Tag von einem Platz zum andern gehen, um sich ein Geschäft zu verschaffen, Leute, die keine Mühe scheuen, um nur ein Stückchen Brod auf ehrliche Weise zu erwerben. Nicht Schneider und Schuhmacher sind’s, auch keine Tagelöhner und Bauernknechte von Hause aus; diese finden fast alle Arbeit oder wenigstens (auch in den schlechtesten Zeiten) so viel, daß sie ihr „Warmes“ verdienen und ein Eckchen in der Stube zum Schlafen.

Aber wie ist’s mit den Gebildeten und Halbgebildeten? Den Gelehrten und Halbgelehrten? Den Provisoren und Schulmeistern, den Theologen und Juristen, den Künstlern und Kaufleuten? Das schwindelt und windbeutelt in den Zeitungen, wenn’s Frühjahr herankommt! Das lospreist und lobhudelt in den Anlockungsannoncen zur Auswanderung! Das lügt und betrügt in den Reisehandbüchern und anderen im Solde der Ländereienbesitzer in Amerika geschriebenen Schriften! Und wenn dann einer, dem die Luft zu schwül wurde im alten Vaterlande, wenn einer, der sein Glück nicht fand auf dem heimischen Boden, wenn solch’ einer sich verlocken

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_194.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)